Rückzug von Johannes Kahrs: Der schillerndste SPD-Politiker wirft hin
Berlin. Es war ein Paukenschlag, mit dem Johannes Kahrs am Dienstagnachmittag die Bundestagsabgeordneten der SPD überraschte. Er werde, kündigte „Genosse Johannes“ in der laufenden Fraktionssitzung an, sein Mandat und sämtliche Ämter niederlegen. Und zwar sofort.
Jeder im Saal kannte in diesem Moment schon den Grund, und Kahrs redete auch gar nicht lange drum herum. „Ich wäre gern Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags geworden“, soll er laut Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) aus Teilnehmerkreisen gesagt habe. „Dass dazu wohl keine Mehrheit im Bundestag gefunden werden konnte, muss ich akzeptieren.“
Große Hoffnungen gemacht
Enttäuscht habe Kahrs bei diesen Worten gewirkt, sagt einer, der dabei war. Er habe wohl bis zuletzt auf Unterstützung für eine Kandidatur gehofft. Vergebens. Ausdrücklich gehe er nicht im Groll gegen die Fraktionsspitze, soll der Haushalts- und Verteidigungspolitiker noch zu Protokoll gegeben haben.
Man kann das glauben oder auch nicht. Fakt ist, dass Kahrs sich große Hoffnungen darauf gemacht hatte, dem bisherigen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD) nachzufolgen. Die Ambitionen des Reserve-Obersten waren in Berlin ein offenes Geheimnis, dementieren ließ Kahrs sie nie.
Unappetitlicher Machtkampf
Im Gegenteil: In nächtlicher Sitzung verordnete der Haushaltsausschuss, wo nichts ohne SPD-Chefhaushälter Kahrs lief, der bislang 55-köpfigen Behörde des Wehrbeauftragten vier neue Planstellen, die Amtsinhaber Bartels nie bestellt hatte. Schnell machte der Vorwurf die Runde, Kahrs bereite hier still und heimlich den Wechsel für sich und seine Vertrauten vor.
Ganz falsch war der Vorwurf wohl nicht, ziemlich sicher kostete er Kahrs das Amt. Vor allem in der Union wuchs der Widerstand gegen die Personalie, zumal Amtsinhaber Bartels parteiübergreifend Respekt genoss. Über Wochen lieferten sich die beiden Parteifreunde hinter den Kulissen einen wenig appetitlichen Kampf um den Job.
Am Ende hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich das Gefühl, Kahrs nicht beim Koalitionspartner durchsetzen zu können. Er entschied sich stattdessen für Innenpolitikerin Eva Högl. Die Berlinerin wurde von der SPD-Fraktion kurz nach dem Rückzug von Kahrs einstimmig bei zwei Enthaltungen nominiert.
Mit Johannes Kahrs verlässt einer der umtriebigsten und umstrittensten Bundestagsabgeordneten die politische Bildfläche. Mit den Gerüchten und Geschichten, die über ihn im Umlauf sind, könnte man ganze Abende bestreiten.
Zum Teil stimmen sie auch. Etwa die Geschichte, dass Kahrs 1992 im Alter von 28 Jahren eine linke Gegnerin im Hamburger Juso-Vorstand mit nächtlichen Drohanrufen terrorisiert hat. Ein Gerichtsverfahren endete mit einem Vergleich. Kahrs zahlte 800 Mark Bußgeld an eine gemeinnützige Organisation. Sein Anwalt damals: der spätere Hamburger CDU-Bürgermeister Ole von Beust.
Keine Berührungsängste mit der Lobby
Kahrs Fähigkeiten zum Strippenziehen sind berühmt wie berüchtigt. Er scheute auch nie den Kontakt zu mächtigen Lobbygruppen. Es gibt Berichte über hohe Wahlkampfspenden deutscher Rüstungsfirmen an Kahrs’ Kreisverband.
Über Jahre hat er sich ein dichtes Netzwerk aufgebaut, verfügte über Machtbasen in der Hamburger SPD, dem Haushaltsausschuss des Bundestages und dem Seeheimer Kreis, einem Zusammenschluss pragmatischer bis konservativer SPD-Abgeordneter. Seine launigen und lauten Eröffnungsansprachen bei der sogenannten “Spargelfahrt” der Seeheimer auf dem Berliner Wannsee waren bis zuletzt fester Bestandteil sozialdemokratischer Politfolklore.
Das alles gibt Kahrs nun auf. Was er künftig vorhat, verriet er am Dienstag nicht. “Für das Jahr 2020 habe ich mir seit Langem einen persönlichen Neuanfang vorgenommen”, teilte er auf seiner Homepage mit.
Den wird er nun bekommen.
RND