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Welche Folgen hat die Sprengung?

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine

Im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson ist nach Angaben der Kriegsparteien ein wichtiger Staudamm nahe der Front schwer beschädigt worden. Kiew und Moskau machten sich am Dienstagmorgen gegenseitig für den Vorfall mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich.

Im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson ist nach Angaben der Kriegsparteien ein wichtiger Staudamm nahe der Front schwer beschädigt worden. Kiew und Moskau machten sich am Dienstagmorgen gegenseitig für den Vorfall mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich.

Kachowka-Staudamm zerstört

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Was ist passiert?

Am frühen Dienstagmorgen kam es an dem seit vergangenem Jahr von Russland besetzten Kachowka-Staudamm zu einer Explosion. Dadurch wurden der Staudamm sowie das dortige Wasserkraftwerk zerstört. Der Betreiber des Kraftwerks, Ukrhydroenerho, teilte wenig später mit, die Anlage sei vollkommen zerstört und könne nicht repariert werden. Die Flutwelle aus dem Kachowka-Stausee setzte nach Angaben ukrainischer Behörden acht Ortschaften ganz oder teilweise unter Wasser, teilweise auch die Gebiets­hauptstadt Cherson.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

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Wo liegt der Staudamm und wozu wird er benötigt?

Der Staudamm wurde Mitte der 1950er-Jahre in Betrieb genommen. Er ist am Lauf des Dnipro die sechste und letzte Staustufe vor dem Schwarzen Meer. Die anderen fünf werden von ukrainischen Truppen kontrolliert. Die Anlage macht den flachen Strom schiffbar. Sie staut das Wasser auf 200 Kilometer Länge zwischen Saporischschja und Nowa Kachowka und hält etwa 18 Milliarden Kubikmeter Wasser. Aus dem Reservoir wurden weite Regionen im Süden bis hin zur Krim bewässert. Nach ukrainischen Angaben sind in der nun „kritischen Zone“ rund um die Anlage etwa 16.000 Menschen zu Hause.

Wer ist schuld an der Zerstörung des Staudamms?

Das ist nicht ganz klar. Wie so oft beschuldigen sich die Ukraine und Russland gegenseitig. Die Ukraine schreibt Moskau ein klares Motiv zu. Russland habe offensichtlich das Ziel, unüberwindbare Hindernisse für die geplante ukrainische Großoffensive zu schaffen, schrieb Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Dienstag bei Twitter. Dies sei der Versuch, das Ende des Krieges hinauszuzögern, und ein vorsätzliches Verbrechen. Russland müsse international als Terrorstaat eingestuft werden. Umgesetzt habe die Sprengung des Wasserkraftwerks nach ersten Erkenntnissen die 205. Motorisierte Schützeneinheit der russischen Armee, so Podoljak. Selenskyj sprach von „Terror“ und berief den nationalen Sicherheitsrat ein.

Die russische Regierung wiederum wies alle Anschuldigungen zurück und beschuldigte ukrainische Truppen, den Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk in der Stadt Nowa Kachowka beschossen und so zerstört zu haben. „Wir erklären offiziell, dass es sich hier eindeutig um eine vorsätzliche Sabotage der ukrainischen Seite handelt, die auf Befehl (…) des Kiewer Regimes geplant und ausgeführt wurde“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Ziel sei es, die Wasserversorgung für die Krim zu unterbrechen. Beweise legte Peskow keine vor. Die Angaben beider Kriegsparteien sind von unabhängiger Seite vielfach kaum zu überprüfen.

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Was sagen Experten zur Schuldfrage?

Experten sehen die Verantwortung bei Russland. „Dieser Schritt ist typisch für Russlands Art der Kriegs­führung. Der militärischen Logik wird alles untergeordnet“, sagte András Rácz, Experte für Russlands Militär bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Sprengung des Staudamms sei ein klassischer Verteidigungszug, den es in der Geschichte der Kriegsführung schon häufig gegeben habe, um die Offensive des Angreifers zu behindern. Für Russland bedeute das vor allem Zeit, erklärte er.

„Alles spricht dafür, dass die Russen den Damm gesprengt haben“, sagte auch der Militärexperte Carlo Masala dem Nachrichtenportal „T-Online“. Moskau verfolge damit zwei Ziele: Chaos zu stiften und eine Gegenoffensive der Ukraine zu behindern. Masala sagte, Russland gehe es darum, eine bereits begonnene ukrainische Gegenoffensive zu verlangsamen. Eine Flussüberquerung sei die schwierigste Operation überhaupt für Streitkräfte, so der Professor der Bundeswehr-Universität München. Mit steigendem Wasser und der Überflutung beider Flussufer würden ukrainische Offensivoperationen an jener Stelle faktisch unmöglich. Trotzdem werde Russland eine Gegenoffensive nicht ganz aufhalten können.

Auch der Militärexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht Russland hinter der Sprengung. „Die Russen wollen die ukrainische Gegenoffensive durcheinanderbringen, die an einigen Stellen zu wirken beginnt“, sagte Mölling den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wenn es die Ukrainer gewesen wären, würde das zudem die Unterstützung durch den Westen gefährden. Das wäre kontraproduktiv.“

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Wie groß ist das Ausmaß der Zerstörung und wie ist die Lage in den überfluteten Gebieten?

Befürchtet wird, dass der Bruch des Staudamms in der umkämpften Region Cherson zu massiven Über­schwemmungen führt. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sprach von einer Überschwemmungs­gefahr für bis zu 80 Ortschaften. Die Zerstörung werde zu einer Umweltkatastrophe führen. Der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin, warnte, binnen fünf Stunden könne der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen.

