Schulze zum knappen Weizen: „Mir ist der Teller wichtiger als der Tank“
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Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
© Quelle: imago images/epd
Berlin. Frau Schulze, der Überfall Russlands auf die Ukraine hat eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Millionen sind auf der Flucht, weltweit wächst der Hunger. Aber die Koalition kürzt die Entwicklungshilfe. Wie passt das zusammen?
Das passt eindeutig nicht zusammen. Der Etatentwurf der Bundesregierung ist nur ein Zwischenstand. Zwar wird voraussichtlich das Ziel erreicht, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Entwicklungszusammenarbeit zu reservieren. Aber das reicht nicht – es gibt schließlich eine noch nie dagewesene Häufung von Krisen. Der russische Angriff auf die Ukraine kommt ja zur Corona-Pandemie, zum Artensterben und zum Klimawandel noch dazu – und all das ist wiederum verbunden mit Ernährungskrisen und Fluchtbewegungen. Ich erwarte deshalb, im Ergänzungshaushalt zusätzliche Mittel für die Abfederung der Folgen des Ukraine-Kriegs für die Entwicklungszusammenarbeit zu bekommen.
Für die Bundeswehr sollen zusätzlich 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden – und Sie müssen um jeden Euro kämpfen. Sind die Schwerpunkte richtig gesetzt?
Man darf militärische Sicherheit und Prävention nicht gegeneinander ausspielen. Dieser Krieg ist eine Zeitenwende. Wir müssen unsere Soldatinnen und Soldaten bestmöglich ausrüsten. Deutschland muss im militärischen Bereich wieder mehr investieren, auch für unsere eigene Sicherheit. Deshalb ist es gut, dass dieses Sondervermögen eingerichtet wird.
Ist es die richtige Strategie, mehr Geld in die Bundeswehr zu investieren, statt erst mal die bisherige Misswirtschaft zu beseitigen?
Das Management der Bundeswehr wird sich durch die neue starke Frau an der Spitze, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, verbessern. Davon bin ich fest überzeugt.
Die Koalition hat vereinbart, dass die Ausgaben für Entwicklungshilfe im gleichen Maße steigen wie die für Verteidigung. Die Kopplung gilt im Falle des Bundeswehr-Sondervermögens nicht. Stört Sie das?
Wenn man die für die Bundeswehr nötigen Milliarden aus dem normalen Haushalt finanziert hätte, dann wären in allen Ressorts massive Einsparungen nötig geworden. Das wurde mit dem Sondervermögen verhindert. Im normalen Haushalt muss es die Kopplung von Wehr- und Entwicklungsausgaben natürlich weiterhin geben. Auch deshalb bin ich zuversichtlich, dass die verfügbaren Mittel für das Entwicklungsministerium noch deutlich steigen werden.
Sie haben angekündigt, für die akute Hilfe im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine 45 Millionen Euro aus laufenden Programmen Ihres Ministeriums umzuschichten. Reicht das?
Nein, darum waren die 45 Millionen auch nur ein Zwischenstand. Stand heute sind wir dabei, rund 80 Millionen Euro aus dem BMZ-Haushalt für die akuten Bedarfe der Ukraine umzuschichten – und das ist nur ein Bruchteil dessen, was die Bundesregierung insgesamt schon für die zivile Hilfe mobilisiert hat.
Wir müssen uns die Dimension dieser Katastrophe klarmachen: Auf unserem Kontinent gibt es eine Fluchtbewegung wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Vier Millionen Ukrainer sind bereits ins Ausland geflohen. Mehr als sechs Millionen Menschen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht, auch diese Binnenvertriebenen darf man nicht vergessen. Die Menschen brauchen Strom und Wasser, sie brauchen ein Dach über dem Kopf.
Wir werden darum im Entwicklungsministerium unsere Aufbauhilfe ausweiten. Dazu kommt ein Vielfaches an zivilen Hilfen aus anderen Ministerien, die Zahlen entwickeln sich täglich weiter. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, mit all unserer Kraft zu helfen.
Welche Hilfsprojekte laufen bereits?
Das Geld aus dem Etat des Entwicklungsministeriums unterstützt unter anderem Unicef, die Menschen auf der Flucht versorgen und psychologisch betreuen. Viele Geflüchtete haben grauenhafte Dinge erlebt und sind traumatisiert. Binnenvertriebenen helfen wir durch sozialpsychologische Betreuung und den Aufbau von Unterkünften. In Moldau, wo die Geflüchteten mittlerweile 4 Prozent der Bevölkerung ausmachen, helfen wir Kommunen bei der Integration und der Arbeitsvermittlung.
Sollte Deutschland seinen Beitrag zum UN-Welternährungsprogramm aufstocken, das die Hälfte seines Getreides aus Russland und der Ukraine bekommt?
