„Jagen, fischen, imkern“

Das Imageproblem des Christian Lindner

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, nimmt an einer Sitzung des Bundestags am 20.10.2022 teil.

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, während einer Sitzung des Bundestags am Donnerstag.

Zu den zahlreichen Klischees, die sich um Christian Lindner ranken, ist am Donnerstag ein weiteres hinzu­gekommen. Dass des Ego-Dads. In einem Porträt der Wochenzeitung „Zeit“ heißt es, Lindner habe eine Vereinbarung mit seiner Frau Franca Lehfeldt getroffen: „Irgendwann ist er dran mit der Care-Arbeit, wenn die Kinder da sind. Er habe da schon seine Vorstellungen: Bücher schreiben, vielleicht promovieren, jagen, fischen, imkern. Es gebe auch ein Leben ohne die Politik, Medien, den ganzen Rummel.“

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Ein indirektes Zitat. Effektvoll am Ende des Artikels platziert. Jagen, Fischen, Imkern. Eine dankbare Vorlage, vor allem für das Twitter-Publikum, das die Aussage oftmals so interpretiert: ein FDP‑Minister, der die Sorge-Arbeit von Millionen Eltern lächerlich macht.

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Lindner selbst twitterte am Freitag, es sei kein Zitat von ihm, sondern eine „missverstandene Darstellung des Autors“. Dazu schrieb er: „Meine Meinung ist klar: Care-Arbeit und Freizeitaktivitäten sind nicht dasselbe.“ Auch der Autor selbst beteuert, die Aufzählung der Dinge beziehe sich auf Lindners mögliches Karriereende als Spitzenpolitiker.

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„Dornige Chancen“, Porsche, Sylt

Tatsächlich wäre es kaum vorstellbar, dass ein Profi wie Lindner ein viel diskutiertes Thema wie Care-Arbeit mit derart elternzeitinkompatiblem Amüsement verknüpft. Schon gar nicht gegenüber Journalisten. Doch die öffentliche Wahrnehmung des Finanzministers ist so gesättigt mit elitären Eigenschaften, dass dieses Jagen-Fischen-Imkern-Promovieren – selbst im falschen Kontext – perfekt ins Lindner-Bild passt. Und deshalb so glaubwürdig erscheint.

Anders gesagt: Es überrascht keinen.

Die wirkliche Überraschung wäre gewesen, Lindner hätte zusätzlich gesagt, er stelle sich Care-Arbeit als fürsorglicher Papa auf dem Spielplatz vor – oder Gute-Nacht-Lieder summend auf der Bettkante. Die meisten dürften es für wahrscheinlicher halten, dass er diese Arbeit einem Kindermädchen überlässt, während er im grünen Anorak durch den Forst streift.

So aber fließen die Hobbys in jenen Lebensentwurf ein, den Lindner selbst öffentlich verbreitet: Er ist der forsche Jungunternehmer, der in Problemen „dornige Chancen“ sieht. Ein bekennender Porsche-Fan und Tempolimitgegner. Er hat eine Rennfahrerlizenz und arbeitet gerade am kleinen Reitabzeichen. Er ist jemand, der in der Krise Traumhochzeiten auf Sylt feiert.

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Lindner und seine Frau Franca Lehfeldt kommen nach der kirchlichen Trauung aus der Sylter Kirche St. Severin.

Lindner und seine Frau Franca Lehfeldt kommen nach der kirchlichen Trauung aus der Sylter Kirche St. Severin.

Lindner wirkt mitunter derart entrückt, dass man ihn fast als versnobbte Kunstfigur wahrnimmt, als Politiker­konzept, hinter dem der Mensch dahinter vollkommen verschwindet.

Wie andere Politiker ihr Image polieren

Nun ist es nicht das oberste Gebot für Politiker und Politikerinnen, möglichst nahbar rüberzukommen. Ab und zu lassen sie diesen Blick hinter die Fassade aber zu. Von Merkel gab es die Wander- und Fußballjubelbilder. Sie erzählte von der Pommerschen Kartoffelsuppe, die sie so gerne isst. Habeck setzt sich im Schneidersitz auf Bahnsteige und antwortet pampig im „Tagesthemen“-Interview. Selbst Scholz gelang es jüngst in der General­debatte aus seiner Scholzigkeit auszubrechen und emotional zu wirken.

Bei Lindner dagegen ist alles Kontrolle, Berechnung, so scheint es. Er gilt als Selbstoptimierer und Karrierist, zu dem es eben passen würde, Care-Arbeit als Selfcare zu verstehen. Ein Posterboy für all jene, die sich vor­stellen könnten, die Elternzeit zu nutzen, um die Aktienrente des Filius aufzubauen – und darüber ein Buch zu schreiben.

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Selbst wenn Lindner es mal legerer versucht wie neulich über Instagram, als er ein Bild vom Berliner Schlachten­see postete, lautet einer der Topkommentare: „Das Letzte, was du siehst, bevor der Schlachtensee privatisiert wird.“ Seine Person wird stets mit neoliberaler Marktliebe und Egoismus verbunden.

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Polarisiert Lindner zu stark?

Dabei wird jede Äußerung, die von seinem Markenkern abweicht, dankbar aufgenommen. Als Lindner etwa schon im September im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) verriet, sich dem Imkern widmen zu wollen. Das kannte man so noch nicht von ihm, der Satz schlug sich auch bei vielen anderen Medien in der Überschrift nieder.

Nun ist es Lindner unbenommen, sich so zu geben, wie er möchte. Mit seinem dosierten Draufgänger- und Macher-Image grenzt er sich von einer grünen und linken Klientel ab, die ihn sowieso nie wählen würde – und bedient damit die Wählerschaft seiner eigenen Partei. Ein großer Wahlerfolg mit ihm als Spitzenkandidat, so wie es Guido Westerwelle 2013 gelang, ist ihm so aber nicht zuzutrauen. Dazu polarisiert er zu stark: Finanz-Skills ja, Soft Skills eher nicht.

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Eine Recherche des „Spiegel“ stärkt nun die Vorurteile gegen ihn: So soll er einen großzügigen Immobilien­kredit von einer Bank bekommen haben, für die er unter anderem in einem Imagefilm warb. Es gehe um eine Millionenvilla im noblen Berliner Vorort Nikolassee. Von hier aus muss man zum Jagen und Fischen auch nicht so weit rausfahren.

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