Schnelle Impfstoffzulassung der Briten: Warum die Kritik daran unfair ist

Die Briten sind bei der Zulassung des Corona-Impfstoffs von Pfizer/Biontech vorgeprescht.

Die Briten sind bei der Zulassung des Corona-Impfstoffs von Pfizer/Biontech vorgeprescht.

London. Großbritannien lässt als weltweit erstes Land den Impfstoff von Biontech/Pfizer zu – und während im Königreich große Freude herrscht, hallt vom Kontinent harsche Kritik auf die Insel. Der Europaabgeordnete Peter Liese sprach von einer „problematischen Entscheidung“ und einer überhasteten Notfallzulassung.

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Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, es gehe nicht darum, wer Erster sei, sondern, dass man „sichere und wirksame Impfstoffe“ erhalte. Auch die Europäische-Arzneimittel-Agentur (EMA) meldete Zweifel an. Die Mahner schufen damit das Narrativ in Europa: irgendwie fragwürdig, was auf der Insel passiert. Das darf man trotz des allgemeinen Trends zum Briten-Bashing als unfair bezeichnen.

Doch nach Jahren, die von Brexit-Dramen, Schuldzuweisungen und politischen Spielchen insbesondere von Seiten Londons geprägt waren, ist das Vertrauen Europas in Großbritannien offenbar völlig aufgebraucht. Die Reputation des Königreichs wurde so schwer beschädigt, dass selbst ein beeindruckender Erfolg wie die zügige Zulassung durch die medizinische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel in Großbritannien (MHRA) nicht mehr als solcher anerkannt zu werden scheint.

Dass einige Politiker, darunter Gesundheitsminister Matt Hancock, den Brexit als einen der Gründe vorschoben, half keineswegs. Die Debatte ist genauso ermüdend wie öde. Großbritannien bleibt bis zum Ende der Übergangsphase am 31. Dezember noch immer an EU-Recht gebunden. June Raine, die Chefin der unabhängigen MHRA, betonte denn auch, man habe mit exakt den gleichen Standards gearbeitet, wie es international üblich sei.

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Verfährt die EU wirklich sicherer?

Mit dem Austritt aus der Staatengemeinschaft hat die Sache nichts zu tun, es handelte sich um das typische Getöse der europaskeptischen Hardliner, die jede Gelegenheit nutzen, um die angebliche britische Einzigartigkeit zu rühmen. Man sollte sie in diesem Falle ignorieren. Denn die seriösen Stimmen auf der Insel, ob aus der Wissenschaft oder Politik, loben natürlich die internationale Kooperation bei der Impfstoffentwicklung und lassen das Thema Brexit beiseite.

Verfährt die EU wirklich sicherer oder führt der von den 27 Mitgliedstaaten visierte „gemeinsame europäische Ansatz“ zu Verzögerungen? Gut möglich, dass die EMA schlichtweg langsamer ist und nun irgendwie rechtfertigen muss, warum im Königreich bereits nächste Woche mit den ersten Impfungen begonnen werden kann. Alle Behörden folgen dem sogenannten Rolling-Review-Verfahren. Dabei erhalten die Aufseher die Daten aus den klinischen Studien, sobald diese verfügbar sind, und nicht erst nach Abschluss der klinischen Studienphase.

Simon Clarke, Zellbiologe an der University of Reading, verweist darauf, dass die Forschungsarbeit von Biontech/Pfizer vorerst beendet sei, weshalb die Daten in derselben Form jeder internationalen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde vorlägen. Alles, was die Regulatoren täten, sei, das Material zu prüfen. „Sofern die EMA nun nicht Biontech/Pfizer beauftragt, weitere Forschung zu betreiben, müssen sie ihr Problem mit dem britischen Vorgehen klar bezeichnen.“ Denn die Daten ändern sich nicht. Clarke sind die Einwände deshalb zu vage. „Nur Kritik an der Geschwindigkeit zu äußern, reicht nicht“, sagt Clarke. „Sie muss konkreter sein. Wenn angeblich ein Schritt ausgelassen wurde, welcher?“

„Tag und Nacht gearbeitet“

Die Beanstandungen basierten lediglich auf Meinungen. Hinzu kommt, dass die MHRA weltweit einen ausgezeichneten Ruf als eine der „führenden Stimmen“ genießt. Die unabhängige Behörde gilt als äußerst effizient und erfahren. So handelte es sich nicht um einen Zufall, dass die EMA in London angesiedelt war, bis sie ihren Sitz wegen des Brexit nach Amsterdam verlegte. Gleichwohl ist bekannt, dass die EMA seit ihrem Umzug unter Personalmangel leidet und die britische Expertise schwer vermisst wird.

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Um die Daten zu prüfen, hätten die Aufpasser „Tag und Nacht gearbeitet“, sagte MHRA-Direktorin Raine. Auch wenn der Druck im Königreich hoch gewesen sein mag angesichts von rund 60.000 offiziellen Corona-Toten, verdienen es die Experten der Behörde bei aller gebotenen Vorsicht, ernstgenommen und respektiert zu werden, auch außerhalb Großbritanniens.

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