Stephan Weil als niedersächsischer Ministerpräsident wiedergewählt – das sind die Pläne seiner Koalition
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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wurde am Dienstag in seine dritte Amtszeit gewählt.
© Quelle: Sina Schuldt/dpa
Hannover. Fast genau einen Monat nach der Landtagswahl hat Niedersachsens neuer Landtag am Dienstag den Ministerpräsidenten gewählt: SPD-Politiker Stephan Weil (63) wird in seine dritte Amtszeit gehen. Er wurde von 82 der insgesamt 145 anwesenden Abgeordneten in einer geheimen Wahl erneut ins Amt gewählt. Es gab 63 Gegenstimmen und keine Enthaltungen. Ein Abgeordneter fehlte entschuldigt. SPD und Grüne kommen zusammen auf 81 Sitze im neuen Landtag. Der 63-Jährige hatte mindestens 74 Stimmen benötigt.
„Ich bedanke mich sehr herzlich für das Vertrauen“, sagte Weil nach der Wahl und fuhr mit der Vorstellung seines Kabinetts fort, welches in einer Abstimmung per Handzeichen ebenfalls die erforderliche Mehrheit erreichte.
Weil weiß sein Wunschbündnis hinter sich – eine erneute rot-grüne Koalition. Beide Parteien hatten den Koalitionsvertrag am Montag unterzeichnet.
Rot-grüne Koalition bereits bei Weils erster Amtszeit
Bereits in seiner ersten Amtszeit von 2013 bis 2017 hatte Weil zusammen mit den Grünen regiert. Das Bündnis verlor seine Ein-Stimmen-Mehrheit damals vorzeitig, weil eine Grünen-Abgeordnete zur CDU gewechselt war. Es folgte eine große Koalition aus SPD und CDU. Vor der diesjährigen Landtagswahl hatte Weil jedoch früh klargemacht, dass er eine Rückkehr zu Rot-Grün anstrebt.
Mit 33,4 Prozent wurde die SPD bei der Wahl am 9. Oktober klar stärkste Kraft vor der CDU. Die Grünen fuhren mit 14,5 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis in Niedersachsen ein. Als vierte Fraktion schaffte die AfD den Sprung in den Landtag. FDP und Linke scheiterten hingegen an der Fünf-Prozent-Hürde. Im neuen Landtag hat die SPD 57 Sitze, die CDU kommt auf 47, die Grünen auf 24 und die AfD auf 18 Abgeordnete.
Niedersachsen: Was SPD und Grüne nun angehen wollen
Energie, Klima und Wohnen: Diese Themen sollen künftig generell mehr Gewicht bekommen als noch unter der SPD-CDU-Regierung. Die Emissionen sollen bis 2030 um 75 Prozent gesenkt werden, bis 2040 soll Niedersachsen klimaneutral sein. Die erneuerbaren Energien sollen deutlich ausgebaut werden. Zudem soll im ersten Regierungsjahr eine nicht gewinnorientierte Landeswohnungsgesellschaft gegründet werden. Aufgabe dieser Gesellschaft sei der Kauf, die Sanierung und Schaffung von Wohnraum. Etwa die CDU positionierte sich strikt gegen eine solche Gesellschaft, da sie nach deren Ansicht unter anderem zu bürokratisch sei.
Verkehr: Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Freiwilligendienstleistende sollen künftig für 29 Euro im Monat den Nahverkehr im ganzen Bundesland nutzen können. Ein konkretes Einführungsdatum steht noch nicht fest. In zwei Modellregionen soll erprobt werden, wie eine „Mobilitätsgarantie“ des Nahverkehrs im ländlichen Raum umgesetzt werden kann.
Bildung: Das Einstiegsgehalt vieler Lehrkräfte soll angehoben werden. Dabei geht es jeweils um mehrere hundert Euro im Monat pro Lehrkraft. Schülerinnen und Schüler sollen schrittweise digitale Endgeräte erhalten.
