Qanon: Die deutsche Erfolgsgeschichte einer amerikanischen Verschwörungserzählung
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Auf einer schwarz-weiß-roten Fahne, die ein Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor in Berlin hält, ist ein Bild von US-Präsident Trump, der Buchstabe Q sowie der Schriftzug „WWG1WGA“ (Where we go one, we go all) zu sehen.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Ausgerechnet die zutiefst US-amerikanische und auf den ehemaligen US-Präsidenten Trump bezogene Verschwörungsideologie Qanon gelangte im Jahr 2020 zu außergewöhnlicher Popularität in Deutschland. Der Qanon-Ideologie zufolge bestimmt eine globale Verschwörung aus den Eliten von Politik, Wirtschaft und Unterhaltung nicht nur die Weltgeschicke, sondern entführt auch Kinder und missbraucht und ermordet sie, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsmittel herzustellen.
Donald Trump gilt den Verschwörungsgläubigen als Kämpfer gegen diese „Kabale“, gegen den „Tiefen Staat“, der die USA angeblich seit Jahrzehnten beherrsche. Q, so nennt sich ein angeblicher Informant, der kryptische Botschaften auf Imageboards im Internet hinterlässt, aus denen sich die Verschwörungsideologie zusammensetzt.
Der Sturm auf das US-Kapitol
Diese Erzählungen sind frei erfunden, sie haben mit der Realität nichts zu tun. Doch schon Monate, bevor der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 in Washington, D. C., der gesamten Weltöffentlichkeit zeigte, welche Gefahr von Qanon ausgeht, stieg die Zahl der Anhängerinnen und Anhänger der Verschwörungsideologie mit kultischen Zügen auch in Deutschland. Den bislang sichtbarsten Höhepunkt erreichte sie bei den verschwörungsideologischen Querdenken-Demonstrationen im Sommer 2020.
Um den Erfolg von Qanon in Deutschland zu verstehen, lohnt ein Blick auf jene Akteure, die diesen Erzählungen im deutschsprachigen Raum zu Verbreitung verhalfen, und auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, die diesen Erfolg erst möglich machten. Vor allem aber lohnt der Blick auf die ideologischen Fragmente, die Qanon anschlussfähig für Teile der hiesigen extremen Rechten, der „Reichsbürger“-Szene und andere Verschwörungsideologen machen.
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Damals, als in Deutschland noch kaum jemand etwas von Qanon wusste: Ein Trump-Anhänger hält im August 2018 bei einer Trump-Wahlkampfveranstaltung ein Q in die Luft.
© Quelle: picture alliance/AP Photo
Die frühen Influencer
Bereits einen Monat, nachdem die ersten Botschaften des angeblichen Insiders Q auf dem Imageboard 4chan am 28. Oktober 2017 auftauchten, griff der auf den Philippinen lebende deutsche Verschwörungsideologe und ehemalige Journalist Oliver Janich das neue Phänomen in einem Video auf. „Wer ist Q? Trumps Geheimagent?“ betitelte Janich das auf mehreren Social-Media-Plattformen verbreitete Video. Ohne plausible Belege vorbringen zu können, kam Janich zu dem Schluss, es hätten sich zwar nicht alle bisherigen Vorhersagen Qs bewahrheitet, die Trefferquote sei jedoch hoch.
Janich entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Influencer der verschwörungsideologischen Szene im deutschsprachigen Raum. Bis zur Sperrung seines Kanals im Oktober 2020 kam er auf rund 160.000 Abonnentinnen und Abonnenten auf Youtube. Noch mehr Menschen haben im Januar 2021 Janichs öffentlichen Kanal in der Messenger-App Telegram abonniert.
Bereits im Dezember 2017 verbreiteten sich die Erzählungen von Q auch auf mehreren deutschsprachigen Blogs, auf Facebook-Seiten und in Facebook-Gruppen. Ab 2018 gründeten deutschsprachige Q-Gläubige eine ganze Reihe von Blogs, Youtube-Kanälen, Facebook-Seiten und -Gruppen, aber auch Telegram-Gruppen und -Kanälen, die sich eigens der Übersetzung und Deutung der kryptischen Botschaften Qs widmen.
