„Sie haben Quantität, aber wir sind effizienter“

Schlacht um Stadt im Osten Charkiws könnte Kampfgeschehen in der Ukraine prägen

Zerstörte Straßen, verlassene Areale: Kupjansk nahe der Grenze zu Russland wurde von der Ukraine nach mehreren Monaten zurückerobert.

Zerstörte Straßen, verlassene Areale: Kupjansk nahe der Grenze zu Russland wurde von der Ukraine nach mehreren Monaten zurückerobert.

Kupjansk. Ein Panzer bringt ukrainische Infanteristen zügig zu einer Position, die mit einer Metallplatte markiert ist. Die Soldaten steigen aus, werfen einige Granaten und schießen mit Maschinengewehren. Dann wiederholen sie die Bewegungen, wieder und wieder – und werden dabei immer schneller. Es ist nur eine Übung. Doch der Krieg ist nur sieben Kilometer entfernt, der Lärm von realen Einschlägen ist gut zu hören. Die Soldaten wissen also, was auf dem Spiel steht.

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Kupjansk gilt als strategisch wichtige Stadt

Vertreter der ukrainischen Streitkräfte an einem Frontabschnitt östlich der Stadt Kupjansk betonen, dass die von vielen erwartete russische Offensive längst begonnen habe. Zugleich warnen sie, dass der Ausgang der Gefechte in diesem Gebiet darüber entscheiden könne, wie die nächste Phase des Krieges aussehen werde. Zeit ist dabei ein zentraler Faktor. Beim aktuellen Training geht es daher um Geschwindigkeit und Geschlossenheit. „Es wird auf Synchronisation ankommen, um russische Offensiven gegen ukrainische Verteidigungslinien zu stoppen“, sagt der Kommandeur Petro Skyba.

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Kupjansk gilt als strategisch wichtige Stadt. Sie liegt am Fluss Oskil, am östlichen Rand des Gebiets Charkiw. Die dort seit Wochen anhaltenden russischen Angriffe sind Teil des Versuchs, die gesamte Industrieregion Donbass zu erobern. Für den Kreml wäre dies in dem nun schon seit einem Jahr dauernden Krieg ein wichtiger symbolischer Erfolg. Aber nicht nur das: Sollte es den Russen gelingen, die Ukrainer bis ans westliche Ufer des Flusses zurückzudrängen, könnten sie weiter südlich eine weitere Offensive starten. Ein Sieg der ukrainischen Truppen an dieser Front hingegen würde diesen eine Gegenoffensive in Richtung Osten ermöglichen.

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Einige Stadtbewohner harren noch aus

„Der Feind verstärkt laufend seine Bemühungen. Aber unsere Truppen verstärken dort ebenfalls ihre Bemühungen, sorgen für rechtzeitigen Nachschub und halten die Stellungen“, sagt Dmitro Krasylnykow, der Leiter der Militärverwaltung in Charkiw, der Nachrichtenagentur AP. Die Dörfer und Städte in dem Kampfgebiet sind vom russischen Beschuss gezeichnet. Die noch verbliebenen Bewohner warten in der Kälte auf Lieferungen von Nahrung und Material etwa zur Abdeckung zerstörter Fenster. „Wir haben nichts mit diesem Krieg zu tun, warum also zahlen wir den Preis?“, fragt Olexandr Luschan, dessen Elternhaus bereits zweimal getroffen wurde.

Auf dem Schlachtfeld bringen ukrainische Soldaten einen Raketenwerfer in Position und geben Koordinaten ein. Dann warten sie auf ihren Befehl. Um sie herum legen sich dicke Schneeflocken auf ein einstiges Sonnenblumenfeld. Aus Sekunden werden Minuten. „Feuer!“, heißt es schließlich. Und sofort steigen mehrere Raketen in den Himmel, in Richtung russischer Ziele wie Panzer oder Mannschaftstransportwagen. Um nicht Opfer eines unmittelbaren Gegenangriffs zu werden, packen die ukrainischen Soldaten dann rasch ihre Sachen und verschwinden.

