Spitzenkandidaten-Prinzip: Von der Leyen verzichtet auf Vorschlag

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hält eine Rede vor dem Beginn der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hält eine Rede vor dem Beginn der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums.

Brüssel. Es stand Spitz auf Knopf im Juli vergangenen Jahres. Ursula von der Leyen wollte vom EU-Parlament zur neuen Präsidentin der EU-Kommission gewählt werden. Doch viele Abgeordnete ärgerten sich, weil die Frau aus Deutschland bei der Europa-Wahl im Mai 2019 nicht als Spitzenkandidatin ihrer Parteienfamilie angetreten war. Ihre Wahl war nicht sicher.

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Also sagte von der Leyen in ihrer Bewerbungsrede Sätze, die die erzürnten Parlamentarier gerne hörten und ihr schließlich zu einer hauchdünnen Mehrheit verhalfen. Das Spitzenkandidaten-System solle verbessert werden. Auch länderübergreifende Wahllisten sollten in einer „Konferenz zur Zukunft Europas“ besprochen werden. Nun haben sowohl Parlament als auch Kommission ihre Ideen zur großen Zukunftskonferenz zu Papier gebracht – und der nächste Streit Ist absehbar.

Abgeordnete verärgert

Die EU-Kommission will an diesem Mittwoch ihr Konzept in Brüssel vorstellen. Das Papier liegt dem Redationsnetzwerk Deutschland (RND) vor. Es ist nach Ansicht vieler Europa-Abgeordneter eine relativ oberflächlich gehaltene Erweiterung der politischen Leitlinien, die Ursula von der Leyen vor ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin formuliert hat. Vor allem ist darin keine Rede mehr davon, dass es für die sogenannten „transnationalen Listen“ für die nächste Europawahl eine Änderung der EU-Verträge braucht. Bislang gibt es nur nationale Wahllisten.

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Das hat den Grünen-Abgeordneten Daniel Freund verärgert. Er war einer von vier Parlamentariern aus Deutschland, die am Konzept des Europa-Parlaments mitgeschrieben haben. „Ich erwarte von der Kommission ein klares Bekenntnis zu Vertragsänderungen. Wenn wir die Europäische Union demokratischer und schlagkräftiger machen wollen, dürfen wir nicht krampfhaft am Status Quo festhalten. Dass der Weg dorthin am Ende nur über Vertragsänderungen führen kann, ist klar", sagte Freund dem RND.

Nur ein paar Zeilen haben die Verfasser des Kommissionskonzepts für die länderübergreifenden Wahllisten und das Spitzenkandidaten-Konzept übrig. Die EU-Kommission versteht sich demnach lediglich als „ehrlicher Makler“ zwischen Parlament und der Runde der künftig 27 Staats- und Regierungschefs. Diese müssten einer Änderung der EU-Verträge zustimmen, um dem Spitzenkandidaten-Konzept zum Durchbruch zu verhelfen.

Macron gegen Weber

Bislang ist an dieser Stelle in den Verträgen nur eine schwammige Formulierung, wonach sich die Staats- und Regierungschefs am Ergebnis der Europa-Wahl orientieren sollen - aber eben nicht müssen. Das Parlament will dagegen, dass nur Kommissionspräsident werden kann, wer bei der Europawahl auch für dieses Amt als Spitzenkandidat kandidiert hat.

Die unscharfe Formulierung wurde nach der Wahl im Mai 2019 dem CSU-Europaabgeordneten Manfred Weber zum Verhängnis. Er hatte als Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei die Wahl gewonnen. Doch die Staats- und Regierungschefs, allen voran Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, wollten den Mann aus Niederbayern nicht als Kommissionspräsidenten vorschlagen. Auch die Spitzenkandidaten der anderen Parteienfamilien kamen nicht zum Zug. Die Wahl fiel auf Ursula von der Leyen.

Blockade befürchtet

Nach Ansicht von EU-Experten dürfte es schwierig werden, die Staats- und Regierungschefs von dem Spitzenkandidaten-Prinzip zu überzeugen und dafür die EU-Verträge zu ändern. Zwar haben sich Deutschland und Frankreich inzwischen offen für etwaige Vertragsänderungen gezeigt. Doch vor allem kleinere Mitgliedstaaten zeigen wenig Interesse an den Reformen. Sie sagen, es sei wenig wahrscheinlich, dass überhaupt ein Spitzenkandidat aus einem kleineren EU-Staat aufgestellt würde. Außerdem sehen sie eine mögliche Stärkung des Europaparlaments sehr skeptisch.

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Der Grünen-Abgeordnete Freund kann das nicht nachvollziehen. „Die Konferenz zur Zukunft der EU ist eine enorme Chance, die EU fit für die Zukunft zu machen“, sagte er: „Damit der Prozess aber wirklich Früchte trägt, müssen die Regierungen ihre Blockadehaltung aufgeben.“ Kommission und Rat müssten den Bürgern jetzt zeigen, dass sie es ernst meinen mit Reformen.

Der Streit darüber dürfte die Konferenz dominieren. Sie soll am 9. Mai, dem Europatag, formal ihre Arbeit aufnehmen und binnen zwei Jahren Vorschläge machen, wie die Europäische Union zukunftsfest gemacht werden kann. An ihr sollen sich alle EU-Institutionen und möglichst viele Bürgerinnen und Bürger beteiligen.

Neue Formen der Bürgerbeteiligung

Zumindest die Art der Beteiligung der Europäerinnen und Europäer an der Zukunftskonferenz scheint im EU-Betrieb nicht allzu umstritten zu sein. Das Parlament möchte regelrechte Bürgerversammlungen einberufen. Ähnliches gab es in Irland vor dem Referendum über die Abtreibung. Diese Versammlungen sollen Vorschläge zur Reform der EU machen, die von den Konferenzteilnehmern in Gesetzesvorschläge umgewandelt und wieder den Bürgerversammlungen zur Prüfung vorgelegt werden sollen.

Die Kommission lässt in ihrem Konzeptpapier Sympathie für diesen Vorschlag erkennen. Neben den Dialogen mit den Bürgerinnen und Bürgern solle es neue Formen der Beteiligung geben. Angedacht ist etwa eine „mehrsprachige digitale Plattform“ mit Zugang zu allen Dokumenten und Diskussionsforen der Zukunftskonferenz.

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