Nur 40 Kilometer Reichweite: Warum Iris‑T der Ukraine trotzdem eine enorme Hilfe ist
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Ein Startgerät des bodengebundenen Luftverteidigungssystems Iris‑T SLM steht auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung auf dem Rollfeld.
© Quelle: Jörg Carstensen/dpa
Russland hat am Mittwoch seine Luftangriffe auf ukrainische Energieinfrastruktur und Wohnhäuser fortgesetzt. Ein Raketenangriff im Süden der Ukraine soll für den Ausfall der Stromversorgung des Atomkraftwerks Saporischschja verantwortlich sein, teilte der ukrainische Betreiber Enerhoatom mit. Über der Region Mykolajiw schoss die Flugabwehr der Ukraine nach eigenen Angaben neun iranische Kamikazedrohnen ab.
In dieser Woche hat Russland bereits mehr als 100 Raketen auf ukrainische Städte abgefeuert. Sie zielten beinahe immer auf zivile Objekte wie Spielplätze, Universitäten oder Wohnhäuser. Etwa jede zweite Rakete konnte nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums abgefangen werden. „Die Flugabwehr der Ukraine ist auch nach mehr als sieben Monaten Krieg noch überraschend gut aufgestellt“, analysiert Militärexperte Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München. Ein Grund für die gute Luftverteidigung seien die Lieferungen der schultergestützten Abfangraketen Manpads aus dem Westen. „Die Ukraine hat aber auch noch ein gut funktionierendes Netzwerk von Radarstationen und Boden-Luft-Systemen, wie etwa S-300 oder Buk-M1, aus eigenen Beständen“, sagt Sauer im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Der Munitionsmangel sei allerdings ein zunehmend größeres Problem.
Drei weitere Modelle des Typs Iris‑T im nächsten Jahr
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte beim Treffen mit den G7-Staats- und -Regierungschefs Anfang der Woche um effektive Luftabwehrsysteme gebeten. Das US-Verteidigungsministerium kündigte zwei moderne Nasams-Luftabwehrsysteme an, Deutschland hat in dieser Woche ein erstes Iris‑T-Luftabwehrsystem geliefert. Drei weitere soll die Ukraine laut Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im kommenden Jahr erhalten. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow sprach von einer „neuen Ära der Luftverteidigung“.
Iris-T kann mittlere Großstädte vor Angriffen aus bis zu 20 Kilometer Flughöhe schützen, verfügt über 40 Kilometer Reichweite und ist mobil auf Lastwagen montiert. Es besteht aus einer Radaranlage, einem Gefechtsstand und drei Raketenwerfern. Mit dem Iris-T-System kann sich die Ukraine besser schützen als mit den bisher gelieferten Manpads. „Iris‑T hat leistungsfähigere Sensoren und verfügt über Lenkflugkörper mit höherer Geschwindigkeit“, erklärt Sauer. Wenngleich die Reichweite mit 40 Kilometern gering scheine, so helfe dieses mobile System laut dem Militärexperten, einen zusätzlichen Abwehrschirm vor allem gegen Marschflugkörper und iranische Drohen aufzustellen.
Hinzu kommt, dass Russland in den vergangenen Monaten nie die Lufthoheit in der Ukraine hatte. Fachleute führen dies auf die großen Defizite der russischen Luftwaffe zurück. „Russland bleibt bei den Luftstreitkräften genauso unter seinen zu Kriegsbeginn vermuteten Fähigkeiten zurück wie bei den Landstreitkräften“, sagt Sauer dem RND. Den ganzen Luftraum zu schützen wäre laut dem Experten schwierig, sei aber auch nicht notwendig. Sinnvoll und möglich sei eine „point defense“, also die punktuelle Verteidigung wichtiger Ziele. „Die Ukraine kann mit Iris‑T Hochwertziele wie Großstädte und militärische Infrastruktur vor Luftangriffen schützen.“
Strack-Zimmermann: Iris‑T kann nur der Anfang sein
Die Lieferung von Iris‑T kann laut der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, nur der Anfang gewesen sein. „Die Ukraine braucht auch bei der Flugabwehr noch deutlich mehr Unterstützung als bisher“, sagte die FDP-Politikerin dem RND. Doch laut Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ist das kurzfristig nicht möglich. „Deutschland hat der Ukraine bereits alles an Luftverteidigungssystemen zugesagt, was in absehbarer Zeit produziert werden kann“, sagte er dem RND. Die Industrie könne derzeit nicht mehr herstellen und Deutschland daher nicht mehr versprechen.
Ukraine erhält erstes Iris‑T-Luftabwehrsystem aus Deutschland
Das Waffensystem Iris‑T kann mit Raketen, die von Lastwagen aus abgefeuert werden, Großstädte über längere Zeit dauerhaft schützen.
© Quelle: dpa
Russland verfügt derzeit noch über eine beträchtliche Anzahl von Raketen, mit denen es die zivile Infrastruktur der Ukraine angreifen kann. Allerdings sind Massenangriffe in dieser Intensität nicht mehr lange möglich, so DGAP-Experte Mölling. „Die komplexen Waffensysteme sind in Russland endlich, da die russische Industrie sie wegen mangelnder Technik nicht nachproduzieren kann.“ Früher oder später müsse Russland ältere Waffen einsetzen, die es bisher zur Verteidigung von Geländegewinnen verwendet habe, jedoch nicht für neue Offensiven.
Treffen der Nato-Verteidigungsminister
Über weitere Unterstützung für die Ukraine beraten bis diesen Donnerstag noch die Nato-Verteidigungsminister. „Die USA könnten das Nato-Treffen für Hintergrundgespräche nutzen, um die Lieferung weiterer Kampfpanzer an die Ukraine zu organisieren“, erklärt Experte Mölling. Auch die Lieferung weiterer militärischer Ausrüstung wie Raketen dürfte ein Thema bei den inoffiziellen Gesprächen werden. „Die Ukraine braucht jetzt vor allem Raketen, um russische Flugkörper vom Himmel zu holen.“ Konkrete Zusagen gab es am Mittwoch nicht. „Wir werden die Verteidigungskapazitäten der Ukraine weiter ausbauen, sowohl für die dringenden Erfordernisse von heute als auch auf lange Sicht“, blieb US‑Verteidigungsminister Lloyd Austin vage.
Die ukrainischen Streitkräfte meldeten zuletzt nur noch kleinere Geländegewinne. Im südlichen Cherson sollen mindestens fünf Dörfer zurückerobert worden sein. Auch in der Donbass-Region Luhansk rückten die ukrainischen Streitkräfte laut lokalen Behörden weiter vor. Das russische Verteidigungsministerium erklärte gleichzeitig, dass viele ukrainische Angriffe erfolglos gewesen seien, und behauptete, bei eigenen Gegenangriffen in der Ostukraine Gebiete westlich von Kreminna (Luhansk) zurückerobert zu haben. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
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Nach Informationen des Generalstabs der ukrainischen Armee soll Belarus die erste Charge von 20 sowjetischen Kampfpanzern des Typs T-72 nach Belgorod geliefert haben. In der Stadt nahe der ukrainischen Grenze verfügt die russische Armee über einen großen Militär- und Waffenstützpunkt. Nach Einschätzung des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) plündert Russland jetzt nach und nach die belarussischen Munitions- und Waffendepots. 13 weitere Züge mit Waffen, Ausrüstung und Munition sollen demnach geplant sein.
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