Plötzlich nicht mehr unantastbar
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„Wir wissen einfach nicht, in welche Richtung es gehen soll“: Die Kritik an Angela Merkels Führungsstil wird auch in den eigenen Reihen immer lauter.
© Quelle: dpa
Berlin. Das Wort prangt oberhalb der beiden CDU-Politiker wie ein Auftrag, den Weg beizubehalten, aber an diesem Montag könnte auch ein Fragezeichen dahinter stehen: Mitte. Ist das wirklich noch der Kurs der CDU in diesen Tagen? Oder sollte es eigentlich in eine völlig andere Richtung gehen?
Es ist kurz vor eins im Konrad-Adenauer-Haus, die Kanzlerin kommt mit einigen Minuten Verspätung in die Pressekonferenz, an ihrer Seite der niedersächsische Wahlverlierer Bernd Althusmann. Sie wirkt ungerührt. Die Union habe das wichtigste Wahlziel nicht erreicht, stärkste Partei zu werden, sagt Merkel, aber einige andere eben doch: Das Stimmenergebnis für die Union habe sich kaum verschlechtert, und die rot-grüne Regierung sei abgewählt.
Das stimmt, wenngleich nur knapp. Doch auch Merkels sicher vorgetragene Liste von Dingen, die die CDU in Niedersachsen erreicht habe, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Konservativen am Sonntag eine schmerzhafte Niederlage einstecken mussten. Sie war besonders deshalb schmerzhaft, weil die 33,6 Prozent von Bernd Althusmann nicht nur ein historisch schlechtes Resultat für die Landes-CDU bedeuten, sondern weil die Partei über Wochen im Spätsommer wie ein sicherer Sieger aussah.
Dass es doch nicht geklappt hat, muss nun nicht nur ihr Landesvorsitzender Althusmann ausbaden, sondern auch die Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende selbst. Für Angela Merkel ist es ein weiterer schwerer Schlag, nur drei Wochen nach den Verlusten bei der Bundestagswahl, welche die Union in Selbstzweifel und eine Krisenstimmung geschickt haben, die man bei der siegesverwöhnten Partei der vergangenen Jahre gar nicht mehr kannte.
An der Macht nur dank Merkel?
Plötzlich steht die lange Jahre unantastbare Angela Merkel unter Druck. Lange konnte die Kanzlerin inhaltliche Kritik der Konservativen an ihrem Kurs der Mitte und Modernisierung abprallen lassen, weil sie zugleich den unbedingten Machtwillen der Union befriedigen konnte: Mit mir, Merkel, gewinnen wir – das war die unausgesprochene Botschaft. Also ließen die Skeptiker aus den Landesverbänden Merkel gewähren.
Diese Regel gilt nun nicht mehr uneingeschränkt. Die Niederlage in Niedersachsen gegen eine im Bund schwer angeschlagene SPD und der Absturz bei der Bundestagswahl machen Angela Merkel plötzlich zu einer Parteivorsitzenden, die sehr unsicher in ihrer Position scheint. Und der die inhaltlichen Debatten offenbar außer Kontrolle geraten.
In der Union häufen sich die Vorschläge, in welche Richtung es mit den Konservativen gehen soll. Man habe verstanden, sagte schon nach der Bundestagswahl CSU-Chef Horst Seehofer, nun solle „die rechte Flanke zugemacht“ werden. Ähnlich sprechen Seehofers bayerische Parteifreunde und Vertreter eines neuen, konservativen Kurses wie Finanzstaatssekretär Jens Spahn.
Doch dieser Kurs ist umstritten. Denn die großen Wahlsiege für die Union dieses Jahr haben Vertreter des moderaten Flügels eingefahren: Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland im März, Daniel Günther im Mai in Schleswig-Holstein und Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen.
Und so ist die CDU vor Beginn der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition am Mittwoch eine zutiefst verunsicherte Partei, die einen Weg nach vorne sucht, aber zugleich Lösungsvorschläge anbietet, die nicht zueinander passen. Und die es trotzdem schaffen muss, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Koalition mit den Grünen und der FDP zu schmieden.
Zurück zu den Wurzeln der CDU
Kurzer Rückblick: Rund eine Woche vor der Niedersachsenwahl sitzt Angela Merkel in ihrem Büro im siebten Stock des Bundeskanzleramts. Über ihrem Schreibtisch hängt ein Gemälde Konrad Adenauers, als wäre es eine Mahnung, die Ursprünge des Unions-Erfolges niemals zu vergessen.
Doch auch vor dieser Wahl macht Merkel klar, dass sie nicht bereits ist, den Stimmen nachzugeben, die einen Rechtsruck der Partei fordern. „Die CDU muss eine breit aufgestellte Volkspartei bleiben, und dazu gehören all ihre Wurzeln“, sagt Merkel, „die christlich-soziale, die liberale und die konservative. Stark sind wir, wenn wir diese Wurzeln zusammenführen können.“
Es ist eine Mahnung an all ihre Kritiker aus der CSU und vom eigenen konservativen Flügel, den langen, erfolgreichen Weg nicht leichtfertig aufzugeben. Merkel scheint an diesem Tag entschlossen zu sein, diesen Weg weiterzugehen. Doch im Stillen hoffte die Kanzlerin in dem Moment noch auf einen Sieg in Niedersachsen.
