Taliban verbieten Einsatz humanitärer Helferinnen - schwere Folgen für Bevölkerung
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/WNCQI7HBLRGZVNHFBG3XIWL5AU.jpeg)
Mit ihrer Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban die Rechte der Frauen massiv eingeschränkt. Mädchenschulen ab der siebten Klasse sind in weiten Teilen des Landes geschlossen und Frauen wurden weitgehend aus dem Arbeitsleben verdrängt. Im Dezember haben die Taliban zudem angekündigt Frauen den Zugang zu Universitäten zu verbieten (Archivbild).
© Quelle: Oliver Weiken/dpa
Washington. Die Gruppe Abaad in Kabul steht misshandelten afghanischen Frauen zur Seite. Aber jetzt hat sie ihre Arbeit ausgesetzt, nachdem die herrschenden Taliban im Dezember Hilfsorganisationen untersagten, Frauen zu beschäftigen. Damit können Abaads Mitarbeiterinnen nicht mehr tun, was für viele ihrer afghanischen Geschlechtsgenossinnen eine Art Rettungsanker war: Sie unterstützten und berieten Frauen, die Vergewaltigungen, Schlägen, Zwangsheiraten und anderen häuslichen Peinigungen ausgesetzt waren.
Eine zur Tatenlosigkeit gezwungene Abaad-Mitarbeiterin berichtet von verzweifelten und oft tränenreichen Anrufen von Klientinnen, die Angst haben, dass sie jetzt auf den Straßen von Kabul landen werden. Aber es melden sich auch Kolleginnen, die wie sie selbst vielleicht langfristig ihr Einkommen verlieren - und nicht wissen, wovon sie und ihre Familien nun leben sollen. Eine von ihnen sagte ihr, dass sie an Selbstmord gedacht habe.
Taliban-Maßnahmen, um Frauen aus öffentlichem Leben zu verbannen
Es ist ein Beispiel unter vielen. Das Dekret der Taliban lähmt wichtige, ja oft lebenswichtige Hilfeleistungen für Millionen Menschen in dem wirtschaftlich völlig am Boden liegenden Land, in dem nach westlichen Angaben inzwischen 97 Prozent der Bevölkerung in Armut leben oder davon bedroht sind. Eine andere Folge ist, dass Tausende Frauen, die für diese Organisationen arbeiten, ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können.
NGOs stellen Arbeit in Afghanistan ein
Die Taliban-Regierung hatte am Samstag alle in- und ausländischen NGOs angewiesen, ihrem weiblichen Personal bis auf weiteres den Gang zur Arbeit zu untersagen.
© Quelle: Reuters
Das Verbot ist eine der größten politischen Herausforderungen in Sachen Afghanistan, mit denen die USA als größter einzelner Geldgeber, aber auch andere Länder seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 konfrontiert sind. Diese Staaten stehen jetzt vor der schwierigen Aufgabe, eine internationale Antwort zu entwickeln, die das Leid der Millionen hilfsbedürftiger Afghanen nicht verschlimmert, aber zugleich dem radikalen Vorgehen der Taliban gegen Frauen nicht nachgibt.
Nach UN-Schätzungen haben 85 Prozent der regierungsunabhängigen Hilfsorganisationen in Afghanistan wegen des Verbots ihren Betrieb ganz oder teilweise gestoppt. Es war der jüngste Schritt der Taliban in einer Serie von Maßnahmen, die darauf abzielen, Frauen aus dem öffentlichen Leben zu verbannen.
Die Abaad-Mitarbeiterin und Kolleginnen äußern die Hoffnung, dass die Vereinten Nationen und andere ihnen zur Seite stehen und die Islamisten überreden werden, das Verbot zurückzunehmen. „Das ist alles, was wir wollen“, sagt die Helferin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. „Sie sollten eine Lösung finden, einen Weg, um Menschen hier in Afghanistan zu unterstützen.“
Frauen und Kinder machen 75 Prozent der Hilfsbedürftigen aus
Mehrere führende globale Organisationen, die ihre Arbeit ausgesetzt haben, rufen die US-Regierung von Präsident Joe Biden auf, ihren Einfluss zu nutzen, um eine feste solidarische Haltung der internationale Gemeinschaft zu gewährleisten. Die USA investieren nicht nur besonders viel Geld in Hilfen, sondern haben auch ein stetes Interesse daran, Bedrohungen für die Sicherheit durch extremistische Gruppen in Afghanistan einzudämmen. Begrenzte Beziehungen zu den Taliban sind vor diesem Hintergrund hilfreich.
