Steht russischer Einmarsch kurz bevor? Nervosität im Westen, Gefasstheit in der Ukraine

Zivilisten nehmen an einer offenen militärischen Ausbildung teil, die im Rahmen der Kampagne «Keine Panik! Macht euch bereit!». Mitglieder der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte, einer freiwilligen Militäreinheit der Streitkräfte, trainieren in der Nähe von Kiew mit Holzattrappen als Gewehr.

Zivilisten nehmen an einer offenen militärischen Ausbildung teil, die im Rahmen der Kampagne «Keine Panik! Macht euch bereit!». Mitglieder der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte, einer freiwilligen Militäreinheit der Streitkräfte, trainieren in der Nähe von Kiew mit Holzattrappen als Gewehr.

Moskau. Die Lage erscheint verquer: Was die Bedrohung der Ukraine durch die an ihren Grenzen von Russland zusammengezogenen Truppen angeht, reagiert der Westen inzwischen hoch nervös, doch diejenigen, die eigentlich am meisten Angst haben müssten – die Ukrainer selbst – bleiben verhältnismäßig gefasst.

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Eine jähe Zuspitzung erfuhr der Russland-Ukraine-Konflikt aus westlicher Sicht, als der „Guardian“ am vergangenen Freitag meldete, US-Präsident Joe Biden habe der Nato-Spitze und westlichen Staatsführern in einem Telefonat die Einschätzung der USA mitgeteilt, dass sich Russland für eine Invasion der Ukraine entschieden habe, die in den nächsten Tagen erfolgen könne. Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan ruderte in einer öffentlichen Stellungnahme daraufhin zwar etwas zurück und sagte: „Wir haben keine Informationen erhalten, die besagen, dass eine endgültige Entscheidung getroffen, [dass] der Marschbefehl erteilt wurde.“

Doch die einflussreiche US-Tageszeitung „Politico“ ging am Samstag sogar noch einen Schritt weiter als Biden, als sie einen konkreten Termin für den russischen Einmarsch in die Ukraine nannte: Aus verschiedenen US-Geheimdienstquellen habe sie erfahren, dass der Überfall am 16. Februar erfolgen solle – das ist der kommende Mittwoch. Die US-Geheimdienstler hätten ihre Einschätzung mit dem Umstand untermauert, dass die Informationen, die ihnen zur Verfügung stünden, sehr „spezifisch“ seien. So sei etwa zu erwarten, dass dem russischen Angriff ein „Sperrfeuer aus Raketenangriffen und Cyberattacken“ vorausgehen würde.

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„Reisen Sie kurzfristig aus“

Das klang für viele westliche Regierungen zu alarmierend. Wie die russische Tageszeitung „Kommersant“ meldete, hätten mindestens 16 Länder, unter ihnen Großbritannien, Kanada und etwa die Niederlande, ihre derzeit in der Ukraine befindlichen Staatsbürger aufgefordert, das Land zu verlassen. Die USA drängten ihre Bürgerinnen und Bürger zu einer Ausreise innerhalb der nächsten 24 bis 48 Stunden und kündigten an, ihr diplomatisches Korps in der Ukraine zu verkleinern. Außenministerin Annalena Baerbock ließ wissen, dass das deutsche Generalkonsulat aus dem ostukrainischen Dnipro ganz in den Westen des Krisenlandes nach Lwiw verlegt werden solle. Deutschen in der Ukraine sprach das Auswärtige Amt eine eilige Warnung aus: „Reisen Sie kurzfristig aus.“

Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj warnte hingegen vor Panikmache: „Der beste Freund unserer Feinde ist die Panik“, sagte er nach einem Bericht des Onlineportals „Ukrainskaja Prawda“ bei einem Auftritt in der Schwarzmeer-Hafenstadt Cherson am Samstag. „Ich glaube, dass die Informationen übertrieben sind, die in der Informationsbubble derzeit über einen vollumfänglichen Krieg seitens der Russischen Föderation umherschwirren. Jetzt ist sogar von schon von konkreten Terminen die Rede.“

„Wir müssen jeden Tag bereit sein“

Er könne glücklicherweise weder bestätigen noch nicht bestätigen, was bislang noch nicht eingetreten sei: „Bislang gibt es in der Ukraine keinen handfesten Krieg“, betonte Selenskyj. „Und ich als Präsident muss meinem Volk genau das sagen, was real und relevant ist.“

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Gefragt, ob er eine Eskalation des Konflikts in der kommenden Woche erwarte, sagte Selenskyj: „Wir als Staat müssen uns vor allem auf uns selbst verlassen, auf unser Militär, auf unsere Bürger. Und wir müssen jeden Tag bereit sein.“

Noch am selben Tag meldete die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti, dass die Ukraine plane, ihre territoriale Verteidigung personell massiv aufzustocken. „Wir müssen die Zahl unserer Militärs maximieren“, zitierte sie Selenksyj unter Berufung auf den Sekretär des ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (NSVR), Alexei Danilow. „Die Zahl sollte zwei Millionen Menschen umfassen, die bereit sind, unser Land im Bedarfsfall zu verteidigen“, sagte der Präsident.

„Panik ist sinnlos“

Ermöglicht werden soll das durch ein Gesetz, das seit Januar in Kraft ist. Es versetzt die Zivilbevölkerung in die Lage, so weit wie möglich zur Landesverteidigung herangezogen werden zu können. Nach einer kürzlichen Umfrage sind 56 Prozent der 30 Millionen wahlberechtigten Ukrainer bereit, ihr Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Das sind 16,8 Millionen Menschen. In Friedenszeiten umfasst die Zahl der Territorialstreitkräfte gerade einmal 10.000 Soldaten.

Unterdessen trotzten am Samstag Tausende Menschen der Winterkälte und marschierten durch Kiew, um angesichts der wachsenden Kriegsangst ihre Einigkeit zu demonstrieren.

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„Panik ist sinnlos“, sagte die Studentin Maria Shtscherbenko der Nachrichtenagentur AFP, während die Menge die blau-gelben Flaggen der Ukraine schwenkte und die Nationalhymne sang. „Wir müssen uns vereinen und für die Unabhängigkeit kämpfen.“

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