Schon gehört? Hörgeräte werden billiger
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CVS, Walmart und Walgreens gehören zu den großen Drogerieketten, die jetzt nach jahrzehntelangem Streit mit dem Fachhandel Hörgeräte ohne jeden Zettelkram verkaufen dürfen.
© Quelle: AP
Liebe Leserinnen und Leser,
jenseits des Atlantiks hat nach jahrelangem Gerangel eine leise Revolution stattgefunden: Hörgeräte gibt es in den USA seit Montag nicht mehr nur in Spezialgeschäften, sondern in jeder Drogerie. Das ist so, als würden in Deutschland Rossmann und dm das Thema Schwerhörigkeit in die Hand nehmen. Die US‑Drogeriekette CVS zum Beispiel bietet Hörgeräteeinsteigern seit Montag ein Paar für 199 Dollar.
Willkommen zu unserem Newsletter „What’s up, America?“ – der diesmal mit einem Thema beginnt, das mehr Amerikaner betrifft, als man denkt. Etwa 30 Millionen Menschen in den USA haben einen Hörverlust. Aber nur etwa jeder fünfte Betroffene hat ein Hörgerät.
Viele Amerikaner zögerten beim Griff zum Hörgerät, weil ihnen die Prozeduren zu umständlich waren und die Geräte zu teuer. Rezeptpflicht und Bindung an den Fachhandel führten dazu, dass unterm Strich oft mittlere vierstellige Summen aufzubringen waren – für die in schlecht versicherten einkommensschwachen Familien oft das Geld fehlte.
US‑Präsident Joe Biden hatte sich dieses Themas schon kurz nach seiner Amtsübernahme angenommen und Besserung versprochen – auf amerikanische Art: Preissenkung durch Liberalisierung.
Ein Erfolg drei Wochen vor der Wahl
Anfangs leisteten Lobbyisten aus Kreisen von Medizinern, Industrie und Fachhandel Widerstand. Doch Biden blieb hart und wies durch ein präsidentielles Dekret (executive order) die Gesundheitsbehörden an, eine Regelung zu erlassen, die ausdrücklich den sogenannten Over-the-Counter-Verkauf (OTC) zulässt. Damit wurde ein seit Jahrzehnten laufender Machtkampf entschieden.
Das Ergebnis ist ein beträchtlicher Wandel:
- Die Kette Walgreens wirbt jetzt von Küste zu Küste für ein hochwertiges „Crisp and Clear“-Angebot für 799 Dollar pro Paar. Nach Angaben des Unternehmens kosteten vergleichbare Geräte zuvor 2000 Dollar und mehr.
- Best Buy bietet seinen Kunden seit Montag 20 verschiedene OTC-Geräte, von 200 bis 3000 Dollar.
- Nach Schätzungen der staatlichen Food and Drug Administration (FDA) können Betroffene mit milden bis mittleren Hörproblemen mit Einsparungen von mehr als 1400 Dollar rechnen. In schweren Fällen bleiben Ärzte und Spezialisten zuständig.
Biden ließ die Neuerung mit unverkennbarem Stolz in einer offiziellen Bekanntmachung des Weißen Hauses verbreiten. Der Zeitpunkt scheint dem Präsidenten zu gefallen – drei Wochen vor den Zwischenwahlen zum Kongress am 8. November. Zuvor hatte Biden bereits Preissenkungen bei zahlreichen Medikamenten durchsetzen können und damit ebenfalls vor allem bei älteren Wählern Punkte gesammelt.
Gute Nachrichten für die Jüngeren
Doch auch für die jüngeren Amerikaner gibt es jetzt gute Nachrichten. Zu Beginn dieser Woche lief das von Biden im Wahlkampf 2020 versprochene Programm zur Entschuldung von Studierenden (student debt relief) vom Stapel.