Ein in interne Diskussionen involvierter US-Offizieller sagt eine internationale Antwort voraus, die irgendwo zwischen dem Aussetzen aller Hilfsoperationen - die nach seiner Ansicht inhuman und unwirksam wäre - und dem anderen Extrem einer völligen Duldung des Helferinnen-Verbots liegt. Die Regierung prüft unter anderem einen Vorschlag, lebensrettende Hilfen für Afghanen fortzusetzen, wie andere informierte Kreise sagen.
Vertreter von Hilfsorganisationen weisen aber darauf hin, dass es schwierig ist zu definieren, was lebensrettende Hilfen sind. Nahrungsmittel, natürlich, aber was ist mit anderen Hilfen wie beispielsweise die gesundheitliche Betreuung von Müttern, die dazu beigetragen hat, die Müttersterblichkeitsrate im Land seit den 90er Jahren um mehr als die Hälfte zu verringern?
Größere regierungsunabhängige Organisationen sagen, dass es ihnen ohne weibliche Mitarbeiter unmöglich sei, wirksam Frauen und Kinder zu erreichen, die doch 75 Prozent der Hilfsbedürftigen ausmachen. Afghanistans konservative Sitten und Taliban-Vorschriften verbieten Kontakt zwischen nicht verwandten Männern und Frauen. „Unsere Aussetzungen sind betriebsbedingte Notwendigkeiten“, sagt Anastasia Moran vom International Rescue Committee. „Es ist kein Strafakt. Es ist kein Versuch, Dienstleistungen zu entziehen. Es ist keine Verhandlungstaktik.“
Die Taliban knüpfen mit ihrem harten Vorgehen an ihre Praktiken Mitte der 90er Jahre an, als sie schon einmal an der Macht waren und aufeinander folgende Dekrete Frauen aus Schulen, Berufen und humanitärer Arbeit trieb, sie immer stärker isolierte. Am Ende wiesen Taliban-Führer Haushalte an, ihre Fenster schwarz anzumalen, damit Passanten Frauen nicht durch die Scheiben sehen konnten. Frauen und Kinder in weiblich geführten Haushalten hatten damit wenig Möglichkeiten, an Geld oder Hilfe heranzukommen, um überleben zu können.
Die US-Invasion im Gefolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 beendete die erste Ära der Taliban-Herrschaft. Sowohl die Biden-Regierung als auch Hilfsorganisationen haben ihre Entschlossenheit geäußert, eine Wiederholung der zersplitterten internationalen Antwort auf die Menschenrechtsverstöße der Taliban in den 90ern zu vermeiden.
Allgemein gehen Hoffnungen dahin, dass stille Diplomatie unter Führung von UN-Vertretern in den nächsten Wochen vielleicht dazu führt, dass die Taliban ihre Position abmildern und weibliche Helfer - und damit Hilfsorganisationen insgesamt - ihre Arbeit wiederaufnehmen können. UN- und andere Offizielle stehen in täglichem Kontakt mit den ranghöchsten Taliban-Vertretern in Kabul, die Zugang zum obersten Führer der Taliban, Hibatullah Achunsada, und dessen Bundesgenossen in der Stadt Kandahar haben, wie ein US-Regierungsbeamter sagt.
Aber manche glauben, dass sich die internationale Gemeinschaft vielleicht auf Jahre mit nur geringem Einfluss auf die Herrscher Afghanistans einstellen muss - unter anderem auf Kosten isolierter und misshandelter Frauen im Land. „Wenn sie keine Hilfe erhalten“, sagt die afghanische Abaad-Mitarbeiterin Masuda Sultan, „dann werden sie sterben.“
RND/AP