Bayern will Atomkraftwerke wieder hochfahren: Grünen kritisieren Forderung als „skandalös“
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Bayern will die Laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland verlängern.
© Quelle: dpa
München/Berlin . Als Konsequenz aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und zur Sicherstellung der Energieversorgung dringt Bayern auf längere Laufzeiten von Atom- und Kohlekraftwerken. Der Freistaat untermauerte diese Forderung am Donnerstag in einer Protokollerklärung im Bund-Länder-Beschluss nach Beratungen zur Ukraine-Krise.
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„Der Ukraine-Krieg zeigt in energiepolitischer Hinsicht deutlich, wie wichtig die Stärkung der Energiesicherheit für Deutschland ist“, heißt es in der Notiz. Hierzu seien mehrere Maßnahmen dringend erforderlich: Zur Diversifizierung der Transportwege und der Bezugsquellen von Flüssiggas und von Wasserstoff sei es erforderlich, „dass auch ein direkter Zugang des Südens Deutschlands zu LNG-Terminals z.B. in Italien und Kroatien aufgebaut wird“. In Häfen mit LNG-Terminal kann Flüssiggas mit Tankern angelandet werden.
Bayern: Atomkraftwerke länger am Netz halten
„Um die Versorgungssicherheit insbesondere bei Gas und Strom aufrechtzuerhalten, müssen zudem die bereits erfolgten und geplanten Stilllegungen von Kohlekraftwerken kritisch überprüft werden“, heißt es in der Protokollerklärung weiter. „Dies ist aus Sicht Bayern aufgrund von Netzengpässen an hohen Lasttagen sowie des hohen CO2-Ausstoßes der Kohlekraft jedoch nicht ausreichend.“ Nötig sei daher darüber hinaus eine Verlängerung der Laufzeiten der laufenden beziehungsweise eine Wiederinbetriebnahme der zum 31. Dezember 2021 außer Betrieb genommenen Kernkraftwerke „für zumindest drei Jahre“. Darüber hinaus müsse der Bund weitere Verbesserungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf den Weg bringen, verlangt der Freistaat.
Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen, Julia Verlinden, hat die Forderung nach einer Verlängerung der Laufzeit deutscher Atomkraftwerke scharf kritisiert. „Dass Markus Söder selbst nach gründlichen technischen Prüfungen, die klar gegen eine Atom-Verlängerung sprechen, wieder und wieder mehr Nuklearenergie fordert, ist skandalös und unredlich“, sagte Verlinden dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Eine Verlängerung wird nicht nur aus Sicherheitsrisiken und ungeklärten Entsorgungsfragen, sondern auch wegen astronomischer Kosten nicht kommen und das weiß er ja selbst.“
Verlinden sieht darin den Versuch, von der „Blockade beim Windkraftausbau in Bayern abzulenken“. Bayern müsse für „Energieunabhängigkeit, günstige Strompreise und Klimaschutz“ vielmehr die 10-H-Abstandsregel aufgeben, sagte Verlinden dem RND.
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) hatten von längeren Laufzeiten der drei noch verbliebenen AKW in Deutschland abgeraten. Sie sollen nach wie vor bis Ende des Jahres vom Netz gehen. In einem Prüfvermerk der Ministerien hieß es: „Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen.“
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Von der bayerischen Protokollerklärung abgesehen, trugen die Länder in ihrer gemeinsamen Erklärung mit dem Bund dessen wirtschafts- und energiepolitischen Kurs weitgehend mit. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, der nordrhein-westfälische Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), unterstrich die Notwendigkeit von Unterstützung für Bürger und Unternehmen: „Sanktionen sollen bei Herrn Putin wirken und nicht bei den Menschen hier bei uns in Deutschland.“
Bund und Länder verweisen in ihrem Abschlusspapier auf „das überragende sicherheitspolitische Interesse Deutschlands an einer stärkeren Unabhängigkeit von Energie-Importen“. Die Länder unterstützen Pläne für einen raschen Ausbau erneuerbarer Energien. „Damit mindert Deutschland seine Abhängigkeit von anderen Ländern, setzt ein aktives Zeichen gegen die völkerrechtswidrige Aggression Russlands und stärkt die eigene Energieversorgungssicherheit.“ Voraussetzung seien aber die Versorgungssicherheit und tragbare Energiepreise.
Aus der Unionsbundestagsfraktion kommt die Forderung nach mehr Tempo. „Die Gewährleistung von Energiesicherheit ist angesichts des hohen russischen Importanteils bei fossiler Energie eine nationale Aufgabe ersten Ranges“, sagte der energiepolitische Sprecher, Andreas Jung, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Mit Hochdruck muss nun für den nächsten Winter für eine von Russland unabhängige Versorgung mit Bevorratung und mit Besorgung aus anderen Quellen vorgesorgt werden“, forderte der CDU-Politiker.
Schnelle abgestimmte Verfahren zur Errichtung von LNG-Terminals seien notwendig. „Zusätzlich müssen größte Anstrengungen unternommen werden, mit schwimmenden Flüssiggas-Terminals eine Perspektive schon deutlich vor deren Fertigstellung zu schaffen“, so Jung weiter. „Das ist möglich und hier darf nichts unversucht bleiben.“
Jung begrüßte, dass in der MPK-Erklärung die Maßnahmen der Ampel-Regierung zur Abfederung der Energiekosten als „erste Schritte“ bezeichnet würden. „Auf weitere notwendige Schritte haben wir mit sehr konkreten Vorschlägen im Bundestag gedrängt. Hier sind jetzt schnelle Fortschritte gefragt“, forderte er.
RND/dpa/scs/ani