Wer in seiner Studienzeit ein Studentendarlehen aufgenommen hat, kann jetzt beantragen, dass 10.000 US‑Dollar an Bundesschulden erlassen werden. Für das Programm gilt eine Einkommensgrenze von 125.000 US‑Dollar für Singles und 250.000 US‑Dollar für verheiratete Paare. Biden will auf diese Art jungen Familien helfen, die Verschuldung früher abstreifen und etwa in einen Hauskauf investieren zu können. Die Behörden rechnen mit 40 Millionen Anträgen. Auch in diesem Fall übernahm in dieser Woche das Weiße Haus selbst die Unterrichtung der Öffentlichkeit über alle Details.
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Der Präsident rückt das Soziale in den Mittelpunkt: Joe Biden bei einem Auftritt vor Bauarbeitern am 13. Oktober in Los Angeles.
© Quelle: IMAGO/UPI Photo
Gute Nachrichten für viele Ältere plus gute Nachrichten für viele Jüngere: Wie sehr werden Biden und seine Demokraten davon politisch profitieren?
Das Repräsentantenhaus dürfte kippen
Am 8. November werden das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Bislang dominieren Bidens Demokraten beide Häuser. Das Repräsentantenhaus dürfte Umfragen zufolge für die Demokraten nicht zu halten sein – was historisch keine Schande wäre: Auch Donald Trump und Barack Obama erlebten zwei Jahre nach der Präsidentenwahl ein Umkippen des Repräsentantenhauses ins gegnerische Lager.
Auch Biden wird dies wohl nicht verhindern können. Inflation und hohe Benzinpreise befeuern derzeit die Wahlkämpfe der Republikaner. Für den Präsidenten ist aber wichtig, dass sich das Ausmaß der absehbaren Pendelbewegung einigermaßen in Grenzen hält.
Die Aussichten auf eine Schadensbegrenzung dieser Art sind gar nicht so schlecht. Der jetzt anhebende Streit um Abtreibungsregelungen auf der Ebene einzelner Bundesstaaten etwa wirkt sich zugunsten der Demokraten aus. Gleiches gilt für das bei vielen Wählern unpopuläre Vorhaben der Republikaner, die unter Obama erreichten Verbesserungen in der Krankenversicherung für sozial Schwache wieder abzuschaffen.
Und nun kommt auch noch Bidens Coup bei den Hörgeräten hinzu. Wie sehr ein Detail wie dieses politisch wirksam wird, kann niemand sagen. Voraussetzung ist freilich, dass den Betroffenen die Sachen noch vor der Wahl zu Ohren kommt... Excuse the pun, aber dieser eine kleine Scherz muss erlaubt sein.
Facts and Figures: die unverschämten Trumps
Bevor Donald Trump 2017 als Präsident vereidigt wurde, übertrug er die Führung seiner Unternehmen an Angehörige – „um Interessenkonflikte auszuschließen“. Dass diese Maßnahme nur in begrenztem Maße hilfreich sein würde, die Geldgier des Clans zu zügeln, konnte man ahnen. Inzwischen steht fest: Das Management der Trump-Hotels zögerte nicht, die Sondersituation auszunutzen, um auf Kosten der Steuerzahler die Kasse der Familie zu füllen.
Schamlos rechneten Trump-Hotels für die bei ihnen übernachtenden Beamten des Secret Service nie dagewesene Zimmerpreise ab. Nach Dokumenten aus dem House Oversight Committee wurden bis zu 1185 US‑Dollar pro Zimmer und Nacht aufgerufen, fast das Fünffache des von der Regierung festgelegten üblichen Satzes.
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Geschäftsmodell ganz eigener Art: Trump-Hotel in Washington, D. C.
© Quelle: Alex Brandon/AP/dpa
Den früheren US‑Präsidenten führte 547-mal der Weg bei Reisen aller Art in familieneigene Hotels. Die Übernachtungen für die Personenschützer, die auf ihn und seine Familie aufpassten, beglich stets der Steuerzahler – ein Geschäftsmodell ganz eigener Art.
Deep Dive: Dienstpflicht für alle?
Was könnte man tun, um die tief gespaltene amerikanische Gesellschaft wieder ein Stück zusammenzuführen? Debatten dieser Art laufen derzeit in den USA auf allen Ebenen, unter Politikern, Intellektuellen und Künstlern.
