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Peter Tschentscher – Der Sieg des bedächtigen Steuermanns

Peter Tschentscher (SPD) feiert bei der Hamburger Bürgerschaftswahl einen deutlichen Sieg.

Peter Tschentscher (SPD) feiert bei der Hamburger Bürgerschaftswahl einen deutlichen Sieg.

Hamburg. Selten passte ein alter Gassenhauer so gut wie an diesem Hamburger Wahlabend. “Oh wie ist das schön“, singen die Genossen auf der SPD-Wahlparty in der Hamburger Markthalle, “so was haben wir lange nicht mehr gesehn.“

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Nein, einen deutlichen SPD-Sieg, mit Abstand vor der Konkurrenz, das gab es außerhalb Hamburgs nun wirklich lange nicht mehr. “Was für ein großartiger Abend für die großartige Hamburger SPD”, jubelt Tschentscher, als er 20 Minuten nach dem Wahlsieg bis zur Bühne durchgedrungen ist. Und die ach so bürgerlich-zurückhaltende hanseatische SPD skandiert noch etwas: “Nazis raus!”, rufen die Genossen minutenlang, als die AfD nach ersten Prognosen zunächst raus ist – zum ersten Mal wieder aus einem Landesparlament geflogen. Am Ende des Abends sind sie wieder drin, da singt keiner mehr.

SPD hat in Hamburg ein Rathaus gehalten

Tschentscher lächelt minutenlang übers ganze Gesicht. Dann aber ist der seit 2018 amtierende Bürgermeister, der seine erste Wahl gewonnen hat, sofort wieder bei der Analyse. “Es war nicht leicht”, doziert der studierte Mediziner, und die Genossen jubeln weiter.

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Überraschend aber war der Sieg bei allem Jubel nicht. Und auch Tschentscher verkauft seinen Sieg als eine Rückkehr zur Normalität. 50 der vergangenen 60 Jahre regierte die SPD in Hamburg. Tschentschers Vorgänger, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, lobt die SPD als “geerdete, pragamatische Volkspartei”. So könnten die Sozialdemokraten auch die nächste Bundestagswahl gewinnen. Moment: Volkspartei? Wahlsieger? Die Zwölf-Prozent-Partei von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans? In Hamburg, so schien es, ist die gute alte Zeit der Sozialdemokratie zurück gekehrt. Dabei hat die SPD bei dieser De-facto-Kommunalwahl streng genommen nur das getan, worin sie immer noch gut ist: Sie hat ein Rathaus gehalten.

Aydan Özoguz, die frühere Staatsministerin für Integration, lobt die “pragmatische Art” Tschentschers – und freut sich über das schlechte Abschneiden der AfD: “Hamburg könnte das Signal dafür sein, dass die AfD wieder aus den Parlamenten fliegt”, hoffte sie.

Grüne verdoppeln Ergebnis in Hamburg

Die Grünen mit Spitzenkandidatin Katharina Fegebank verdoppelten ihr Ergebnis gegenüber 2015, landeten aber dennoch mit Abstand hinter der SPD. Weinbergs CDU landete abgeschlagen auf dem dritten Platz. Nur zu gerne wäre Fegebank als erste Frau und erste Grüne Senatschefin geworden. Bundeschefin Annalena Baerbock gratulierte Fegebank zu ihrem “sensationellen Ergebnis” und stellte klar: “Dieses Ergebnis, diesen Wahlkampf kann uns keiner nehmen!” Dann war Party angesagt.

Eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition gilt als wahrscheinlich, aber nicht automatisch ausgemacht. Grünen-Chef Robert Habeck wies sicherheitshalber darauf hin, dass Rot-Grün “dem Wählerwillen” entspreche. Vor fünf Jahren hatte der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz sofort Koalitionsverhandlungen mit den Grünen begonnen. Eine Fortsetzung sei „naheliegend“, sagte Scholz. Von Tschentscher wird angenommen, dass er zunächst sondiert und auch Weinbergs CDU zum Gespräch bittet.

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CDU, FDP und AfD bekommen Thüringen-Krise zu spüren

Diese unterbot noch das historisch schlechte Ergebnis von 15,6 Prozent vor fünf Jahren. Der Gegenwind für den Unionskandidaten blies heftig: Das Chaos in Thüringen, die Strategie- und Nachfolgedebatte im Bund, bürgerliche Grüne und eine selbstbewusste SPD – zudem schaffte es Weinberg nicht, eigene Akzente zu setzen.

