Sechs Forderungen für erste 100 Tage: Fridays for Future macht Druck auf nächste Regierung
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Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future stellt bei einem Pressegespräch im Berliner Naturkundemuseum die Forderungen vor, die eine neue Bundesregierung in den ersten 100 Tagen erfüllen soll.
© Quelle: Paul Zinken/dpa
Berlin. Ein breites Aktionsbündnis aus Klimaschutz- und sozial engagierten Gruppen hat ab diesem Freitag zu einem Protestwochenende in Berlin aufgerufen. Die geplanten Streiks und Aktionen sind eine Reaktion auf die aus Sicht der Bewegung unzureichenden Sondierungsergebnisse einer möglichen Ampelkoalition.
Zugleich haben die Klimaaktivistinnen und -aktivisten von Fridays for Future einen Forderungskatalog für die ersten 100 Amtstage der neuen Bundesregierung präsentiert: Sie fordern darin sechs radikale Maßnahmen, damit Deutschland das Pariser 1,5-Grad-Ziel einhält, bei dem die Erderhitzung möglichst begrenzt werden soll.
Dazu gehören etwa der sofortige Ausstieg aus allen fossilen Energien, eine Versiebenfachung des Ausbaus der erneuerbaren Energien sowie ein Produktionsstopp für Verbrennermotoren bis 2025.
Ihre Forderungen haben die Aktivistinnen gemeinsam mit Wissenschaftlern von Scientists for Future am Mittwoch symbolträchtig im Berliner Naturkundemuseum vorgestellt. Wichtigstes Element ist die Verabschiedung eines 1,5 Grad-konformen CO₂-Budgets, das eine verbindliche Grundlage zur Emissionsreduktion darstellt.
Alle Gesetze und Infrastrukturprojekte sollen auf ihre Klimakompatibilität überprüft werden. Deutschland solle zudem seine historische Verantwortung beim Klimaschutz übernehmen und jährlich mindestens 14 Milliarden Euro für die internationale Klimafinanzierung leisten, fordern die Aktivisten.
Klimawissenschaft: Sofortige Maßnahmen nötig
„Wir erwarten nichts weniger als eine Regierung, die alles in ihrer Macht stehende tut, um die größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte abzuwenden“, sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Rahmen der Pressekonferenz vor Dinosaurier-Skeletten.
Alle Parteien hätten versprochen, das Pariser Abkommen einzuhalten. Zum 1,5 Grad-Ziel zu stehen, ohne konkret zu sagen, wie man es erreichen will, sei „eine Bankrotterklärung, bevor die Regierungsarbeit überhaupt begonnen hat“, so Neubauer.
Die Klimawissenschaftler Niklas Höhne und Volker Quaschning von den Scientists For Future betonen derweil die Dringlichkeit der sofortigen Maßnahmen. „Wir befinden uns in einer Notfallsituation, und es bedarf Notfall-Maßnahmen, um die Klimakrise zu bewältigen“, mahnt Höhne vom New Climate Institute. „Es geht nicht darum elegant zu bremsen, sondern überhaupt rechtzeitig zum Stoppen zu kommen.“
Die Veränderungen seinen schon jetzt bei einem Temperaturanstieg von 1,2 Grad für alle spürbar. Bei 2 Grad Temperaturerhöhung würden sich die Schäden verdoppeln und der Klimawandel unbeherrschbar werden.
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Pressetermin vor Dinosaurier-Skeletten: Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, begrüßt die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (v. l.) und Annika Rittmann, sowie die Professoren Volker Quaschning und Niklas Höhne von den Scientists For Future.
© Quelle: imago images/Eibner
Klimastreik vor Brandenburger Tor verlegt
Um ihren Forderungen an eine neue Bundesregierung Ausdruck zu verleihen, findet am Freitag in Berlin vor dem Brandenburger Tor ein zentraler Klimastreik statt. Ursprünglich war die Demonstration vor dem Kanzleramt geplant, wurde jedoch laut Fridays for Future wegen des zu erwartenden Zulaufs vor das Brandenburger Tor verlegt. Um möglichst viele Menschen in die Hauptstadt zu bringen, haben die Veranstalter im Vorfeld Busse und Züge aus vielen Orten in Deutschland organisiert.
„Der Streik macht einmal mehr deutlich, dass unsere Zukunft, das 1,5 Grad Ziel, nicht verhandelbar ist. Das ist bereits der Kompromiss“, sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer sagte im Vorfeld des Protests dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir sind mehr als gewillt, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um den Druck aufrechtzuerhalten und notfalls zu erhöhen.“ Die verhandelnden Parteien wüssten genauso gut wie die Klimabewegung, dass es jetzt ihre Aufgabe sei, das 1,5 Grad-Ziel zu erfüllen, so Neubauer. „Wir lassen auf gar keinen Fall locker.“
Umwelt- und Soziale Bewegungen protestieren zusammen
Parallel zu den Koalitionsverhandlungen machen am Wochenende auch viele andere Klima- und Umweltschutz- sowie soziale Gruppen ihrem Unmut über die Sonderungsergebnisse Luft, darunter Extinction Rebellion, die Seenotretter Sea Watch, Ende Gelände und die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Der Klimastreik am Freitag ist Teil einer Aktionswoche der Klima- und sozialen Bewegungen in der Hauptstadt, die bis zum 29. Oktober stattfindet.
Ronja Weil, Sprecherin von Extinction Rebellion kritisierte gegenüber dem RND, das Sondierungsergebnis zeige, worauf man sich einstellen könne: „Die Ungleichheit in Deutschland wird sich mit dieser Regierung weiter verschärfen, da sie kaum eine der brennenden sozialen Fragen ernsthaft angeht. Weiterhin wird es keine höhere Besteuerung der Reichen geben, keine Erbschaftssteuer für Unternehmen, keinen Mietendeckel.“ Auch dem Thema Flucht werde im Sondierungspapier nur ein Mini-Absatz gewidmet.
Neben dem globalen Klimastreik soll daher am Sonntag eine bewegungsübergreifende Demonstration unter dem Motto „Solidarisch geht anders!“ stattfinden. Zusätzlich plant Extinction Rebellion ab Freitag Aktionen zivilen Ungehorsams. Man wolle an den Orten der Koalitionsverhandlungen und der Klimazerstörung präsent sein, sagte Weil dem RND.
Grüne sehen Proteste positiv
Die Grünen begrüßen derweil die Protestankündigungen. „Die Demos und Proteste kommen jetzt zur richtigen Zeit“, sagte der stellvertretende Grünen-Vorsitzende Oliver Krischer dem RND. „An den Grünen wird keine wirkungsvolle Maßnahme beim Klimaschutz scheitern“, betont Krischer.
Mit dem Sondierungspapier habe man einen guten Auftakt hingelegt: „Mit dem schnelleren Kohleausstieg, der definierten Ausbauoffensive für Erneuerbare Energien und dem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor sind wichtige Schritte vereinbart.“
Das sei „definitiv das Einschwenken auf den 1,5 Grad-Pfad“ und werde eine historische Transformation und Kraftanstrengung. Krischer: „Jetzt muss das in Verhandlungen weiter ausbuchstabiert und konkretisiert werden.“