Scholz spricht Machtwort: Alle drei AKW bis Mitte April in Streckbetrieb
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Bundeskanzler Olaf Scholz (r), Wirtschaftsminister Robert Habeck (m) und Finanzminister Christian Lindner im September in einer Bundestagssitzung.
© Quelle: Getty Images
Berlin. Die überraschende Wende kam am Abend. Die Ampelfraktionen hatten sich darauf eingestellt, dass Kanzler Olaf Scholz an diesem Dienstag einen erneuten Einigungsversuch im Atomstreit unternehmen und kein Machtwort sprechen werde. Aber dann ging überraschend dieses Schreiben bei Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) sowie Finanzminister Christian Lindner (FDP) ein: „Ich habe als Bundeskanzler entsprechend Paragraf 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung die nachfolgende Entscheidung getroffen: Es wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen.“
Einen Tag nach dem Grünen-Bundesparteitag in Bonn war der dort gefasste Beschluss, das AKW Emsland gemäß dem Atomausstiegsgesetz zum 31. Dezember abzuschalten, damit Makulatur. Zugleich weist Scholz mit seinem Beschluss Forderungen der FDP zurück, alle drei Atomkraftwerke bis 2024 laufen zu lassen. Ob die Ampel damit zur Ruhe kommt, war zunächst offen.
Bundeskanzler Scholz kündigt schnelle Atomkraftentscheidung an
Scholz ist laut einer Regierungssprecherin zuversichtlich, dass bald eine Einigung im Koalitionsstreit um die weitere Nutzung von Atomkraftwerken gelingt.
© Quelle: dpa
Auswirkung auf Koalitionsverhandlungen in Niedersachsen
Scholz hätte lieber mit den zuständigen Kabinettsmitgliedern einen Kompromiss gefunden. Doch seine Versuche scheiterten. Die Zeit drängte, wenn es noch eine Lösung geben sollte, bevor das Atomausstiegsgesetz das Ende aller drei noch laufender Meiler zum Jahresende besiegelt. Der Bundestag muss über die Gesetzesänderung beraten und sie beschließen, danach muss sich noch der Bundesrat damit befassen.
Scholz kündigt in dem Schreiben zugleich an: „Es wird ein ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz vorgelegt.“ Die politische Verständigung zwischen der Bundesregierung, der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und RWE zur Verlängerung des Betriebes von Kohlekraftwerken bis 2024 sowie zum vorgezogenen Kohleausstieg 2030 im Rheinischen Revier werde gesetzgeberisch umgesetzt. Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit werde die Bundesregierung die Voraussetzung für den Zubau neuer, wasserstofffähiger Gaskraftwerke schaffen.
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Die Grünen-Basis hatte in Bonn dies beschlossen: Das Atomkraftwerk Emsland wird entsprechend dem Atomausstiegsgesetz zum Jahresende vom Netz genommen und die Meiler Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg als Reserve für die Stromerzeugung bis höchstens zum 15. April in den sogenannten Streckbetrieb geschickt.
Die Verlängerung der Laufzeit für das AKW Emsland dürfte die Koalitionsverhandlungen von Grünen und SPD in Niedersachsen beeinflussen. Die Brennstäbe in dem AKW gelten bereits als so gut wie abgebrannt. Bei allen drei Kraftwerken fehlt seit drei Jahren der sogenannte periodische Sicherheitscheck. Mit der Aussicht auf den Atomausstieg zum Jahresende durfte darauf verzichtet werden.
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Sabotage und Cyberkrieg: Wie anfällig Deutschlands Versorgung ist
Wird das deutsche Stromnetz angegriffen, kämpfen zuerst kranke und pflegebedürftige Menschen um ihr Leben. Aber auch bei Anschlägen auf die Trinkwasserversorgung, auf staatliche Lebensmittelvorräte oder Verwaltungen können enorme Schäden entstehen. Ein Überblick über potenzielle Gefahren.
Trittin kritisiert Scholz-Entscheidung im Atomstreit
Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht. Danach führen die Minister ihre Ressorts in eigener Verantwortung. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bindet auch nicht die Fraktionen bei der Umsetzung einer Formulierungshilfe für ein Gesetz.“
Lindner hatte am Montag getwittert: „Seit der Invasion Russlands in der Ukraine befinden wir uns in einem Energiekrieg.“ Das sei kein Grund, „dauerhaft“ zur Kernenergie zurückzukehren, aber „kurzfristig“ müsse alles ans Netz, was Kapazitäten schaffe.
Ricarda Lang: Parteitagsbeschluss ist „Verhandlungslinie“
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hatte vor Scholz´ Schreiben gesagt, der Parteitag in Bonn habe den Verhandlern der Grünen in Berlin „erst mal ein klares Votum“ mitgegeben. Das sei „die Verhandlungslinie“. Das wurde als Angebot gewertet, dass die Grünen-Spitze trotz des Parteitagsbeschlusses Spielraum sieht.
In dem Beschluss heißt es: „Bündnis 90/Die Grünen werden im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zustimmen, mit der neue Brennelemente, noch dafür notwendiges neues angereichertes Uran beschafft werden sollen.“ Auf die Frage, was die Grünen von Kanzler Scholz erwarteten, hatte Lang gesagt, man würde gern dessen Position kennen. Nun kennen sie sie.
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