Staatsanwalt zu Hochwasser-Ermittlungen gegen Ahrweiler-Landrat: “Wir nageln hier niemanden ans Kreuz”

Ahrweiler nach der Flutkatastrophe (Symbolbild).

Ahrweiler nach der Flutkatastrophe (Symbolbild).

Mainz. Mit der Aufnahme von Ermittlungen gegen den Landrat des von der Flut stark getroffenen Kreises Ahrweiler rückt die Aufarbeitung der Geschehnisse in der Katastrophennacht von Mitte Juli in den Fokus. Bei dem Ermittlungsverfahren gegen Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und ein weiteres, nicht näher genanntes Mitglied des Krisenstabes gehe es um den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen am Abend des Hochwassers vom 14. Juli, teilte die Staatsanwaltschaft Koblenz am Freitag mit. Im Kern geht es darum, ob mit früheren Warnungen oder Evakuierungen Menschenleben hätten gerettet werden können.

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Der Anfangsverdacht richte sich gegen den Landrat, weil dieser laut Gesetzeslage “möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt hatte”. Im Fokus steht aber auch ein weiteres Mitglied des Krisenstabs, das nach den derzeitigen Erkenntnissen die Einsatzleitung “zumindest zeitweise übernommen hatte”. Im Kern geht es darum, ob mit früheren Warnungen oder Evakuierungen Menschenleben hätten gerettet werden können. 142 Menschen sind im Zuge der Flutkatastrophe allein in Rheinland-Pfalz ums Leben gekommen.

Einsatzleitung abgegeben

Die Staatsanwaltschaft teilte zunächst mit, der Anfangsverdacht richte sich gegen den Landrat, weil dieser laut Gesetzeslage “möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt hatte”. Am Freitagnachmittag erläuterte Oberstaatsanwalt Harald Kruse dann Details. Pföhler sei in der Flutnacht nicht Einsatzleiter gewesen, sei nach derzeitigem Ermittlungsstand an dem Abend “überwiegend” nicht im Krisenstab gewesen.

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Der Landrat habe nach eigener Aussage die Einsatzleitung für den Kreis schon vor Jahren an eine dritte Person übergeben, berichtete Kruse. Das sei auch gesetzlich möglich. Die dritte Person habe am Abend des 14. Juli um 23.09 Uhr den Katastrophenalarm ausgelöst. Kruse benannte die dritte Person nicht näher, weil es keine politische Person sei. Laut Staatsanwaltschaft gibt es “zureichende tatsächliche Anhaltspunkte” dafür, dass am 14. Juli ab etwa 20.30 Uhr Gefahrenwarnungen und möglicherweise auch Evakuierungen geboten gewesen wären. “Dies - so der Anfangsverdacht - dürfte in einer als fahrlässig vorwerfbaren Begehungsweise offenbar nicht, nicht in der gebotenen Deutlichkeit oder nur verspätet erfolgt sein.”

Beamte der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes durchsuchten die Kreisverwaltung Ahrweiler am Freitag etwa drei Stunden lang. Der Landrat sei sehr kooperativ gewesen, sagte Kruse. Die dritte Person sei “bestürzt” gewesen. Es gebe keinen Anfangsverdacht gegen staatliche Akteure oberhalb der Kreisebene.

Staatsanwalt will keine falschen Erwartungen wecken

Zugleich betonte Kruse, bei den Ermittlungen handele es sich um vorläufige Überlegungen. “Wir nageln hier niemanden ans Kreuz”, sagte er. Er wolle keine falschen Erwartungen bei Betroffenen wecken.

Wenn man am Ende belegen könne, dass es zu einer verspäteten Warnmeldung gekommen sei, müsse man auch belegen können, dass dies zu Toten geführt habe. Das werde aber schwierig, sagte Kruse weiter. Denn dann wäre es zugleich nötig, nachzuweisen, dass die Menschen entsprechend auf die Warnung reagiert hätten. Aber: “Wir werden es bei vielen nicht wissen, wie sie reagiert hätten.”