Landwirtschaft: SPD und Grüne wollen den Ökolandbau voranbringen. Der Ökolandbau soll bis 2025 auf mindestens 10 Prozent erhöht werden, mindestens 15 Prozent bis 2030. Tierhalter sollen mehr Unterstützung erhalten, wenn sie ihre Betriebe zu tiergerechteren Haltungen umbauen.
Worin investiert werden soll: Zwischen der SPD-CDU-Regierung und Rot-Grün dürfte sich vor allem die Finanzpolitik unterscheiden. SPD und Grüne sind eher bereit, zu investieren, auch wenn das zulasten neuer Schulden führt. Investiert werden soll in zahlreiche Bereiche – etwa in eine bessere Ausstattung von Hochschulen oder Sportanlagen.
Hilfspaket in der Energiekrise: Noch im November soll ein Nachtragshaushalt auf den Weg gebracht werden, mit dem ein Hilfspaket in der Energiekrise bezahlt werden soll. Dafür ist knapp eine Milliarde Euro vorgesehen.
Niedersachsens Regierung: Neulinge und bekannte Gesichter im Kabinett
Am Dienstagnachmittag (ab 15.30 Uhr) soll das neue Kabinett im Landtag vereidigt werden. Die SPD stellt neben dem Regierungschef sechs Ministerinnen und Minister, die Grünen vier. Es sind jeweils fünf Ministerinnen und fünf Minister vorgesehen. Dabei steht eine Verjüngung an: Die künftigen Regierungsmitglieder sind im Schnitt vier Jahre jünger als die Vorgängerregierung am Tag der Vereidigung. Wer dem Kabinett angehören soll:
Ministerpräsident: Stephan Weil geht in seine dritte Amtszeit. Sollte der SPD-Mann die vollen fünf Jahre im Amt bleiben, wäre er so lange Ministerpräsident wie niemand vor ihm im Land. Der 63-Jährige kommt gebürtig aus Hamburg, zog jedoch schon mit sechs Jahren nach Hannover – und nach einem Jurastudium in Göttingen kehrte er als Anwalt und Richter auch dorthin zurück. Als Hannovers Kämmerer und Oberbürgermeister schlug er schließlich eine politische Karriere ein. Weil ist Fan von Fußballzweitligist Hannover 96. Der Sozialdemokrat ist verheiratet und hat einen Sohn.
Stellvertretende Ministerpräsidentin und Kultus: Julia Willie Hamburg ist Weils designierte Stellvertreterin. Sie war auch als Wirtschaftsministerin im Gespräch, soll nun aber als Kultusministerin für Schulen und Kitas zuständig sein. Bisher war die 36-Jährige Fraktionsvorsitzende sowie bildungspolitische Sprecherin der Grünen. Sie studierte Politikwissenschaft, Deutsche Philologie und Philosophie in Göttingen – einen Abschluss erlangte sie nicht. Hamburg hat zwei Kinder, fährt gerne Rad, wandert und liest Comics und ist Mitglied beim Fußballzweitligisten FC St. Pauli.
Wirtschaft: Dieses Ministerium führt bislang die CDU mit dem gescheiterten Weil-Herausforderer Bernd Althusmann. Nun soll Olaf Lies auf seinen früheren Posten zurückkehren. Der Sozialdemokrat und jetzige Umweltminister war bereits von 2013 bis 2017 Wirtschaftsminister. Es galt als offenes Geheimnis, dass Lies das Ressort wieder übernehmen will. Der 55-Jährige ist verheiratet und hat zwei Töchter. Der Wilhelmshavener absolvierte eine Ausbildung als Funkelektroniker und studierte anschließend Elektrotechnik.
Inneres: Auf diesem Ministerposten steht keine Veränderung an. Boris Pistorius soll für eine dritte Amtszeit als Innenminister im Amt bleiben. Der 62-Jährige war von 2006 bis 2013 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück. Das Wort von Pistorius hat auch überregional Gewicht. Immer wieder werden ihm auch Ambitionen für politische Ämter auf Bundesebene nachgesagt. Auch der Innenminister interessiert sich für Fußball – er drückt dem Drittligisten VfL Osnabrück die Daumen. Pistorius ist verwitwet und hat zwei Töchter.
