Sri Lanka hat neuen Übergangspräsident - Ausgangssperre verhängt
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Gotabaya Rajapaksa, faktisch entmachteter Präsident von Sri Lanka, verlässt das Parlament, nachdem er während der feierlichen Eröffnung der Sitzung am 3. Januar 2020 in Colombo, Sri Lanka, eine Rede gehalten hat. (Archivbild)
© Quelle: Eranga Jayawardena/AP/dpa
Colombo. Sri Lankas frisch ernannter Übergangspräsident Ranil Wickremesinghe hat angesichts anhaltender Proteste den Ausnahmezustand erklärt und eine Ausgangssperre verhängt. Er reagiere damit auf Geheimdienstberichte über eine drohende Erstürmung unter anderem des Parlaments und des Büros des Premierministers, sagte er am Mittwoch in einer aufgezeichneten Fernseh-Botschaft.
Stunden zuvor war Präsident Gotabaya Rajapaksa ins Ausland geflohen. Wickremesinghe (73), bis dahin Premierminister, wurde zum geschäftsführenden Staatschef des südasiatischen Landes ernannt, wie Parlamentspräsident Mahinda Yapa Abeywardena im Fernsehen mitteilte.
Eine Militärmaschine mit dem 73-jährigen Rajapaksa und seiner Ehefrau an Bord landete unterdessen am Mittwochmorgen auf dem Hauptstadtflughafen der Malediven in Male, wie die dortigen Behörden bestätigten. Sri Lankas Luftwaffe teilte mit, ein Flugzeug bereitgestellt zu haben. Rajapaksa hatte inmitten der Proteste ursprünglich angekündigt, am Mittwoch als Präsident des südasiatischen Inselstaates zurücktreten zu wollen. Er hatte das Amt Ende 2019 angetreten.
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Die Nachricht von seiner Ausreise löste Jubel unter den Demonstranten in der Hauptstadt Colombo aus. Am Wochenende hatte eine aufgebrachte Menschenmenge den Präsidentenpalast sowie ein Bürogebäude des Staatschefs gestürmt und besetzt und die private Residenz von Premierminister Ranil Wickremesinghe (73) in Brand gesteckt.
Demonstrierende stürmen Büro des Premiers
Die Demonstranten sehen in Wickremesinghe einen Verbündeten des ehemaligen Staatschefs und sind dagegen, dass er dessen Amt vorübergehend übernimmt. Sie drohen mit einem Generalstreik.
Nach der Flucht des sri-lankischen Präsidenten außer Landes hatte eine große Menschenmenge das Büro des Premierministers gestürmt. Tausende Demonstranten forderten vor dem Hintergrund der schwersten Wirtschaftskrise des Landes seit Jahrzehnten den sofortigen Rücktritt von Regierungschef Ranil Wickremesinghe. Dieser hatte erklärt, er werde zurücktreten, sobald es eine neue Regierung gebe.
Teilnehmer des Protests waren dabei zu sehen, wie sie die Mauer um das Regierungsgebäude erklommen und das Büro betraten. Die Menschenmenge feuerte dies mit Rufen an, die Landesflagge wurde geschwenkt. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menschen auseinanderzutreiben, was jedoch nicht gelang: Immer mehr marschierten die Straße hinunter auf das Gebäude zu. Das Büro des Premiers rief den Ausnahmezustand aus und verhängte in Teilen des Landes eine Ausgangssperre.
Sri Lankas Präsident flieht auf die Malediven
Sri Lankas Präsident hat sich nach den Protesten in der Hauptstadt Colombo auf die Malediven abgesetzt. Er hatte zuvor angekündigt, sein Amt niederzulegen.
© Quelle: Reuters
Auch am Mittwochmorgen strömten weiter Menschen in den Präsidentenpalast. Viele reisten mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch von außerhalb der Hauptstadt an. „Was Rajapaksa getan hat - aus dem Land zu fliehen - ist eine ängstliche Tat“, sagte der 24-jährige Student Bhasura Wickremesinghe, der mit Freunden kam. „Ich feiere nicht. Es hat keinen Sinn zu feiern. Wir haben im Moment nichts in diesem Land.“
Präsident Rajapaksa genießt noch Immunität
„Ich bin nicht glücklich darüber, dass er geflohen ist“, sagte ein Demonstrant, Malik D‘Silva, der Nachrichtenagentur AP über Rajapaksa. „Er sollte im Gefängnis sein.“ Rajapaksa habe „das Land ruiniert und unser Geld gestohlen.“ Demonstranten werfen dem nun praktisch entmachteten Staatschef und seiner Familie vor, sich seit Jahren aus der Staatskasse zu bedienen.
Amtierende Präsidenten genießen in Sri Lanka Schutz vor Verhaftung. Beobachter hielten es daher für möglich, dass Rajapaksa seine Flucht plante, solange ihm die Verfassung noch Immunität garantiert. Eine Anklage wegen Korruption gegen Rajapaksa in seiner früheren Funktion als Verteidigungsminister wurde wieder zurückgezogen, nachdem er 2019 zum Präsidenten gewählt wurde.
Sri Lanka durchlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948
Der Inselstaat südlich von Indien mit seinen etwa 22 Millionen Einwohnern durchlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948. Die Wut der Demonstranten speist sich unter anderem aus dem seit Monaten bestehenden Mangel an Treibstoff und Gas zum Kochen, aber auch aus fehlenden Medikamenten und Lebensmitteln. Auch die hohe Inflation und stundenlange Stromausfälle sorgen für großen Unmut. Ein Grund dafür ist, dass Einnahmen aus dem wichtigen Tourismus im Zuge der Corona-Pandemie eingebrochen sind. Dem stark verschuldeten Land fehlt das Geld, um wichtige Güter zu importieren.
Angesichts der Krise hat die Regierung unter anderem den Internationalen Währungsfonds sowie Indien, China, Russland und andere Länder um Hilfe gebeten. Das UN-Nothilfebüro warnte im Juni, die schwere Wirtschaftskrise könne eine sich anbahnende Hungerkrise in Sri Lanka verschärfen. Das Land war zuvor zehn Jahre lang auf einem guten Entwicklungsweg und kam ohne humanitäre UN-Hilfe aus.
RND/dpa