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Bei einem Einsatz dieser Dimension könne nicht alles optimal laufen, sagte Innenminister Roger Lewentz (SPD). “Das ist die Blaupause für die Republik”, und der Einsatz dieser Art der längste in der Geschichte der Bundesrepublik. “Wir arbeiten mit den Blaupausen, die die Republik sich bisher gegeben hat, und die müssen wir fortschreiben.”

Beamte der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamts haben am Freitag für ihre Ermittlungen Unterlagen in der Kreisverwaltung an sich genommen. Alle gewünschten Daten, Unterlagen und Materialien seien “sofort und kooperativ bereitgestellt” worden, teilte die Kreisverwaltung mit.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Lewentz äußerten sich mit Blick auf das laufende Verfahren nicht zu den Vorwürfen und der Frage, ob zu spät evakuiert worden ist. Er habe bei seinem Besuch des Krisenstabs den Eindruck gehabt, dass ruhig und konzentriert gearbeitet werde, sagte Lewentz, der die Plenarsitzung am 14. Juli verlassen hatte und nach Bad Neuenahr-Ahrweiler gefahren ware. Dreyer ergänzte, auch sie sei nicht Teil der Warnkette, Lewentz habe sie aber von unterwegs unterrichtet.

Nach Ansicht von CDU-Fraktionschef Christian Baldauf stellt sich die Frage, warum das Land “in Anbetracht des gewaltigen Ausmaßes der Katastrophe” die Einsatzleitung nicht direkt vom Kreis übernommen habe. “Erstaunlich ist auch, dass Katastrophenschutzminister Lewentz in dieser Krise nicht mehr Verantwortung übernommen hat, sondern alles zur ADD delegiert hat, die erheblich in der Kritik steht.” Die ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion) ist die für den Katastrophenschutz zuständige Landesbehörde und hat am Abend des 17. Juli auf Bitten des Landrats die Einsatzleitung übernommen.

Hochwasserschutz neu denken

Der Biologe Wolfgang Büchs von der Universität Hildesheim plädiert ob der Hochwasserkatastrophe dafür, die bestehenden Hochwasserschutzkonzepte in Deutschland zu überdenken. “Seit Jahren häufen sich solche Starkregenereignisse wie im Ahrtal, sehr wahrscheinlich infolge des Klimawandels”, sagte Büchs dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei zu befürchten, dass auch andere Regionen in Deutschland dem gestiegenen Hochwasserrisiko derzeit noch nicht genügend Rechnung tragen.

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“Nach mehr als 100 Jahren ist es dringend an der Zeit, derartige Pläne wieder aufzugreifen, zu prüfen und umzusetzen. Dies sei heute durchaus naturschutzkonform möglich. “Ohne gravierende Maßnahmen zum Schutz vor Hochwasser halte ich eine Wiederbesiedlung des Ahrtals für hochgradig riskant”, mahnte Büchs.

Auch in anderen Regionen in Deutschland müssten Bauvorhaben in Tälern und Flussniederungen vor dem Hintergrund des Klimawandels künftig anders bewertet werden. “Wir müssen uns darauf einstellen, bestimmte Siedlungsstandorte in Deutschland aufzugeben.”

Extremer Starkregen hatte am 14. und 15. Juli an der Ahr im Norden von Rheinland-Pfalz eine Flutwelle ausgelöst und weite Teile des Tals unter Wasser gesetzt und zerstört. Rund 42.000 Menschen sind von den Folgen betroffen. 142 Menschen kamen bei der Katastrophe in Rheinland-Pfalz ums Leben, davon 141 im Ahrtal. 121 Tote sind identifiziert. 766 Menschen wurden verletzt, und noch immer werden 16 Menschen vermisst. Rund 30 000 Haushalte sind noch ohne Wasser und Strom.

RND/fw/dpa/epd/cz

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