Finanzen: Mit dem Finanzressort soll eines der wichtigsten Ministerien an die Grünen gehen, und zwar an Gerald Heere. Er saß ein erstes Mal von 2013 bis 2017 im Landtag und kehrte im vergangenen Jahr dorthin zurück. Unter ihm dürfte die Finanzpolitik eine deutlich andere Richtung bekommen als unter Reinhold Hilbers (CDU), der ein Verfechter der Schuldenbremse ist. Rot-Grün dürfte dagegen auch zulasten neuer Schulden investieren. Bislang war Heere Vorsitzender des Finanzausschusses im Landtag. Der 43-Jährige absolvierte in Cuxhaven seinen Wehrdienst und studierte anschließend Politikwissenschaft in Braunschweig. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Gesundheit: Das Sozial- und Gesundheitsressort soll in den Händen von Daniela Behrens bleiben, die seit rund eineinhalb Jahren im Amt ist. Für ihre ruhige und sachliche Art erhielt sie in der Corona-Pandemie auch außerhalb der eigenen Partei Lob und Anerkennung. Die 54-Jährige studierte Politikwissenschaft in Bremen, anschließend absolvierte sie ein Volontariat bei einem Verlag. Danach war sie unter anderem als Pressesprecherin der Hochschule Bremerhaven tätig und später Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium des Landes.
Wissenschaft: Der Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs soll neuer Minister für Wissenschaft und Kultur werden. Damit wandert das Haus von CDU- in SPD-Hand. Der Diplomkaufmann sitzt seit 2017 im Deutschen Bundestag. Sein Vater Klaus Mohrs war über viele Jahre Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg. Mit 38 Jahren wird er zu den jüngeren Ministern im neuen Kabinett zählen.
Umwelt: Christian Meyer von den Grünen soll wie von 2013 bis 2017 erneut Minister werden – nun allerdings im Umwelt- statt im Landwirtschaftsressort. Meyer bildete mit Hamburg das Grünen-Spitzenduo zur Landtagswahl. Im Wahlkampf trat er aber deutlich weniger in Erscheinung. Der 47-Jährige sitzt seit 2008 im Landtag.
Landwirtschaft: Das Agrarministerium soll von der CDU zu den Grünen wechseln. Miriam Staudte ist als Nachfolgerin von Barbara Otte-Kinast vorgesehen. Staudte sitzt seit 2008 im Landtag. Zuletzt war sie Fraktionssprecherin für Landwirtschaft, Ernährung, Atompolitik, Tierschutz, Forst, Jagd und Fischerei. Die 46-Jährige kommt aus Schleswig-Holstein und hat zwei Kinder.
Justiz: Dieses Ressort soll von der CDU zur SPD wandern. Die designierte Ministerin Kathrin Wahlmann (45) saß bereits von 2013 bis 2017 im Landtag. Sie ist Richterin, studierte Rechtswissenschaften in Münster und Paris und absolvierte das erste und zweite juristische Staatsexamen. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Europa: Das Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und regionale Entwicklung soll bei der SPD bleiben, aber mit einem neuen Gesicht besetzt werden. Wiebke Osigus soll auf Birgit Honé folgen. Die 41 Jahre alte Rechtsanwältin kommt aus Aurich in Ostfriesland. CDU und FDP hätten dieses Ministerium gerne abgeschafft.
Am Montag hatten Niedersachsens SPD und Grüne in Hannover ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. Für die SPD unterschrieben Regierungschef Weil sowie der neue Fraktionsvorsitzende Grant Hendrik Tonne das Papier, für die Grünen die Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg sowie die beiden Landesvorsitzenden Anne Kura und Hans-Joachim Janßen.
Am Wochenende hatten Sonderparteitage von SPD und Grünen jeweils mit breiter Mehrheit für den Koalitionsvertrag gestimmt.
RND/nis mit dpa