Sozialverband fordert Reform: Patienten brauchen mehr Unterstützung bei Kunstfehlern
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Bei Operationen kann es auch immer wieder zu Kunstfehlern kommen – zum Beispiel wenn Operationsbesteck im Körper zurückgelassen wird.
© Quelle: dpa
Berlin. Patienten und Patientinnen in Deutschland haben bei Behandlungsfehlern rechtlich zu wenig Chancen auf eine Entschädigung. Das bemängelt der Sozialverband Deutschland (SoVD) bei der Vorstellung des Gutachtens „Stärkung und Weiterentwicklung der Patientenrechte“ am Dienstagvormittag.
„Nach wie vor gibt es Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der sanktionslosen Patientenrechte und bei der Aufklärung des Behandlungsgeschehens – zum erheblichen Nachteil der Patientinnen und Patienten“, sagte SoVD-Präsident Adolf Bauer. „Wir wollen eine Reform des Patientenrechtegesetzes in Gang bringen.“
Um den aktuellen Stand der Patientenrechte zu erheben, hat der Verband ein rechtswissenschaftliches Gutachten bei Thomas Gutmann, Professor für Rechtsphilosophie und Medizinrecht an der Universität Münster, in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Das Patientenrechtegesetz, das vor neun Jahren in Kraft getreten ist, reicht nicht aus. „Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts haben nochmals deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber an wichtigen Stellen auf dem halbem Weg stehengeblieben ist“, sagt Gutmann.
Eines der größten Probleme bei Kunstfehlern sei die „erhebliche Informations- und Wissensasymmetrie“ zwischen Betroffenen und Behandelnden. Patienten und Patientinnen könnten daher die Umstände der Behandlung nicht nachvollziehen. Problematisch sei dies vor allem, weil Betroffene laut dem Patientenrechtegesetz beweisen müssen, dass es bei einer Behandlung zu einem Fehler gekommen ist.
Zahl der Kunstfehler unklar
Wie viele Fälle es jährlich in Deutschland gibt, ist unklar. Laut einem Gutachten der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste wurden 2020 insgesamt 4099 Fehler von Ärztinnen und Ärzten bestätigt – das entspricht jedem vierten Verdachtsfall. „Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich um ein Vielfaches höher. Viele wissen nicht, dass sie Opfer eines Behandlungsfehlers sind“, sagt Bauer.
Zu den häufigsten folgenschweren und zugleich vermeidbaren Fehlern zählen Wundliegen bei einem stationären Aufenthalt (Dekubitus), Fremdkörper, die während einer Operation im Körper zurückgelassen werden, sowie eine Verwechslung des zu operierenden Körperteils.
Daraus leiten Sozialverband und Gutmann klare Forderungen für die Bundesregierung ab. „Fehler passieren, wo Menschen handeln. Maßgeblich ist aber, dass wir aus Fehlern auch lernen und die richtigen Konsequenzen ziehen“, so Bauer.
Sozialverband fordert: Beweispflicht der Betroffenen lockern
Im ersten Schritt sollte daher die Beweispflicht der Betroffenen gelockert werden. „Die Verteilung der Beweislast entscheidet in aller Regel darüber, wer den Prozess gewinnt“, sagt Gutmann. Die Rechtslage ist dabei sehr streng. Betroffene müssen beweisen, dass der Fehler zu einem Schaden geführt hat.
Demnach würden Gerichte die Betroffenen auch abweisen, wenn der Arzt lediglich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ schuld ist. Der Rechtswissenschaftler forderte, dass Betroffene stattdessen nur den Kunstfehler nachweisen müssen, nicht aber den entstandenen Schaden. Darüber hinaus sollten sie uneingeschränkt ihre Akten einsehen können.
Der SoVD fordert zudem mehr Unterstützung durch die Kranken- und Pflegekassen, die ihre Versicherten klar und verständlich über ihre Optionen im Fall einer Klage aufklären sollen. Um Licht ins Dunkel zu bringen, plädierte Bauer außerdem für ein unabhängiges und zentrales Fehlermelderegister aller Behandlungsfehler. Dort könnten alle Informationen über Behandlungs- und Pflegefehler anonymisiert gebündelt werden. Für besonders schwere Fälle forderte er zusätzlich eine Meldepflicht.