Faktencheck: Das ist dran an Putins Aussagen in seiner Rede zur Lage der Nation
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Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik via AP zur Verfügung gestellte Foto zeigt Wladimir Putin, Präsident von Russland, gestikulierend während seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation.
© Quelle: Mikhail Metzel/Pool Sputnik Krem
Im vergangenen Jahr fiel Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation aus. Zur Begründung hieß es damals, die „Dynamik der Ereignisse“ hielten ihn auf. An diesem Dienstag wendete er sich nun wieder an seine Landsleute – mit einer Hasstirade gegen einen vermeintlich aggressiven Westen und Versprechen für die eigene Bevölkerung. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat sich einige von Putins Aussagen genauer angeschaut – der Faktencheck.
Putin macht den Westen für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. „Sie sind es, die den Krieg angefangen haben“, sagte Putin. „Und wir setzen Gewalt ein, um ihn zu beenden.“ Laut Putin habe man seit 2014 geduldig verhandelt, und „alles getan, um das Problem friedlich zu lösen“. Der Westen habe mit „Lügen“ die Verhandlungen zunichtegemacht.
Fakt ist, Russland hat 2014 die Halbinsel Krim besetzt und annektiert und prorussische Kräfte in der Ostukraine massiv mit Waffen und militärischem Personal unterstützt, um eine Abspaltung der Regionen Donezk und Luhansk zu erreichen. Die Ukraine hat den weiteren Vormarsch der russischen Separatisten gestoppt. Am 17. Juli 2014 schießen prorussische Separatisten über der Ostukraine ein ziviles Flugzeug ab. Alle 298 Passagiere an Bord der MH17 kommen ums Leben.
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Der Westen hat sich mit dem Verhandlungsformat Minsk I und II bemüht, einen Waffenstillstand und ein Friedensabkommen auf den Weg zu bringen, um den Konflikt politisch beizulegen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Am 30. September 2022 proklamierte Putin einseitig die Annexion der ukrainischen Oblaste Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson in die Russische Föderation.
Putin sagte, das „Regime in Kiew“ habe sich lange vor Beginn der „russischen Spezialoperation“ bemüht, aus dem Westen Atomwaffen zu bekommen.
Für diese Behauptung gibt es keinerlei Beweise. Fakt ist, die Ukraine hat sich wie auch Belarus und Kasachstan mit dem Budapester Memorandum von 1994 verpflichtet, alle aus Sowjetzeiten auf ihrem Territorium befindlichen Nuklearwaffen abzugeben, und erhielt dafür im Gegenzug von Russland, den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien als Gegenleistung umfassende Garantien für ihre Sicherheit und territoriale Integrität. Schon mit der Annexion der Krim 2014 hat Russland dagegen eklatant verstoßen.
Putin sagte, der Westen hat „den Putsch“ 2014 in Kiew massiv unterstützt.
Zu Jahresbeginn 2014 eskalierten in Kiew die Proteste gegen die damalige Regierung von Präsident Wiktor Janukowitsch, der sich Ende 2013 auf Druck von Moskau geweigert hatte, seine Unterschrift unter ein fertig ausgearbeitetes Assoziierungsabkommen mit der EU zu setzen. Mitte Februar 2014 schießen Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten. Rund 100 Personen werden getötet, knapp 1000 verletzt.
Auf dem Platz der Unabhängigkeit demonstrieren weiterhin Hunderttausende für eine Westorientierung der Ukraine. Janukowitsch flieht nach Russland, es wird eine Übergangsregierung gebildet. Langsam und mühsam verfolgt die Ukraine mit freien Wahlen weiter ihren Weg in Richtung Demokratie und Unabhängigkeit. Auf einen „Putsch“ folgt in aller Regel eine Militärdiktatur oder ein autoritäres Regime. Die Ukrainer haben seit ihrer Unabhängigkeit 1991 bislang sieben verschiedene Präsidenten gewählt.
Putin gibt Westen Schuld an Krieg gegen Ukraine
In seiner Rede zur Lage der Nation wirft Wladimir Putin dem Westen vor, einen lokalen Konflikt in einen globalen zu verwandeln.
