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Neuseelands Jacinda Ardern prägte einen neuen Politikstil

Souverän – auch beim Abschied

Die Premierministerin Neuseelands, Jacinda Ardern, umarmt eine Frau nach den Anschlägen von Christchurch im März 2019.

Die Premierministerin Neuseelands, Jacinda Ardern, umarmt eine Frau nach den Anschlägen von Christchurch im März 2019.

Es gibt nur wenige Politiker und Politikerinnen, die es unaufgeregt und sachlich, ohne Populismus, an die Spitze schaffen. Und noch weniger, die dabei weder kühl noch unmenschlich oder unnahbar wirken. Jacinda Ardern ist eine von jenen seltenen Ausnahmen, ein Typus Politiker(in), den viele gar für unmöglich hielten. Dass sie nun zurücktritt, ist konsequent – aber schade für die Weltpolitik.

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Weltweit stieß die Nachricht auf Interesse, dass die Premierministerin von Neuseeland nun ihren Rückzug aus der Politik angekündigt hat. Aus zahlreichen Ländern kommen Kommentare, Abschiedsgrüße, Danksagungen – Anteilnahme, die man bei ihren Vorgängern so nicht erlebt hat. Sodann hat jene Anteilnahme auch weniger mit der Bedeutung Neuseelands zu tun und mehr mit Jacinda Arderns Politikstil.

Ihre Sensibilität hob Jacinda Ardern von anderen Politikern ab

Die 42-Jährige ist der Gegenentwurf zu dem, was Politik sonst allzu oft vermittelt: Dass man nur mit Härte und Stärke nach ganz oben kommen könne, dass man Ellbogen und eine gewisse Kaltschnäuzigkeit brauche. Sie erzählte einst, dass sie daran gezweifelt habe, hart genug für die Spitzenpolitik sei. Doch ihre Sensibilität, ihre Menschlichkeit war es, die sie abhob. Etwa, als sie nach dem fremdenfeindlichen Anschlag in Christchurch mit 51 Toten Hinterbliebene umarmte und dabei ein Kopftuch trug.

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Als Frau gebar sie während ihrer Amtszeit ein Kind, nahm es als Politikerin mit zu Konferenzen und ließ zu, dass das Kind eine Onlinekonferenz unterbrach. Als Mutter fuhr sie mit Kindersitz in ihrem Dienstwagen. Sie bezahlte die Rechnung für eine Mutter an der Supermarktkasse, die ihre Geldbörse vergessen hatte. Sie reagierte als Politikerin schlagfertig, wenn ihr aufgrund ihres Geschlechts und Alters Fragen gestellt wurden, die Männern in Machtpositionen so nicht gestellt werden.

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern will zurücktreten

Die 42-jährige Politikerin, die zeitweise mit Tränen kämpfte, sagte, ihre fast sechs Jahre als Premierministerin seien eine harte Zeit gewesen.

Spitzenpolitikerin, aber auch Frau, Freundin und Mutter

Ardern war eine junge, ehrgeizige Politikerin, die ihr Leben nicht gänzlich der Politik unterordnete. Sie blieb auch Jacinda Ardern, die Frau, Freundin, Mutter – ähnlich wie Sanna Marin in Finnland, die in Jeansshorts und Lederjacke aufs Festival geht und auf Partys tanzt. Ob Neuseeland, ob die Welt wirklich eine authentische Jacinda Ardern kennengelernt hat, wird wohl nie bekannt werden. Ardern ist auch PR-Strategin, studierte Kommunikationswissenschaften. Kritikerinnen und Kritiker warfen ihr immer wieder Selbstinszenierung vor.

Konsequent war sie vor allem in den ersten Jahren ihrer Zeit als Premierministerin. Nach dem Anschlag in Christchurch setzte sie beispielsweise eine Verschärfung des Waffenrechts durch. In der Corona-Pandemie machte Neuseeland mit der Zero-Covid-Strategie auf sich aufmerksam, monatelang war Neuseeland isoliert, selbst Neuseeländerinnen und Neuseeländer durften nicht in ihr Heimatland einreisen. In der Corona-Pandemie wollte sie Vorbild sein, kürzte sich selbst das Gehalt.

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Arderns Wiederwahl war ungewiss

Einst eine der beliebtesten Politikerinnen überhaupt, verlor sie zuletzt aber auch in Neuseeland Rückhalt. Die Wiederwahl im Oktober war nach Umfragen nicht mehr gewiss.

Nun tritt Ardern zurück, weil sie offenbar keine Energie mehr für das Amt hat. Der Tank sei leer und sie könne die Anforderungen, die an eine Premierministerin gestellt werden, nicht mehr erfüllen. Mit den Umfragewerten habe es nichts zu tun, sagte sie, im Gegenteil. Gerade weil sie glaube, dass die Arbeiterpartei auch nach den Wahlen noch regieren werde, habe sie sich die Frage stellen müssen, ob ihre Kraft reiche.

Jacinda Ardern braucht die Macht nicht für ihr Ego

Selbst in ihrem Rückzug beweist Jacinda Ardern damit eine gewisse Souveränität: Sie besitzt nicht die Eitelkeit, die Menschen in Machtpositionen oft nachgesagt werden. Sie klebt nicht an ihrem Amt, sie braucht die Macht offenbar nicht für ihr Ego und scheint sich bewusst zu sein, dass sie ersetzbar ist. Sie sagt, sie hoffe, dass die Menschen sähen, dass man die Art von Führungsperson sein könne, die wisse, wann es Zeit sei, zu gehen. Dass sie ihren Freund vor laufenden Kameras auffordert, endlich zu heiraten, und ihrer Tochter in ebenjenem Setting mitteilt, dass sie sich auf ihre Einschulung freue, passt dazu.

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Jacinda Ardern sendet nicht nur in ihrer Funktion als Politikerin und Staatschefin, sondern auch bei ihrer Rücktrittserklärung eine Botschaft an ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger. Sie hoffe, sie hinterlasse den festen Glauben daran, dass man gütig, aber stark sein könne, empathisch, aber entschlossen, optimistisch, aber zielgerichtet. Die Worte sollen all jene ermutigen, die politische Visionen haben, aber zweifeln, ob sie genug Ellbogen zeigen können. Und genau als solches Vorbild wird sie fehlen – weil es zu wenige Jacinda Arderns in der Weltpolitik gibt.

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