Als das Q auf deutsche Straßen fand
Der langjährige Neonazi und rechtsextreme Unternehmer Sven Liebich aus Halle (Saale) etwa bietet in seinem Onlineshop für Aufkleber und Textilien spätestens seit Juni 2018 T‑Shirts mit Qanon-Motiven zum Kauf an. Im Laufe des Jahres 2019 schaffte das Symbol Q zunehmend auch den Sprung aus dem Netz auf die Straße.
„In Deutschland sahen wir Qanon das erste Mal auf der Straße, als die Gelbwestenbewegung aus Frankreich auch hierzulande Fuß fasste“, stellt ein Bericht der Amadeu-Antonio-Stiftung im Dezember 2020 fest. Die Proteste in Deutschland, die vor allem die Symbolik der breit gefächerten französischen Protestbewegung übernahmen, waren vielfach von Akteurinnen und Akteuren aus dem „Reichsbürger“-Spektrum dominiert.
Auch bei anderen Demonstrationen mit rechtsextremer und verschwörungsideologischer Beteiligung tauchten fortan regelmäßig Qanon-Symbole auf, wie etwa bei einer Demonstration gegen die Masernimpfpflicht in Berlin im September 2019. Während die Verschwörungsideologie in den USA bereits in den republikanischen Mainstream vordrang, fristete sie in Deutschland jedoch weiterhin ein Nischendasein abseits der Aufmerksamkeit von Medien und Politik.
Xavier Naidoo und die „entführten Kinder“
Zu einem regelrechten Qanon-Boom in Deutschland kam es erst im Frühjahr 2020. Die Corona-Pandemie beherrschte die globale Nachrichtenlage und beeinflusste das Leben von Millionen Menschen. Die Verbreitung verschiedener Verschwörungserzählungen rund um das neuartige Coronavirus nahm in den USA, aber auch in Deutschland rasant zu. Einige Qanon-Anhänger und Anhängerinnen hielten die Pandemie für eine Inszenierung des „Tiefen Staates“, um US-Präsident Donald Trump zu schwächen.
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Xavier Naidoo sprach schon 2014 auf einer verschwörungsideologischen Mahnwache vor dem Kanzleramt in Berlin. 2020 wurde er zu einem der wichtigsten Qanon-Propagandisten in Deutschland.
© Quelle: imago images/Christian Ditsch
Gleichzeitig verbreitete sich auch die Behauptung, Trump habe Corona-Schutzmaßnahmen wie Grenzschließungen und Ausgangsbeschränkungen nur deshalb einführen lassen, um ungestört gegen die vermeintlichen Akteure des „Tiefen Staates“ vorgehen und entführte Kinder aus ihren Fängen befreien zu können.
Diesen unbelegten und irrationalen Erzählungen hängt offenbar auch der Sänger Xavier Naidoo an, der schon 2011 behauptete, Deutschland sei noch immer ein besetztes Land, und der in den vergangenen Jahren mehrfach durch das Verbreiten von Verschwörungserzählungen aufgefallen ist. Anfang April 2020 verbreitete Naidoo ein Video, in dem er weinend darüber spricht, dass „in diesen Momenten in verschiedenen Ländern der Erde Kinder aus den Händen pädophiler Netzwerke befreit“ werden.
Im Corona-Frühling kam der Qanon-Boom
Anschließend rief Naidoo die Zuschauer und Zuschauerinnen dazu auf, im Internet nach dem Begriff „Adrenochrom“ zu suchen – jenem im Narrativ von Qanon wichtigen, angeblich aus dem Blut missbrauchter Kinder hergestellten „Verjüngungsmittel“. Die Chemikalie – ein Stoffwechselprodukt des Adrenalins – kann ohne Verwendung von Blut im Labor hergestellt werden, die verjüngende Wirkung des Stoffs ist darüber hinaus frei erfunden. Zahlreiche Medien berichteten über Naidoos Video und die darin verbreiteten Narrative. Auf Google vervielfachten sich die Suchanfragen aus Deutschland nach dem Begriff „Adrenochrom“ schlagartig.
