„Reichsbürger“ und Co.: In spinnerten Zeiten werden gefährliche „Spinner“ zum Normalfall
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Kundgebung von „Reichsbürgern“ mit Flaggen und Bannern vor dem Brandenburger Tor in Berlin im Jahr 2020.
© Quelle: Rolf Zoellner
Die Verharmlosungen sind in aller Munde. Die 25 Mitglieder der „Reichsbürger“-Gruppe, die in der vorigen Woche festgenommen wurden, seien „Spinner“, heißt es – und das nicht allein im AfD-nahen Milieu. Ihre vermeintlichen Putschpläne seien fern jeder Realisierbarkeit gewesen. Kein Grund zur Beunruhigung also. Weiter im Text!
Die Wirklichkeit sieht nicht nur deshalb anders aus, weil die Bundesanwaltschaft diese 25 unverändert in Gewahrsam hält, weil sie zahlreiche Waffen und viel Geld besaßen und der Kreis in Wahrheit noch deutlich größer ist. Generell gilt: Dass Menschen intellektuell nicht ernst zu nehmen sind und ihre Vorhaben vielfach verrückt erscheinen, taugt nicht mehr zur Beruhigung. Das Gegenteil ist richtig.
Welche Konsequenzen jetzt wichtig sind
Gewiss ist es zunächst einmal sehr gut, dass die Justiz gehandelt hat. Die Ermittlungen waren langwierig, komplex – und doch erfolgreich. Auch wird nun über die richtigen Konsequenzen diskutiert. Eine Reform des Disziplinarrechts ist überfällig. Wer sich verfassungsfeindlich betätigt, hat im öffentlichen Dienst nichts zu suchen. Die Debatte über eine Verschärfung des Waffenrechts ist ebenfalls angebracht. Waffen sind im „Reichsbürger“-Milieu nämlich reichlich vorhanden, nicht wenige wurden legal erworben. Daher muss es einen kontinuierlichen Informationsfluss zwischen den Waffenbehörden einerseits sowie den Sicherheitsbehörden andererseits geben.
Zu fragen ist schließlich, ob der Zugang zum Bundestag über das bisherige Maß hinaus beschränkt werden sollte. Die AfD-Fraktion sowie ihre Mitarbeiter und Gäste sind potenziell trojanische Pferde.
Innenministerin Faeser kündigt verschärftes Waffenrecht an
Verfassungsfeinde sollen nach dem Willen von Nancy Faeser künftig schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können.
© Quelle: Reuters
Nötig ist freilich in erster Linie ein neuer Blick auf die Welt. Der offenbart, dass das Verrückte und Gefährliche zunehmend nah beieinander liegen. Dies galt zuletzt für Attentäter im islamistischen wie im rechtsterroristischen Bereich. Die Grenzen zwischen verrückt und gefährlich verschwimmen überdies massenwirksam im Bereich der Ideen.
So kursiert in Verschwörungskreisen die Vorstellung vom „Großen Austausch“. Sie besagt, die politischen Eliten wollten die heimische Bevölkerung durch Migration gezielt an den Rand drängen. Das ist eigentlich völlig irre – und wird dennoch von vielen geglaubt. Ähnlich verhält es sich mit der Behauptung von der „Corona-Diktatur“. Sie ist nicht weniger irre – und mobilisierte Zehntausende. Wohin derlei Irrationalität führen kann, wissen wir spätestens seit dem Nationalsozialismus. Die Überzeugung, dass das „Reich“ fortexistiert, lebt in „Reichsbürgern“ weiter.
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Wer meint, „Reichsbürger“ als bloße „Spinner“ abtun zu können, der sollte sich jedenfalls vor Augen führen, dass Spinner heute wieder Staaten regieren, Unternehmen führen oder Kriege anzetteln wie vor 100 Jahren. In spinnerten Zeiten besagt die Bezeichnung „Spinner“: nichts. Eben darin besteht ja das Alarmsignal.