Ja, das werden wir machen. Ich habe dafür zusätzliche Mittel beantragt, und der Bundeskanzler hat diese Hilfen beim G7-Treffen vergangene Woche auch bereits angekündigt.
Russland und die Ukraine sind große Getreideexporteure. Welche Auswirkungen befürchten Sie, wenn die Exporte ausbleiben?
Wir müssen verhindern, dass wegen stark steigender Getreidepreise noch mehr Menschen Hunger leiden. Eine schlechte Versorgungslage mit Grundnahrungsmitteln kann Staaten destabilisieren. Das haben wir mit den steigenden Brotpreisen im arabischen Raum im vergangenen Jahrzehnt gesehen.
Der Weizen ist knapp geworden. Sollten Deutschland und die EU aufhören, Weizen zu verfüttern oder für Biokraftstoffe zu verwenden?
Wenn ein Produkt knapp ist, muss der Verbrauch gedrosselt werden. Getreide gehört zuallererst auf den Tisch – und zwar ohne den Umweg über den Futtertrog. Damit ein geschlachtetes Schwein eine Kalorie liefert, muss es zu Lebzeiten drei Kalorien pflanzliche Nahrung vertilgen. 60 Prozent des weltweit produzierten Maises wird an Tiere verfüttert, in der EU ist es bei Weizen ähnlich.
Ich will niemandem Vorschriften beim Essen machen, aber schon auf einen wichtigen Zusammenhang hinweisen: Es würde der Getreideversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern mittel- und langfristig sehr helfen, wenn wir in den reichen Ländern weniger tierische Produkte essen würden. Wenn wir in Deutschland die Schweinefleischproduktion um 30 Prozent reduzieren würden, wäre eine Ackerfläche von einer Million Hektar frei – etwa einem Zehntel der Ackerfläche in Deutschland. Darauf könnte man fünf Millionen Tonnen Getreide anbauen. Das geht nicht über Nacht. Aber längerfristig würde das die Versorgungslage verbessern.
Wie sieht es beim Biosprit aus?
Mir ist der Teller wichtiger als der Tank. Ich sehe den Einsatz von Nahrungsmitteln im Tank daher sehr kritisch. Als Umweltministerin habe ich den Einsatz von Mais und Getreide im Tank klar begrenzt, Vorgaben für den Einsatz von Reststoffen verschärft und zugleich den Schwerpunkt auf Elektromobilität gelegt. Wir brauchen angesichts der drohenden Ernährungskrise Getreide, um Menschen zu versorgen. Wir werden kurzfristig auch Mais brauchen, um Teile des russischen Erdgases mit heimischem Biogas zu ersetzen. Im Tank sind Mais und Getreide in diesen schwierigen Zeiten dagegen am schlechtesten aufgehoben. Ich bin daher dafür, hier noch mal zu prüfen, ob es Spielräume für schnelle Anpassungen gibt.
Wer ist Svenja Schulze?
Die SPD-Politikerin Svenja Schulze war in der großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) Umweltministerin. Seit dem Regierungswechsel im Dezember 2021 steht die 53-jährige Politikwissenschaftlerin an der Spitze des Ressorts für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Die EU-Kommission hat gerade die Vorlage der Vorschläge für Pestizidreduzierung und mehr Biodiversität verschoben. Die mit Blick auf Klimaschutz geplante Flächenstilllegung steht infrage.
Ich sehe mit großer Sorge, dass die Biodiversität in den Hintergrund rückt und manche versuchen, die begonnene Agrarwende zurückzudrehen. Klimawandel und Artensterben bleiben, auch das wird künftig massive Auswirkungen auf die Versorgung haben. Die Landwirtschaft muss nachhaltiger und resilienter werden. Das ist kein Luxus, den man verschieben kann, sondern das ist aktive Krisenprävention für die Zukunft.
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© Quelle: Reuters
Besteht die Gefahr, dass über den russischen Krieg in der Ukraine andere Krisen in Vergessenheit geraten?
Wir dürfen nicht den Fehler machen, andere Krisen zu vergessen. Die Klimakrise bleibt, Corona ist noch nicht vorbei. In Afghanistan wurden gerade die Sekundarschulen doch nicht für Mädchen wieder geöffnet – entgegen der Ankündigung durch die Taliban und mit einer windigen Ausrede. Das verwehrt Mädchen das Menschenrecht auf Bildung. Das geht so nicht – da werden wir weiter Druck machen.
Muss der Koalitionsvertrag neu geschrieben werden angesichts der neuen Lage, der „Zeitenwende“?
Ich finde diese Frage eigenartig. Auch frühere Bundesregierungen mussten mit Krisen umgehen, die nicht absehbar waren. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass jemand beispielsweise während der Bankenkrise oder zu Beginn der Corona-Pandemie gefragt hätte, ob die regierenden Parteien den Koalitionsvertrag neu verhandeln müssten.