Streeck kontert Lauterbach: „Ob es eine starke Sommerwelle geben wird, kann man nicht voraussagen“
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Der Bonner Virologe Hendrik Streeck begrüßt die von der Ampel beschlossenen Corona-Schutzmaßnahmen nach dem 19. März.
© Quelle: UKB / Johann Saba/UKB / Johann S
Berlin/Hannover. Ab dem 20. März sind grundsätzlich nur noch Masken- und Testpflicht möglich: Auf diesen Gesetzesentwurf einigte sich die Ampelkoalition am Mittwoch. Der Kampf gegen Corona ändert sich damit in Deutschland deutlich. Binnen weniger Tage muss das Gesetz in Bundestag und Bundesrat beraten und beschlossen werden. Es gibt zwar noch die sogenannte Hotspot-Regel, die regional mehr Maßnahmen ermöglicht – doch die FDP hat sich mit einem liberalen Ansatz gegenüber SPD und Grünen größtenteils durchgesetzt. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck begrüßt den Beschluss, wie er im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagt.
Herr Streeck, ist der Gesetzesentwurf mit Blick in die Nachbarländer und den Verlauf der Omikron-Welle aus Ihrer Sicht der richtige Schritt?
Wir müssen differenzieren. Mit der Hotspot-Regelung haben die Länder durchaus eine Möglichkeit, sehr kurzfristig zu reagieren, sollten neue Varianten oder große Ausbrüche kommen, sollten die Krankenhäuser überlastet sein. Zudem findet im Moment eine Evaluation des Infektionsschutzgesetzes statt, beauftragt durch die ehemalige Bundesregierung und den Bundestag. Ich bin als Sachverständiger involviert. Wir werden im Mai einen ausführlichen Bericht und eine Stellungnahme vorlegen, danach dürfte eine umfangreiche Revision stattfinden. Es geht im Moment darum, dass wir diese Zeit überbrücken, bis wir uns besonnen und ruhig auf den Herbst und den Winter vorbereiten können.
Was bedeutet das konkret?
Da kann ich nicht vorgreifen. Wir sind mitten im Evaluierungsprozess. Zu Interna und den Gesprächen kann ich mich nicht äußern.
Dann bleiben wir bei dem, was ab dem 20. März und darüber hinaus gelten soll. Wo sehen Sie denn die größte Notwendigkeit, Masken weiterhin vorzuschreiben und was muss bei der weiteren Teststrategie beachtet werden?
Ich glaube, es ist sehr wichtig zu unterscheiden zwischen den kommenden Sommermonaten und dem folgenden Herbst und Winter. Im Sommer sind Masken vor allem dort notwendig, wo vulnerable Gruppen sich vermehrt aufhalten – im Altenheim, im Pflegeheim, im Krankenhaus, wo nicht die Möglichkeit besteht, einem potenziellen Infektionsgeschehen auszuweichen. Bei höheren Fallzahlen im Herbst und Winter müssen wir über weitere Bereiche reden, wo wir Masken tragen sollten, also in Innenräumen, im öffentlichen Nahverkehr und Ähnliches. Wir sollten zwischen Sommerreifen-Modus und Winterreifen-Modus unterscheiden. Damit wird deutlich, dass bei steigenden Infektionen Masken und Tests weiter hilfreich sind, der Pandemielage zu begegnen.
Wer also im Sommer in den Supermarkt geht oder mit der Bahn fährt, braucht keine Maske mehr, so wie es in zahlreichen anderen Ländern mittlerweile schon möglich ist?
Bei hoher Inzidenz rate ich dazu, im öffentlichen Nahverkehr und im Supermarkt weiter auf Masken zu setzen. Im Übrigen kann jede Einrichtung, jedes Geschäft eine Hauspflicht erlassen. Das ist zum Beispiel in den Niederlanden so. In vielen Geschäften ist eine Maske vorgeschrieben, obwohl sie nicht mehr staatlich verordnet sind. Bei niedriger Inzidenz halte ich eine Maskenpflicht nicht mehr für notwendig. Jeder kann sich effektiv durch eine FFP2-Maske selbst schützen, die einen ausgeprägten Eigenschutz darstellt, und nicht nur einen Fremdschutz.