Neuerdings liebäugeln einige Amerikaner sogar mit einer ziemlich unamerikanischen Idee: einer Dienstpflicht für alle.
Bill Bishop zum Beispiel, Autor eines Standardwerks über das Auseinanderdriften der Amerikaner („The Big Sort: Why the Clustering of Like-Minded America is Tearing Us Apart“), überraschte dieser Tage auf CNN mit einem Appell für einen „obligatorischen Nationaldienst“. Da könne es um Umweltprojekte gehen, um Soziales oder was auch immer. Die Idee sei, dass man für ein oder zwei Jahre Menschen aus unterschiedlichen Milieus zusammenführe und auf diese Art endlich mal wieder einen „gemischten Salat“ zusammenwerfe „aus Klasse, Rasse, Religion, Partei und Lebensweise“. Das Motto müsse sein: „Nicht reden – machen.“
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Auf der Suche nach einem Gegenmittel zu Spaltung, Hasskampagnen und rechtem Populismus: Francis Fukuyama, Historiker in Stanford, Buchautor und Philosophieweltstar, rät nicht nur den USA, sondern allen westlichen Demokratien zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht.
© Quelle: picture alliance/AP Images
Auch der weltbekannte kalifornische Philosoph und Historiker Francis Fukuyama plädiert für eine Dienstpflicht – nicht zuletzt als Ausweg aus den festgefahrenen Identitätsdebatten. Das Gemeinschaftsgefühl in einer modernen Nation könne damit massiv gestärkt werden, glaubt er. Fukuyama rät nicht nur den USA, sondern allen westlichen Demokratien zur Dienstpflicht und sieht sie als Gegenmittel zu Hasskampagnen und rechtem Populismus.
Schon im Jahr 2019 sagte Fukuyama in einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland: „Damit würden alle jungen Menschen zusammenrücken, egal, welcher sozialen Schicht sie angehören, welche Hautfarbe oder Religion sie haben. Älteren Einheimischen würde zugleich klar: Hier kommen junge Leute, die nach Regeln spielen, die etwas tun für alle“.
Way of Life: Gemütlichkeit im Herbst
Wohin im Herbst? Amerikanische Reiseexperten reagieren, auch wenn sie weit gereist sind, auf diese Frage mit Tipps für Urlaub im eigenen Land. Tatsächlich ist der Herbst wohl nirgendwo schöner als im stark belaubten und wenig belebten Nordosten der USA. Der Indian Summer in den Wälder der Neuenglandstaaten ist zwar keine Neuentdeckung, doch seine Magie hat er nicht verloren. Das hat nicht nur mit Optik zu tun, sondern auch mit Biodiversität: „Wir haben im Vergleich zu Westeuropa zehnmal mehr Baumarten, die die Farbe ihrer Blätter wechseln“, trommelt die Non-Profit-Organisation American Forests.
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„Ein starker Anwärter auf Amerikas Hygge-Reiseziel Nummer eins“: Stowe, Vermont.
© Quelle: VisitNewEngland.com
Wohin aber genau soll man als Urlauber marschieren? Die „Washington Post“ war dieser Tage unterhalb der Baumwipfelhöhe unterwegs und leuchtete in einzelne Orte hinein. In Camden, Maine, etwa erwarten den Besucher betörende kulinarische Genüsse zwischen fangfrischem Seafood und taufrischen Blaubeeren. In Westport, Massachusetts, atmet man durch beim Outdoor-Yoga und stößt dann auch noch vor zu leuchtenden Stränden wie auf Cape Cod. Die Krönung herbstlicher Gemütlichkeit aber fand die „Washington Post“ in Stowe, Vermont. Selig sei der Wanderer, der sich hier an frischen Apple Cider Donuts labe – und sich später am Abend im Biergarten der Alchemist Brewery niederlasse. Der Ort mit seinen kaum mehr als 5000 Einwohnern sei „ein starker Anwärter auf Amerikas Hygge-Reiseziel Nummer eins“.
Der nächste USA-Newsletter kommt am 1. November. Bis dahin: stay cool – and stay sharp!
Ihr Matthias Koch
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