Die wichtigsten Gruppen und Kanäle der deutschsprachigen Qanon-Szene auf Telegram verzeichneten in dieser Zeit ebenfalls ein erstaunliches Wachstum. Analysen des Politikwissenschaftlers Josef Holnburger verdeutlichen den Anstieg: So hatte der für die Szene wichtigste deutschsprachige Telegram-Kanal Qlobal Change am 17. März 2020 etwas mehr als 21.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Am 17. Juni waren es bereits mehr als 111.000. Im Jahresverlauf verlangsamte sich dieses Wachstum, die Abonnentenzahl wuchs jedoch bis Januar 2021 auf über 160.000 an.
Sichtbar wurde die neue Popularität von Qanon bereits im Frühjahr 2020 auch auf Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. An den als „Hygienedemos“ bekannt gewordenen Protesten vor der Berliner Volksbühne nahmen beispielsweise immer wieder Menschen mit sichtbaren Q-Devotionalien teil. Auf den beiden Großdemonstrationen der aus Stuttgart stammenden Querdenken-Initiative mit mehreren Zehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern im August in Berlin waren die Qanon-Anhänger noch sichtbarer.
Reichsfahnen und Qanon-Symbole wehten nebeneinander. Auf der Abschlusskundgebung der Demonstration am 1. August rief der Querdenken-Initiator Michael Ballweg den Qanon-Slogan „Where we go one, we go all“ (sinngemäß etwa: „Einer für alle, alle für einen“) von der Bühne. In Form einer eingespielten Videoaufzeichnung hielt auch der Qanon-Propagandist Oliver Janich eine Rede.
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Der Querdenken-Initiator Michael Ballweg.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Q wie Querdenken
Wenige Wochen später, am 29. August 2020, versammelten sich mehrere Hundert Querdenken-Demonstranten schon vor dem Beginn der eigentlichen Demo zwischen dem Brandenburger Tor und der Botschaft der USA. „Deep State muss weg“, riefen einige von ihnen im Chor. Sie hielten bedruckte Papierschilder in die Höhe. „Friedensvertrag Jetzt“ stand darauf – und um keinen Zweifel daran zu lassen, wes Geistes Kind diese Protestierenden sind, war ihre Forderung noch in den Farben Schwarz, Weiß und Rot umrandet. Mittendrin stand eine Frau Mitte dreißig. Auf ihre Jeansjacke hatte sie ein Herz gemalt und die Worte „World Peace“ geschrieben. Daneben ein großes Q und die schwarz-weiß-rote Fahne des Deutschen Reichs.
Dass die Fahnen von Qanon-Anhängern und „Reichsbürgern“ Seite an Seite wehen, ist kein Zufall. Beide Szenen sind in Deutschland längst zu einem ideologischen Amalgam verschmolzen. „Reichsbürger“ glauben, dass das Deutsche Reich rechtlich weiter fortbesteht, die Bundesrepublik kein souveräner Staat und Deutschland noch immer von den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs besetzt ist.
Dieser Glaube ging lange eher mit einem auch in anderen Teilen der extremen Rechten verbreiteten Antiamerikanismus einher. „Reichsbürger“ wendeten sich gegen die angebliche Besatzung und Unterjochung Deutschlands durch die USA. Mit Donald Trump im Weißen Haus und der Qanon-Erzählung vom US-Präsidenten als geheimem Kämpfer gegen den angeblich existierenden „Tiefen Staat“ bot sich nun jedoch eine neue Sichtweise an: Was, wenn in der Machtzentrale der Vereinigten Staaten nicht mehr der Feind und Unterdrücker sitzt, sondern ein potenzieller Verbündeter?
„Reichsbürger“ für Trump
Donald Trump steht in dieser Erzählung auf der Seite der „Reichsbürger“. Und mehr noch: Als oberster Befehlshaber der vermeintlichen Besatzungsmacht USA hatte Trump demnach die Möglichkeit, die Besatzung zu beenden und Deutschland zu befreien. Wladimir Putin, den Präsidenten Russlands als Nachfolgestaat der zweiten alliierten Großmacht, der Sowjetunion, sehen viele „Reichsbürger“ ohnehin längst auf ihrer Seite.
