SPD-Chef Walter-Borjans: „Alphatiergehabe ist ein Auslaufmodell“
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Nach zwei Jahren soll Schluss sein: Der SPD-Chef Norbert Walter-Borjans will auf dem nächsten Parteitag nicht mehr zur Wahl als Vorsitzender antreten.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/
Berlin. Als Sie vor zwei Jahren Parteichef wurden, sind Sie belächelt worden. Was sagen Sie den Lächlern von damals?
Genau das war der Impuls, warum ich angetreten bin. Das Engagement, das von der Basis kam, ist damals in der Berliner Politik- und Medienblase tatsächlich belächelt worden. Das hat sich geändert. Deshalb sage ich allen, die sich engagieren wollen: Wer etwas verändern will, muss in Kauf nehmen, anfangs auf Hochmut zu stoßen. Das ist die Verunsicherung des Establishments. Was wir dann gemeinsam erreicht haben, spricht doch für sich und sollte anderen Mut machen, auch mal gegen den Strich zu bürsten.
Gab es einen Moment, in dem Sie zu sich selbst gesagt haben: Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, dich mit 67 Jahren noch in das Haifischbecken Berliner Regierungsviertel zu stürzen?
Ich habe nie bereut, dass wir für den SPD-Vorsitz kandidiert haben. Anstrengend waren die letzten beiden Jahre aber zweifellos. Es kostet einen enormen Energieaufwand, in einer Partei mit all den „Political Animals“ für ein Gleichgewicht zu sorgen, das alle Welt von außen betrachtet für eine Selbstverständlichkeit hält.
Einen engen und verlässlichen Schulterschluss hinzubekommen, verlangt Fingerspitzengefühl und offene Worte. Mir sagen viele, dass wir in den Parteigremien heute intern viel offener und respektvoller miteinander streiten. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum nicht mehr jede sachliche Kontroverse als Streit zwischen Personen nach außen getragen wird. Alphatiergehabe ist ein Auslaufmodell. Das sollte auch so bleiben.
Was muss die SPD jetzt tun, damit sie nicht in die alten Mechanismen der Selbstzerfleischung zurückfällt?
Wir müssen unsere eigene Erfolgsgeschichte ernst nehmen. Die hat nicht nur mit einem Kandidaten und zwei Vorsitzenden zu tun, sondern mit der Bereitschaft, dass jeder sich auch mal zurücknimmt. Mir hat es die Arbeit enorm erleichtert, dass ich das Amt als SPD-Chef nie als Plattform für die nächste Karriereambition gesehen habe. Dass Jüngere immer auch mögliche nächste Schritte im Auge haben, ist völlig normal. Es darf nur nicht zum Hauptantrieb werden, wenn man den Laden zusammenhalten will.
Können Sie sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil als neuen Parteichef vorstellen?
Selbstverständlich kann ich das. Die Zusammenarbeit von Saskia Esken und mir mit Lars Klingbeil ist eng und gut. Aber auch hier gilt: Alle Optionen und alle anstehenden Fragen besprechen wir in der Parteispitze gemeinsam. Dann werden wir der Partei einen guten Vorschlag machen.
Sie plädieren dafür, Parteivorsitz und Ministerämter weiter zu trennen. Man kann aber den Eindruck gewinnen, Saskia Esken würde gern Parteichefin bleiben und gleichzeitig Bildungsministerin werden. Würden Sie es ihr gönnen?
Wir sind beide angetreten, die Partei als Impulsgeber der Regierungsarbeit zu positionieren, und nicht als Sprecher einer Koalition. Das halte ich auch heute noch für richtig. Ich glaube, zwei Dinge haben sich als gutes Modell für die SPD erwiesen. Das erste ist die Doppelspitze. Daran sollten wir festhalten. Und das zweite ist, dass die Parteichefs keine Ämter in der Bundesregierung haben. Wir wollen eine SPD-Spitze, die im Schulterschluss mit dem Kanzler arbeitet, die sich aber nicht in einem Angestelltenverhältnis zum Kanzler aus der eigenen Partei befindet.
