Olaf Scholz und die Begeisterung für den Autokraten aus Baku
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Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts, SPD) und Ilham Aliyev, Präsident von Aserbaidschan, geben sich am Ende einer Pressekonferenz nach ihrem Gespräch im Bundeskanzleramt die Hand.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
Da geriet selbst der sonst eher nüchterne Bundeskanzler Olaf Scholz regelrecht ins Schwärmen: „Aserbaidschan ist für Deutschland und die Europäische Union ein Partner von wachsender Bedeutung.“ Das Land habe „das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Diversifizierung der deutschen und europäischen Energieversorgung zu leisten, wenn es um Öl und Gas geht“.
An der Seite des Sozialdemokraten stand am vergangenen Dienstag im Kanzleramt der schnauzbärtige Ilham Aliyev, der vor 20 Jahren das Präsidentenamt in Aserbaidschan von seinem Vater Heydər Aliyev „erbte“ – oder übernahm.
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„Aserbaidschan ist für Europa ein verlässlicher Partner. Wir steigern unseren Gasexport nach Europa“, verspricht Aliyev. Tatsächlich hat Aserbaidschan Europa stets zuverlässig mit Gas beliefert, das in der ehemaligen Sowjetrepublik zwischen Kaukasus und Kaspischem Meer so überreichlich strömt.
„Von zuvor 8,1 Milliarden erhöhte Aserbaidschan durch den südlichen Gaskorridor im Jahr 2022 seine Exporte in die EU auf 11,4 Milliarden Kubikmetern Erdgas, die bis 2027 auf 20 Milliarden Kubikmeter erhöht werden soll“, so Mikheil Sarjveladze, Südkaukasus-Experte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
„Von einer Abhängigkeit wie im Fall Russlands sind wir aber weit entfernt, wenn man sich vor Augen hält, dass die EU einen Gasbedarf von jährlich über 410 Milliarden Kubikmetern hat“, so der Politologe, der weiter ausführt. „Ich sehe andersrum eher eine Abhängigkeit Aserbaidschans von Europa, was gesicherte Absatzmärkte betrifft.“
Für Sarjveladze eröffnet sich vielmehr „Europa die Möglichkeit, Einfluss auf die Politik Aserbaidschans zu nehmen“, denn es bestehe „kein Zweifel, dass das Land unfrei ist und von einer autoritären Regierung regiert wird“.
Pressefreiheit? Platz 154
Tatsächlich ist Aserbaidschan ein enorm schwieriger Partner: Beim Ranking der Pressefreiheit, herausgegeben von Reporter ohne Grenzen, liegt das Land weltweit auf Rang 154 von 180 untersuchten Staaten – und damit zwischen Russland (155) und Belarus (153). Beim Demokratie-Index der Uni Würzburg liegt Aserbaidschan, klassifiziert als „harte Autokratie“, auf Platz 152 – weit hinter Russland (140). In Sachen Menschenrechte oder Korruption sieht es nicht besser aus.
Die Kontrolle über die Öl- und Gasreserven ist absolut zentral für Alijew und den Rest unserer politischen Elite.
Elchin Abdullayev,
Aserbaidschanischer Oppositioneller
„Die Kontrolle über die Öl- und Gasreserven ist absolut zentral für Aliyev und den Rest unserer politischen Elite. Mit dem Geld aus dem staatlichen Ölfonds lässt sich das korrupte System Aserbaidschans am Leben halten. Zudem ermöglicht der Ressourcenreichtum Aliyev, auch international Macht auszuüben“, mahnte der aserbaidschanische Oppositionelle, Elchin Abdullayev, auf dem Onlineforum „treffpunkteuropa.de“.
Die Aserbaidschan-Affäre
Wie mit aserbaidschanischen Petro-Millionen demokratische Abgeordnete geschmiert werden? Deutschland musste es vor zwei Jahren bitter erfahren: Mehrere Bundestags- und Europa-Abgeordnete wurden überführt, nachdem sie sich vom Autokraten in Baku hatten schmieren lassen. Die Aserbaidschan-Affäre war ein Lehrstück in Sachen Korruption.
Jahrzehntelanger Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan eskaliert erneut
Die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien streiten seit Jahrzehnten um ein mehrheitlich von Armeniern bewohntes Gebiet im Kaukasus.
© Quelle: Reuters
Dabei ging es um Politiker der deutschen Regierungsparteien CDU und CSU in Geschäfte mit Aserbaidschan und die damit in Zusammenhang stehenden Vorwürfe von Lobbyismus und Korruption bezeichnet.