Sie haben mehrfach die Inzidenz angesprochen. Sie steigt derzeit leicht. Was bedeutet diese Entwicklung in der Ausprägung, die wir sehen, mit Blick auf Frühling und Sommer?
Wir hatten auch im vergangenen Jahr eine Doppelspitze. Im Übrigen haben wir das häufig bei den anderen, heimischen Coronaviren. Erst geht die Kurve nach unten, dann steigt sie wieder an, um dann wirklich abzufallen. Zusätzlich, und das haben mehrere Studien mittlerweile gezeigt, haben wir es mit dem Subtyp BA.2 der Omikron-Variante zu tun, die noch mal leichter übertragbar sein kann. Sie hat sich als Erstes in Köln sehr stark ausgebreitet. Das kann ein entscheidender Faktor sein, der zu diesem leichten Anstieg der Inzidenz führt. Trotz allem denke ich, dass wir danach wieder einen Rückgang erleben, so ähnlich wie im vergangenen Frühjahr.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach erwartet eine Sommerwelle, er warnt vor gefährlicheren Virusvarianten, die im Herbst und Winter kommen könnten. Sie sind mit Herrn Lauterbach nicht immer einer Meinung. Wie schätzen Sie das ein?
Als Wissenschaftler kann ich nichts ausschließen und es kann sein, dass es Kombinationen zwischen Varianten gibt oder eine andere Variante, die sich schon entwickelt hat, setzt sich noch einmal durch, vielleicht in Verbindung mit Omikron. Ich halte aber nichts von diesen Spekulationen. Ich denke, wir sollten damit arbeiten, was wir wissen. Wir sehen, dass Omikron BA.2 eine starke Immunfluchtvariante ist, eine Escape-Variante vor der Immunantwort, die durch die Impfung oder eine durchgemachte Infektion entwickelt wurde. Das gibt ihr einen Überlebensvorteil gegenüber anderen Varianten, die wir kennen. Daher rechne ich damit, dass sich BA.2 über den Sommer hinaus durchsetzen wird. Ob es eine starke Sommerwelle geben wird, kann man nicht voraussagen. Es gibt Modelle, die es nahelegen, und gegenläufige Modelle, die sagen, dass durch die Saisonalität die Infektionszahlen im Sommer niedrig bleiben werden.
Was bedeuten der Gesetzesentwurf und die Entwicklung der Fallzahlen für die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland? In Österreich ist diese jüngst noch vor Inkrafttreten ausgesetzt worden.
Wir haben relativ schlechte Daten, wie viele Menschen in Deutschland geimpft wurden. Es handelt sich derzeit um eine Mindestquote, die angegeben wird. Ich plädiere dafür, dass wir bestimmen, wie viele Menschen eigentlich wirklich geschützt sind. Dafür brauchen wir Antikörpertests. Die Frage ist doch: Wer hat überhaupt keinen Schutz vor einer Infektion? Da geht es mir explizit nicht nur um die Geimpften, sondern auch um die Genesenen. Erst wenn wir wissen, wie groß die Lücke ist, kann ich mir vorstellen, zumindest über eine Beratungspflicht zu diskutieren.
Aktuell gibt es auch eine Debatte darüber, ob Putins Krieg in der Ukraine einen Einfluss auf die Pandemieentwicklung in Deutschland und in Europa haben wird.
In der Ukraine sind im Vergleich zu Deutschland weniger Menschen geimpft – und wenn, dann häufig mit einem Impfstoff, der zwar von der WHO, aber nicht bei uns zugelassen ist. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass es eine sehr viel größere Durchseuchung gegeben hat, sodass mehr Menschen bereits eine Immunität durch eine durchgemachte Infektion haben. Prinzipiell glaube ich nicht, dass wir einen besonderen Anstieg der Infektionszahlen haben werden. Dennoch bin ich dafür, dass jeder, der aus gutem Grund aus diesem Land flüchtet, hier ein Impfangebot erhält. An der Stelle gilt genauso: Jemand, der durch eine durchgemachte Infektion einen guten Schutz hat, muss einem Geimpften gleichgestellt behandelt werden.