Für die Hamburger FDP waren die Folgen des Thüringer Dammbruchs gleich existenzbedrohend: Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels kämpfte seit der Wahl ihres Parteifreundes Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten in Erfurt mit Stimmen der AfD tapfer gegen den Untergang. Am Ende schaffte sie wahrscheinlich mit 5,0 Prozent den Wiedereinzug - fast wie in Erfurt.

Die AfD hingegen rettete sich nur knapp. In der Boomstadt Hamburg konnte die Partei nie richtig Fuß fassen. Da wirkt einerseits das Trauma von Ronald Barnabas Schill nach, den die Hanseaten vor 19 Jahren zum Innensenator machten und der heute im Exil in Rio seinen Süchten frönt.

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Peter Tschentscher, bedächtiger Steuermann der Hamburger SPD

Zudem ist das abgeschottete Hanseatentum Geschichte: Heute gehört jeder zur Stadtgesellschaft, der mit “Moin” grüßt, Nieselregen normal findet und Hamburg gegenüber Auswärtigen als “schönste Stadt der Welt” bewirbt. Star des Wahlkampfs war eine 90-jährige Seniorin, die den AfD-Spitzenkandidaten Dirk Nockemann auf gut hamburgisch hart attackierte: “Freunde von meinen Eltern sind in Buchenwald geblieben, und Sie sagen, das ist ein Vogelschiss.”

Die Wahlbeteiligung lag deutlich über der von 2015, der normale Nieselregen am Wahltag hatte keine negativen Auswirkungen.

Die Linken festigen ihr gutes Ergebnis und gehen auf jeden Fall in die Opposition.

Es war also vor allem der Tag von Peter Tschentscher. Der 54-jährige Mediziner und frühere Finanzsenator verkaufte sich erfolgreich als bedächtigen Steuermann, der an eine lange SPD-Erfolgsgeschichte anknüpft: In 50 der vergangenen 60 Jahre lenkte ein Sozialdemokrat die Geschicke der Stadt.

Bei den Metropolen-Themen Wohnen, Verkehr und Wirtschaft setzt er auf Ausgleich: Ja zu neuen U-Bahnen und Radwegen, aber bloß keine autofeindliche Politik. Ja zum Klimaschutz als Landesziel, aber nur mit Wirtschaft und Hafen. Ja zu Sozialwohnungsbau, aber gegen einen Mietendeckel nach Berliner Vorbild.

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Gegen Interessen des Hafens kein Erfolg

Gegen die Interessen des Hafens und die der Pendler in ihren dunkelblauen Volvo-SUVs gewinnt man in Hamburg keinen Blumentopf. Das wusste auch Fegebank, die sich gegen den Mietendeckel und für eine neue Hafenautobahn aussprach. Eine komplett autofreie Innenstadt nennen die Grünen “irre”, und auf ein festes Datum für ein klimaneutrales Hamburg legt sich Fegebank ebenfalls nicht fest.

Das sorgt für Enttäuschung bei den Fridays-for-Future-Demonstranten. 20.000 von ihnen versammelten sich am Freitag vor der Wahl, viele davon bereits wahlberechtigt, denn in Hamburg darf man ab 16 mitbestimmen. Greta Thunberg war angereist und begrüßte die Menge mit “Moin!” So ging der Wunsch von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht in Erfüllung. Er wolle, verriet Kretschmann beim Bundesparteitag der Grünen letztes Jahr in Bielefeld, nicht mehr der einzige Grüne bei Ministerpräsidentenkonferenzen sein.

Damals, im November, schien die Aussicht auf eine zweite Grünen-Länderchefin keineswegs unrealistisch. Umfragen verorteten die Hamburger Grünen gleichauf mit der SPD, eine Erhebung sah die Grünen sogar ganz vorne. Beflügelt von ihren jüngsten Erfolgen – stärkste Kraft bei der Europawahl im Mai, Gewinner der Hamburger Bezirkswahl – erschien es den Hamburger Grünen nur folgerichtig, Anspruch auf die Führung in der Hansestadt zu erheben.

Fegebank grenzte sich vom spröden Tschentscher mit demonstrativer Herzlichkeit ab. Setzte er auf Seriösität, betonte sie Leidenschaft. Tschentscher aber war am Ende der Hanseatischere von beiden.

Grüne: Gute Umfragewerte verwehten

So kam es wie so oft in der Grünen-Geschichte: Die guten Umfragewerte verwehten, je näher der Wahltermin rückte.

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Angesichts des deutlichen Rückstands versuchten die Grünen in Hamburg, aber auch in der Parteizentrale in Berlin, die zuletzt hohen Erwartungen zu dämpfen. Dass Fegebank ihr Ziel verfehlt, soll nicht ablenken vom deutlichen Zuwachs an Wählerstimmen.