Bei Abstimmungen im Europarat und anderen Parlamenten sollen Unionspolitiker wie Eduard Lintner oder die mittlerweile verstorbene Bundestagsabgeordnete Karin Strenz Interessen des Aliyev-Regimes durchgesetzt haben, nachdem sie zuvor beschenkt worden waren.
Konfrontativer Kurs gegen Armenien
Vor allem ist Aserbaidschan für seinen konfrontativen Kurs gegenüber Armenien im Konflikt um die überwiegend von Armeniern bewohnte, völkerrechtlich aber zu Aserbaidschan gehörende Enklave Nagorny-Karabach bekannt. Hintergrund: Armenien hatte das Gebiet nach Ende der Sowjetunion 1994 besetzt, um die dort lebende armenische Bevölkerung zu schützen.
Der „gefrorene Konflikt“ mündete im Herbst 2020 in einen offenen Krieg, in dem Aserbaidschan, militärisch unterstützt und politisch gedeckt vom Verbündeten Türkei, einen Teil des Gebietes wieder unter seine Kontrolle brachte. Ein von Russland – der traditionellen armenischen Schutzmacht – vermitteltes Abkommen verhinderte die totale Niederlage Armeniens, die zu Massenflucht und menschlichem Leid geführt hätte.
Am Dienstag warnte Armeniens Präsident Nikol Paschinjan jedoch vor einer neuen Eskalation. „Meine Schlussfolgerung beruht auf der wachsenden aggressiven Rhetorik Aserbaidschans und einigen anderen Informationen“, sagte Paschinjan. Seinen Angaben nach könnte es zu Kämpfen sowohl in Berg-Karabach als auch entlang der armenischen Grenze kommen. Zugleich bestätigte er seine Bereitschaft, ein Friedensabkommen mit Aserbaidschan zu unterzeichnen.
Blockade von Nagorny-Karabach
Seit Dezember 2022 blockiert Aserbaidschan den Latschin-Korridor, der Armenien und die Enklave Nagorny-Karabach verbindet. „130.000 ethnische Armenierinnen und Armenier in Bergkarabach sind seither von grundlegenden Gütern und Dienstleistungen wie lebensnotwendigen Medikamenten abgeschnitten“, beklagt Amnesty International. „Aserbaidschan verstößt gegen seine menschenrechtlichen Verpflichtungen, wenn es keine Maßnahmen ergreift, um die Blockade zu beenden.“
Worum geht es wirklich? „Aserbaidschan versucht, die Schwäche Russlands vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine zu nutzen und erhöht deutlich den Druck auf Armenien“, ist der Südkaukasus-Experte Sarjveladze überzeugt.
Dabei verfolgt das Regime in Baku zwei Ziele, von denen es sich wohl nicht abbringen lässt – auch nicht von den Gaskunden aus der EU: „Die Krisenregion Berg-Karabach soll vollständig innerhalb der aserbaidschanischen Grenzen reintegriert werden. Zudem fordert Aserbaidschan die Schaffung eines Korridors über armenisches Territorium zum Verbündeten Türkei“, so der Politikwissenschaftler.
Paschinjan hatte sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar unter Vermittlung von US-Außenminister Antony Blinken mit Aliyev getroffen. Grundlage war ein Entwurf für einen Friedensvertrag. Herausgekommen sind dabei schöne Bilder – aber nichts Konkretes.
„In Aserbaidschan weiß man, dass die Zeit ein Verbündeter ist“, sagte SWP-Experte Sarjveladze, der glaubt, dass sich der Westen hier eher von pragmatischen denn von moralischen Prämissen leiten lässt. „Am Ende droht Armenien allein dazustehen. Deshalb und auch im Interesse der EU ist es erforderlich, dass Brüssel über die Beobachtermission hinaus eine aktivere Rolle zwischen den Konfliktparteien einnimmt.“
Armenien distanziert sich von Russland
Bislang hatte nur die Anwesenheit einer russischen Friedenstruppe Aserbaidschan davon abgehalten, seine militärischen Ziele zu vollenden. Doch Moskau, das auch gute, vor allem wirtschaftliche Beziehungen zum Diktator in Baku unterhält, kommt seinen Verpflichtungen Armenien gegenüber kaum mehr nach. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine absorbiert alle Ressourcen. Armenien ist daher deutlich auf Distanz zu Russland gegangen, sucht die Nähe zum Westen.
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Ministerpräsident von Armenien: Nikol Paschinjan.
© Quelle: IMAGO/Metodi Popow