Dass dieser nun nicht gekommen ist, hat gerade in der CSU neue Forderungen nach einem Kurswechsel aufkommen lassen. „Als CSU haben wir schon am Bundestagswahlabend gesagt, es kann kein ,Weiter so’ geben“, sagte Generalsekretär Andreas Scheuer am Wahlabend in München. „Wir müssen den Wählern klar signalisieren: Ja, wir haben verstanden.“ Die Zeit der inhaltlichen Rücksichtnahme sei vorbei, so Scheuer, jetzt gehe es darum, keine faulen Kompromisse zu machen.
Stattdessen sollen die Themen des Bayernplans umgesetzt werden. Ein Schriftstück, das vor allem für seine Fixierung auf eine neue Flüchtlingspolitik bekannt geworden ist.
Und am Montag im Parteipräsidium meldeten sich Vertreter des konservativen Flügels zu Wort und mahnten, aus dem Sieg des Österreichers Sebastian Kurz bei der dortigen Wahl die richtigen Konsequenzen zu ziehen: Kurz hatte mit einem stramm rechten Programm seine ÖVP wieder zur stärksten Partei gemacht – zum Preis einer ebenfalls erstarkten FPÖ allerdings.
Andere Akzente als einen Rechtsruck
Als Merkel nach den Gremiensitzungen am Mittag im Konrad-Adenauer-Haus vor die Presse trat, sprach die Kanzlerin von einer lebhaften Debatte, in der man sich allerlei Gedanken um die künftige Richtung gemacht habe. Doch Merkel setzte in ihrer Auflistung der wichtigsten Themen andere Akzente als solche, die einen Rechtsruck vermuten ließen.
Zunächst nannte sie das Thema nachhaltige soziale Sicherungssysteme, dann Wirtschaft und Arbeit sowie Digitalisierung. Es folgten ländliche Räume und bezahlbare Wohnungen in Großstädten, Familien und schließlich, fast demonstrativ spät, die innere Sicherheit. Maßgabe sei, dass die neue Regierung einen „Gestaltungsauftrag“ erfüllen solle, sagte Merkel. Es klang wie eine Nachricht an die Kritiker, man möge sich mit populistischen Forderungen nun bitte zurückhalten.
Es ist eine Aufforderung, der am Montag viele Parteifreunde nachkamen. Doch hinter den Kulissen gehen die Debatten weiter.
„Wir wissen einfach nicht, in welche Richtung es gehen soll“, sagte ein Vorstandsmitglied am Montag resigniert. Mehrere Teilnehmer kritisierten zudem, dass sich viele heimliche Kritiker mit ihren Positionen öffentlich zurückhielten, weil sie um den Verlust des eigenen Postens fürchteten.
Und so scheint das Merkel-Prinzip aufzugehen, dass der Pragmatismus der Union, wenn es auf die Regierungsbildung zugeht, am Ende stärker ist als jede Richtungsdebatte.
Ein kompliziertes Unterfangen
Gemeinsam wollen die Flügel der Union nun jedoch noch genauer darauf achten, dass bei den Verhandlungen mit FDP und Grünen die eigenen Inhalte ihren Weg in den Koalitionsvertrag finden. Wieder preschte die CSU bereits am Sonntagabend vor. Generalsekretär Scheuer betonte, in den Sondierungsgesprächen zwischen Union, FDP und Grünen müsse das Ziel sein, „die Maximalabdeckung des Bürgerlichen in den Themen zu erreichen“. Man müsse den Bürgern die richtigen Antworten geben – „gemäß unserer Position Mitte/Mitte-rechts“, mahnte der CSU-Politiker.
Ein nicht ganz unkompliziertes Unterfangen, schließlich haben auch die Partner der potenziellen Jamaika-Koalition bei der Niedersachsen-Wahl Stimmen verloren. Und auch die Grünen und die FDP wollen nun noch mehr darauf achten, bei den Verhandlungen nicht unter die Räder zu geraten.
Wie schwer das werden dürfte, zeigt ein Blick auf die umstrittenen Themen der Koalition. Da wäre zunächst das Thema Verkehr, bei dem die Grünen das Ende des Verbrennungsmotors festlegen, Union und FDP aber auf keinen Fall so harte Einschnitte akzeptieren wollen.
Auch bei der Landwirtschaft wollen die Grünen eine Wende zu einer stärker ökologischen Produktion schaffen, während Union und FDP einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs fahren. Und dann wäre da noch das große Thema Flüchtlingspolitik. Die Frage etwa, ob die Länder Nordafrikas zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen, spaltet die Parteien schon vor den Verhandlungen. Alle Partner werden sich bewegen müssen.
Leichter ist das nach dieser Wahl in Niedersachsen für niemanden geworden.
Von Gordon Repinski