Dürfte eine Ministerpräsidentin wie Manuela Schwesig aus Ihrer Sicht Parteichefin werden – oder ist das nicht auch problematisch, wenn man Partei- und Regierungsämter trennen will?
Ganz unabhängig von der Person: Wenn eine Regierungschefin oder ein Regierungschef aus einem Bundesland den SPD-Vorsitz übernehmen würde, wäre das kein Problem. Das hatten wir ja schon mehrfach. In so einem Amt ist man nicht Teil der Bundesregierung und kann die Partei damit auch jenseits des Kabinetts profilieren.
FDP-Chef Lindner kommt wie Sie aus Nordrhein-Westfalen. Sie kennen ihn lange. Ist er der Richtige für ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen?
Wo sollte das Problem liegen? Christian Lindner weiß, dass er die Interessen seiner eigenen Wählerschaft vertreten, aber im Sinne des Ganzen auch kompromissfähig sein muss. Das hat er mit den Grünen und uns gemeinsam. Und das können alle Beteiligten auch.
Lindner sagt, es ein Mythos, dass die Mitte nur entlastet werden könne, wenn für andere die Steuern erhöht würden. Stimmt das, hängen Sie einem Mythos an?
Da unterscheiden wir uns. Deshalb ist das auch ein Gesprächsgegenstand. Wenn Steuersenkungen für mittlere Einkommen nicht durch einen höheren Beitrag der Topverdienenden gegenfinanziert werden, zahlt die Mitte ihre Entlastung am Ende aus der eigenen Tasche – durch den Abbau staatlicher Leistungen oder höhere Abgaben an anderer Stelle. Ein Mythos liegt darin zu glauben, dass das Geld für Steuersenkungen vom Himmel fällt.
Sie waren ja mal Landesfinanzminister. Erklären Sie uns doch, wie man unter Einhaltung der Schuldenbremse und ohne Steuererhöhungen die notwendigen Investitionen in Klima, Digitalisierung und Bildung tätigen kann – ohne dabei den Sozialstaat zu vernachlässigen oder auf die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen zu verzichten?
Alle drei Partner stehen dazu, dass wir dringend massive Zukunftsinvestitionen brauchen und dass sie viel Geld kosten. Das muss konkret mit Preisschildern versehen und die Finanzierungsquellen müssen benannt werden. Darüber sprechen wir, wenn die Ergebnisse der Arbeitsgruppen vorliegen. Schon jetzt zeigt sich aber, dass es Lösungen gibt: angefangen bei bestehenden Reserven über die Spielräume, die die Schuldenregel bietet, bis hin zu zweckgebundenen Investitionsfonds und öffentlichen Unternehmen – etwa die Förderbanken und die Immobiliengesellschaften von Bund und Ländern oder die Bundesautobahngesellschaft. Sie alle können Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Klimaschutz finanzieren helfen.
Die Linken werfen Ihnen vor, dass sie zwar Hartz IV in Bürgergeld umbenennen, sich sonst aber nichts ändert …
Das ist Unsinn. Wir sind uns nach den Sondierungsgesprächen einig, dass wir Hartz IV überwinden und mit dem Bürgergeld eine von Respekt getragene neue Basissicherung schaffen. Es geht um mehr Geld, mehr Respekt und weniger Bürokratie. Die Sätze müssen steigen, es darf keine entwürdigenden Auflagen, wohl aber eine Mitwirkungspflicht geben. Wie in der Corona-Krise sollten die Leistungsberechtigten großzügigere Regeln für Schonvermögen und bei der maximalen Wohnungsgröße gewährt bekommen. Außerdem müssen bestehende Ansprüche wo eben möglich automatisch und nicht erst nach monströsen Antragsverfahren erfüllt werden. Das ist doch ein echter Umbruch.
Werden Sie als Ex-Parteichef noch gute Ratschläge verteilen wie Sigmar Gabriel oder wollen Sie wie Andreas Nahles eisern schweigen?
Sie meinen öffentlich in Talkshows? Danke, da halte ich es eindeutig mit Andrea Nahles.