Nach den aus Grünen-Sicht mäßig bis schlecht gelaufenen drei Landtagswahlen im vergangenen Herbst in Ostdeutschland soll nun Hamburg eine Zwischenetappe auf dem Weg der Grünen in die Bundesregierung markieren.

Auch die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollen den ungewohnten Erfolg gerne für sich reklamieren. Das aber fällt schwer.

Die Hamburger SPD ist traditionell sich selbst genug, damit passt sie zur Stadtgesellschaft.

Kein Landesverband hält größere Distanz zur Parteispitze. Esken und Walter-Borjans waren im Wahlkampf nicht willkommen. Für die Parteichefs war das ein Affront, zumal Vertreter der Regierungs-SPD wie Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey wie selbstverständlich im Hamburger Wahlkampf vorbeischauten. Auch benachbarte SPD-Ministerpräsidenten wie Niedersachsens Stephan Weil und Mecklenburg-Vorpommerns Manuela Schwesig wurden herzlich begrüßt. Klarer konnte die Botschaft nicht sein: Es geht ums Regieren, nicht um die Ideologie.

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SPD-Erfolg trotz neuer Parteiführung

Freude und Erleichterung sind dennoch die vorherrschenden Gefühle in der SPD-Parteizentrale in Berlin. Dem neuen Spitzenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bleibt das Schicksal ihrer Vorgänger Andrea Nahles und Martin Schulz erspart, gleich in den ersten Monaten der Amtszeit eine Wahlniederlage schönreden zu müssen.

“Es ist ein wunderschöner Tag für Hamburg und ein wunderschöner Tag für die SPD", sagt Walter-Borjans bei seinem kurzen Statement. Ein “großer Erfolg” sei das, “ein wirklich toller Tag.” Eine “grundsolide sozialdemokratische Regierungspolitik” hätten die Hamburgerinnen und Hamburger honoriert, sagt der SPD-Chef. "Sie haben aber auch erfahren, was es heißt, wenn die Bundespartei einen klaren Kompass hat. Ich glaube, dass dieses Zusammenspiel, jeder an seinem Platz, einen guten Beitrag zu diesem Ergebnis geleistet hat.“

Auch die Co-Vorsitzende Saskia Esken reklamiert einen Teil des Erfolges für sich. “Das ist Euer Erfolg”, sagt sie zwar in Richtung der Hamburger Genossen. Sie sagt aber auch: “Wir freuen uns, dass damit auch die klare Haltung der SPD hier in Berlin honoriert wurde. Ich bin der festen Überzeugung, dass das beitragen konnte zum Wahlerfolg.”

Auch Olaf Scholz kann den Sieg des Nachfolgers nicht so mir nichts, dir nichts, als Erbe deklarieren – auch wenn er das wohl gerne würde. Scholz hat eigens für den Wahlabend das G20-Finanzministertreffen in Saudi-Arabien früher verlassen. Die Botschaft ist klar: Der Sieg von Hamburg ist auch mein Sieg.

Doch der heutige Bundesfinanzminister hat seinem Nachfolger mitnichten ein bestelltes Feld überlassen, als er im Frühjahr 2018 nach Berlin ging, oder wie manche sagen: als er floh. Die Chaos-Tage des G20-Gipfels und die massiven Fehleinschätzungen des Ersten Bürgermeisters hatten die Stadtgesellschaft massiv verunsichert. Auf der Wahlparty wurde Scholz zwar freundlich begrüßt, aber nicht beklatscht.

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Tschentschers Sieg

Die Hamburger SPD dümpelte in Umfragen bei für ihre Verhältnisse mickrigen 28 Prozent, der damalige Fraktionschef Andreas Dressel und die heutige Landeschefin Melanie Leonhard winkten ab, als es um die Nachfolge im Rathaus ging. Gut möglich, dass der Wechsel zum “dritten Mann” Tschentscher gerade noch rechtzeitig erfolgte, um der SPD die Macht in der Freien und Hansestadt zu sichern.

Der Sieg von Hamburg ist deshalb vor allem Tschentschers Sieg. Er hat sehr viel mit den Hamburger Verhältnissen und sehr wenig mit Berlin zu tun.

Doch so viel Ehrlichkeit, das zuzugeben, ist in der Politik selten. Wahrscheinlicher ist es, dass sich die Spin-Doktoren in der SPD darauf einigen werden, diesen seltenen Sieg irgendwie allen zuzuschreiben. Es ist wie so oft: Der Erfolg hat viele Väter und Mütter – nur der Misserfolg bleibt ein Waisenkind.

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