© Quelle: dpa
Putin sagte, was heute geschehe, habe sein Wurzeln schon im 19. Jahrhundert. Schon damals habe es immer wieder Versuche beispielsweise von Österreich-Ungarn oder von Polen gegeben, „historische Gebiete, die man heute Ukraine nennt“ von Russland abzulösen.
Angefangen von der Adelsrepublik Polen-Litauen, über das zaristische Russland, das Osmanische Reich, die Habsburger und schließlich bis hin zur Sowjetunion drückten immer fremde Mächte großen Teilen des Territoriums, auf dem sich heute die Ukraine befindet, ihren Stempel auf.
Als Beispiel sei nur die heutige westukrainische Großstadt Lwiw genannt, die im Mittelalter unter polnischer Herrschaft Lwow und bis 1918 unter Zugehörigkeit zu Österreich Lemberg hieß. „Jedes dieser Reiche beanspruchte Land und Beutegut, hinterließ seine Spuren in der Landschaft und im Charakter der Bevölkerung und trug dazu bei, ihre einzigartige ‚Grenzidentität‘ und ihr besonderes Ethos zu formen“, schreibt der ukrainische Historiker Serhii Plokhy in seiner „Geschichte der Ukraine“.
Erst Ende des 18. Jahrhunderts kamen große Teile der heutigen Ukraine zu Russland, und erst nach der Revolution der Bolschewiken von 1917 erfolgte die völlige Eingliederung in die neu gegründete Sowjetunion. Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 entstanden unabhängige Staaten, die sich gegenseitig ihre territoriale Integrität versicherten. Das tat auch Russland gegenüber der Ukraine.
Mit Blick auf die 1930er-Jahre, sagte Putin, habe der Westen den Nazis den Weg in Deutschland geebnet – „und heute machen sie es mit der Ukraine“. „Damals wie heute“ sei es das Ziel gewesen, einen Krieg gegen Russland anzufangen.
Tatsächlich führte in den 1930er-Jahren eine Appeasement-Politik der Westmächte dazu, dass Hitler-Deutschland immer weiter erstarken konnte. Dahinter steckte der Versuch, durch wirtschaftliche Zugeständnisse den Frieden zu erhalten. So wurde unter anderem 1938 im Münchner Abkommen die Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich toleriert, um einen Krieg in Europa abzuwenden.
Dass Hitler und Stalin Ende August 1939 einen Nichtangriffspakt schlossen und damit Deutschland den Weg zum Überfall auf Polen am 1. September ebneten, sparte Putin aus. In einem geheimen Zusatzprotokoll beschlossen Berlin und Moskau damals die Aufteilung Polens und befriedigten so beiderseitig ihr Expansionsstreben.
Putin warf der Ukraine erneut Nationalismus und Nazismus vor und nannte als Beleg dafür unter anderem, dass eine „ukrainische Brigade“ jetzt den Namen „Edelweiß“ trägt, „wie eine Hitler-Division, die sich an den Juden-Morden beteiligt hat“.
Die 1. Gebirgsdivision „Edelweiß“ war als Großverband der deutschen Wehrmacht im Laufe des Zweiten Weltkrieges beim Überfall auf Polen und die Sowjetunion beteiligt sowie ab 1943 zum Partisanenkampf auf dem Balkan eingesetzt. Die „Edelweiß“-Division war an Kriegsverbrechen wie 1943 an dem Massaker auf der Insel Kefalonia beteiligt.
Tatsächlich hat am 14. Februar 2023 der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Erlass der 10. Gebirgssturmbrigade der Bodentruppen der Ukraine den Ehrennamen „Edelweiß“ gegeben. Was ihn genau dazu bewogen hat, schrieb Selenskyj nicht. Auf seiner Website heißt es nur, dies geschehe „unter Berücksichtigung der vorbildlichen Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben beim Schutz der territorialen Integrität und Unabhängigkeit der Ukraine“.
Auf dem Portal „Abgeordnetenwatch.de“ schreibt der SPD-Politiker Dirk Wiese auf eine entsprechende Anfrage: „Aus der von Ihnen verlinkten Erklärung des ukrainischen Präsidenten lässt sich nicht herauslesen, dass die Namensgebung im direkten Zusammenhang zum Namen der Gebirgsdivision der Wehrmacht steht. Das Edelweiß als Symbol und Abzeichen ist seit dem 19. Jahrhundert in einer Vielzahl von Verwendungsgebieten vorzufinden.