Nach Angaben einer ukrainischen Nichtregierungsorganisation dürfte die Zerstörung des Staudamms fast 100 Städte und Dörfer unter Wasser setzen. Die Wassermassen würden erst nach etwa fünf bis sieben Tagen abfließen, teilte das Weltdatenzentrum für Geoinformatik und nachhaltige Entwicklung am Dienstag mit.

Der Organisation Ukraine War Environmental Consequences Working Group zufolge, die mögliche Folgen des Krieges einschätzt, könnten Teile des rechten Flussufers fortgespült werden, der Norden der Krim kein Wasser mehr bekommen und dem Atomkraftwerk Saporischschja möglicherweise das Kühlwasser ausgehen.

Mindestens 150 Tonnen Maschinenöl sollen nach der Explosion in den Dnipro gelangt sein, hieß es aus Kiew. 300 weitere Tonnen Öl drohten noch auszulaufen.

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Das ukrainische Innenministerium rief die Bevölkerung von zehn Dörfern am rechten Flussufer des Dnipro und in Teilen der Stadt Cherson auf, wichtige Dokumente und Haustiere einzusammeln, Geräte auszuschalten und die Gegend wegen Überschwemmungsgefahr zu verlassen.

Die russischen Besatzer in der südukrainischen Stadt Nowa Kachowka riefen den Notstand aus. Das Wasser sei bereits um zwölf Meter angestiegen, sagte der von Russland eingesetzte Bürgermeister Wladimir Leontjew am Dienstagvormittag im russischen Staatsfernsehen. „Die Stadt ist überflutet.“ Auch das an den Staudamm angrenzende und völlig zerstörte Kraftwerk stehe unter Wasser. Auf der russisch besetzten Seite des Flusses Dnipro sind Leontjews Aussagen zufolge insgesamt 600 Häuser in drei Ortschaften von den schweren Überschwemmungen betroffen.

Tausende Menschen von Folgen des zerstörten Staudamms in der Südukraine betroffen

Durch eine heftige Explosion bricht ein wichtiger Staudamm im Süden der Ukraine. Die Wassermassen bedrohen Tausende Anwohnerinnen und Anwohner.

Die Ukraine hatte bereits im Herbst gewarnt, ein Dammbruch könne 18 Millionen Kubikmeter Wasser freisetzen und Cherson und Dutzende andere Orte überfluten, in denen Hunderttausende von Menschen leben.

Bereits im vergangenen Oktober veröffentlichte die schwedische Firma Dämningsverket AB mit einer Software des US‑Militärs ein Modell, welches die Folgen eines Dammbruchs skizziert. Demzufolge würden innerhalb weniger Stunden weite Teile der Region sowie angrenzende Flüsse überflutet.

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Gibt es Aufnahmen von der Sprengung?

Nein, zumindest gibt es bislang keine offiziell bestätigten Aufnahmen. In den sozialen Medien kursierten Aufnahmen einer Überwachungskamera, die anscheinend den Damm überblickte. Dabei handelte es sich allerdings um ein älteres Video, das bereits im November 2022 entstand.

Stellt die Sprengung des Staudamms eine Gefahr für das Atomkraftwerk Saporischschja dar?

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) teilte mit, dass derzeit keine unmittelbare Gefahr für das am Kachowka-Stausee gelegene Atomkraftwerk Saporischschja bestehe. In dem von Russland besetzten AKW würden jedoch Maßnahmen zum Weiterbetrieb der Kühlsysteme getroffen, die normalerweise mit dem aufgestauten Wasser gespeist werden. „IAEA-Experten am Atomkraftwerk Saporischschja beobachten die Situation genau“, so die Behörde.

Welchen Folgen könnte die Zerstörung des Staudamms für den Krieg haben?

Für die ukrainische Offensive sei die Sprengung des Staudamms ein „Stolperstein“, sagte Militärexperte Mölling. Durch die Überflutung müssten nun weniger russische Soldaten auf der Ostseite des Dnipro-Flusses präsent sein. Dadurch könne Russland Kräfte an andere Frontabschnitte im Osten verteilen. Es sei aber unwahrscheinlich, dass ein Vorstoß über den Dnipro im Zentrum von Kiews Gegenoffensive stehe.

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Die ukrainischen Streitkräfte versicherten, sich durch die Sprengung des Staudamms nicht von der Befreiung besetzter Gebiete abhalten zu lassen. Die Ukraine verfüge über „alle notwendigen Boote und Pontonbrücken, um Wasserhindernisse zu überwinden“.

Wie wird international auf die Zerstörung des Staudamms reagiert?

Westliche Politiker sahen die Schuld bei Russland und verurteilten die Sprengung des Staudamms. Bundes­kanzler Olaf Scholz (SPD) warf Moskau vor, in dem seit mehr als 15 Monaten dauernden Angriffskrieg gegen das Nachbarland immer stärker zivile Ziele anzugreifen. „Das ist ja auch etwas, das sich einreiht in viele, viele der Verbrechen, die wir in der Ukraine gesehen haben, die von russischen Soldaten ausgegangen sind“, sagte der Kanzler am Dienstag bei einem WDR-„Europaforum“ in Berlin.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hielt Russland vor, Tausende Zivilisten zu gefährden und schwere Umweltschäden in Kauf zu nehmen. „Dies ist eine ungeheuerliche Tat, die einmal mehr die Brutalität von Russlands Krieg in der Ukraine demonstriert.“ EU‑Ratspräsident Charles Michel zeigte sich schockiert über einen „beispiellosen Angriff“. Der britische Außenminister James Cleverly sprach von einem „Kriegs­verbrechen“.

RND/nis mit dpa

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