So erklärt sich auch der Ruf nach einem Friedensvertrag, der am 29. August 2020 vor den Botschaften der USA und Russlands erklang – einem Friedensvertrag, der die angeblich fortdauernde Besatzung beenden soll. Dass der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 längst an die Stelle eines Friedensvertrags getreten ist und die Nachkriegsordnung in Deutschland beendet hat, ignorieren die Demonstranten.
Bei der Verschmelzung von „Reichsbürger“-Ideologie mit Qanon-Erzählungen spielt die Messenger-App Telegram eine wichtige Rolle. Schon bevor die Corona-Pandemie zum alles bestimmenden Thema wurde, begannen Reichsbürger dort im Winter und Frühjahr 2020 zunehmend Bezug auf Qanon zu nehmen.
Anlass dafür war das geplante Nato-Manöver „Defender 2020“, bei dem Truppenverlegungen der USA in Europa geübt werden sollten. Das Manöver, das aufgrund der Corona-Pandemie schließlich größtenteils ausfallen musste, deuteten einige „Reichsbürger“ als bevorstehende Befreiung Deutschlands von der Bundesregierung durch die von Donald Trump befehligte US-Armee.
Im Kern bleibt der Antisemitismus
Die Telegram-Gruppen der „Reichsbürger“-Szene lassen sich inhaltlich ohnehin seit Langem kaum noch von spezifischen Qanon-Gruppen unterscheiden, sie nehmen durch das gegenseitige Teilen von Inhalten aufeinander Bezug, und auch die Mitglieder überschneiden sich teilweise sichtlich. Qanon-Erzählungen sind jedoch nicht nur unter überzeugten „Reichsbürgern“ anknüpfungsfähig, sondern finden auch weit über diese Szene hinaus Zustimmung. Das liegt auch darin begründet, dass die allermeisten der Erzählungen, die die Gesamtheit der Qanon-Verschwörungsideologie ausmachen, keineswegs neu sind.
Das Geraune von den mächtigen Eliten, die insgeheim die Geschicke der Welt lenkten, speist sich aus einer langen Tradition antisemitischer Verschwörungsmythen, etwa aus den „Protokollen der Weisen von Zion“ oder aus anderen Erzählungen der vergangenen Jahrzehnte, die mal mehr, mal weniger direkt die Existenz einer „jüdischen Weltverschwörung“ behaupten. Der vermeintliche Insider Q erwähnt in seinen kryptischen Botschaften etwa immer wieder die Rothschilds und den jüdischen Milliardär und Philanthropen George Soros – Namen und Personen, die als bekannte und gebräuchliche Chiffren antisemitischer Erzählungen dienen.
Kurzum: Ohne ihren antisemitischen Kern sind die Qanon-Ideologie und ihr Erfolg kaum denkbar. Auch die Erzählungen von den globalen Eliten, die angeblich Kinder entführen, missbrauchen und töten, um deren Blut zu verwenden, folgen judenfeindlichen Mustern – die sogar bedeutend älter sind als der moderne Antisemitismus. Die Ritualmordlegende, der zufolge Juden christliche Kinder entführen und töten würden, um deren Blut zu trinken, hat ihren Ursprung bereits im England des 12. Jahrhunderts und führte seitdem immer wieder zu Pogromen gegen jüdische Gemeinden.
Von der „Satanic Panic“ zu „Pizzagate“
Darüber hinaus greifen diese Narrative von den kindermordenden globalen Eliten seit Jahrzehnten von den USA ausgehende Mythen über satanistischen rituellen Kindesmissbrauch als angebliches Massenphänomen auf. In den USA häuften sich nach der Veröffentlichung der angeblich autobiografischen Erinnerungen „Michelle Remembers“, einer fiktiven Darstellung eines durch eine satanische Sekte missbrauchten Kindes durch den Psychiater Lawrence Pazder im Jahr 1980, Berichte über vermeintliche Entführungs-, Missbrauchs- und Mordfälle im Zusammenhang mit okkulten Sekten.