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Bisher nur geringe Geländegewinne Russlands trotz Offensive

Entlang der nordöstlichen Front gebe es keine schnellen Siege, sagt der Artillerist Witali, der im Einklang mit Vorgaben der ukrainischen Streitkräfte nur seinen Vornamen nennt. „Das ist Krieg – jemand rückt vor, jemand zieht sich zurück. Jeden Tag gibt es Veränderungen bei den Positionen.“

Die Russen hatten drei Divisionen in das Gebiet verlegt und ihre dortigen Angriffe im Februar wesentlich verstärkt. Aktuell liegt der Schwerpunkt der Kämpfe knapp nordöstlich von Kupjansk. Bislang haben die Russen bei ihrer Offensive aber nur minimale Geländegewinne erzielt. Größere Vorstöße wurden durch ukrainische Befestigungen verhindert.

Russland dürfte im Bereich Kupjansk zwei Ziele verfolgen: Sollte es gelingen, die ukrainischen Streitkräfte aus den Siedlungen entlang der Gebietsgrenze zu vertreiben, wäre das gesamte Gebiet Luhansk unter Kontrolle des Kremls. Und wenn die Ukrainer sich auf die westliche Seite des Flusses Oskil zurückziehen müssten, könnten die Russen die südlicher gelegene Region um die Städte Swatowe und Kreminna besser absichern – von dort versuchen sie, Posten in dem im Gebiet Donezk gelegenen Lyman, die sie im Herbst hatten aufgeben müssen, wieder zurückzuerobern.

Mangel an Munition auf ukrainischer Seite

Die Ukrainer wollen russische Durchbrüche mit einer besseren Zusammenarbeit von Infanterie und Panzereinheiten verhindern. Bisher kontrollieren sie auch noch Siedlungen im Gebiet Luhansk. Ihr Mangel an Artillerie und Munition ist an diesem Frontabschnitt, an dem der russische Beschuss an manchen Tagen neun Stunden andauert, aber ein echtes Problem. Waffen mit größerer Reichweite würden dort deutlich schnellere Erfolge ermöglichen, sagt Krasylnykow.

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Der Soldat Serhij, der im Gespräch mit der AP ebenfalls nur seinen Vornamen nennt, sagt, wegen des Mangels an Munition sei die Fähigkeit seiner Einheit, vorzurücken und Positionen des Feindes einzunehmen, eingeschränkt. „Sie können 40 Schüsse in unsere Richtung abfeuern und wir können zweimal auf das Ziel zurückschießen“, betont er. „Sie haben Quantität, aber wir sind effizienter.“

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Die russischen Truppen versuchen, die ukrainischen Soldaten von der Versorgung abzuschneiden.

Bewohner gewähren Soldaten unterschlupf

In Kupjansk, das vor dem Krieg etwa 27.000 Einwohner hatte, wurde am 17. Februar ein Haus, in dem sich eine Gruppe ukrainischer Soldaten ausgeruht hatte, von einer russischen Rakete getroffen. Die Russen hatten den Aufenthaltsort der Männer mithilfe einer Aufklärungsdrohne entdeckt. Olena Klymko lebt im Haus daneben. Durch den Einschlag wurden auch bei ihr das Dach und die Fenster beschädigt. „Jedes Mal, wenn wir schlafen gehen, beten wir zu Gott, dass wir am Morgen wieder aufwachen werden“, sagt sie.

In manchen Fällen richten sich die russischen Angriffe ganz klar gegen Ziele, die von ukrainischen Soldaten genutzt werden. Oft scheint der Beschuss aber auch willkürlich zu sein. Die Vororte der Stadt, die den russischen Stellungen am nächsten liegen, werden besonders oft beschossen. Dort ist auch die Versorgungslage besonders schwierig. In dem kleinen Ort Selena warten Dutzende ältere Menschen bei starkem Schneefall in einem Bushäuschen auf eine Hilfslieferung. „Heute ist ein ruhiger Tag, Gott sei dank“, sagt Victoria Bromska, als sie schließlich mit einem Nahrungspaket nach Hause geht.

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Das Haus, das am 17. Februar zerstört wurde, gehörte einer älteren Frau, die wegen des Krieges von ihren Kindern in die Großstadt Charkiw gebracht worden war. Ukrainischen Soldaten Unterschlupf zu gewähren, ist in Kupjansk laut der Nachbarin Klymko etwas ganz Normales – trotz der damit verbundenen Risiken. „Wie könnten wir nein sagen?“, sagt sie. „Sie kämpfen da draußen für uns.“

RND/AP

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