Kritiker sprechen von der „Satanic Panic“ als Massenhysterie – zumal unabhängige Recherchen die Darstellungen in „Michelle Remembers“ als Erfindung entlarvten.
Welche Auswirkungen auf derartigen Narrativen basierende Mythen über angeblich kindermordende Kulte und Verschwörungen haben können, zeigt die Pizza-Gate-Verschwörungserzählung – ein unmittelbarer Qanon-Vorgänger. Im Dezember 2016 stürmte ein mit einem AR15-Gewehr bewaffneter Mann eine Pizzeria in Washington, D. C., weil er an die Erzählung glaubte, Hillary Clinton und andere Politikerinnen und Politiker der Demokratischen Partei würden aus dem Keller des Lokals heraus einen Kindesmissbrauchsring betreiben. Der Mann gab mehrere Schüsse ab. Die Pizzeria hat nicht mal einen Keller.
Das Verschwörungsamalgam bleibt bestehen
Auch wenn Donald Trump nicht mehr Präsident der USA ist und damit als die große Erlöserfigur der Qanon-Ideologie nicht mehr unbegrenzt mächtig ist, und trotz der Sperrung von allein 70.000 Twitter-Accounts, die von dem Kurznachrichtendienst wegen ihrer Nähe zu Qanon nach dem Angriff auf das Kapitol abgeschaltet wurden: Qanon wird nicht einfach verschwinden – auch und insbesondere nicht in Deutschland.
Die Art und Weise, wie Qanon Fragmente älterer Verschwörungserzählungen in sich aufgenommen, miteinander verbunden und zum Teil einer allumfassenden Welterklärung gemacht hat, lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass sich der Glaube daran einfach wieder auflöst. Zumal die Qanon-Erzählungen in Deutschland längst mit der „Reichsbürger“-Ideologie zu einem nicht mehr ohne Weiteres auflösbaren Amalgam verschmolzen sind.
Es ist zwar gut möglich, dass in wenigen Jahren kaum noch von Qanon gesprochen wird, dass diese so stark auf Donald Trump fokussierte Verschwörungsideologie gemeinsam mit ihrem Helden weiter an Relevanz verliert. Viele der ideologischen Versatzstücke und einzelnen Erzählungen werden jedoch auf absehbare Zeit bleiben. Damit bleiben sie auch eine Gefahr – für die demokratische Gesellschaft sowie für Institutionen und Einzelpersonen, die von den Verschwörungsgläubigen als vermeintliche Feinde ausgemacht werden.
Desillusioniert und doch gefährlich
In den USA wurde Qanon bereits 2019 vom FBI zur potenziellen Terrorgefahr erklärt, nachdem Qanon-Anhänger mehrere Morde und andere teilweise schwere Straftaten begangen hatten. Auch in Deutschland warnen Expertinnen und Experten vor einer Gefahr der zunehmenden Radikalisierung der Szene, die stets das Risiko birgt, in Gewalt umzuschlagen.
Nicht nur in den USA verlässt sich ein Teil der Qanon-Anhänger und -Anhängerinnen nach der aus ihrer Sicht durch einen angeblichen Wahlbetrug verlorenen Präsidentenwahl immer weniger darauf, dass Donald Trump die Welt „befreien“ wird und sie bloß seinem geheimen „Plan“ vertrauen müssen.
„Wir wissen so gut wie gar nichts“, hieß es in einer Nachricht in der größten deutschsprachigen Qanon-Gruppe bei Telegram im Januar 2021. Und: „Wir werden benutzt, um Gerüchte in die Welt zu setzen.“ Doch diese Desillusionierung ist kein Grund zum Aufatmen.
Durch sie könnte die Gefahr sogar noch größer werden, wenn ein Teil der Verschwörungsgläubigen sich dazu gedrängt sieht, den Kampf gegen das vermeintliche Böse selbst aufzunehmen. Entwarnung ist nicht in Sicht.
Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus dem Buch „Fehlender Mindestabstand: Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“, das am 7. April im Herder-Verlag erscheint.