Neue Maßnahmen nach Weihnachten und heftiger Streit um RKI-Empfehlung: So lief der Corona-Gipfel
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Hendrik Wüst, Ministerpräsident von NRW, Kanzler Olaf Scholz und Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin.
© Quelle: Getty Images
Berlin. Olaf Scholz fängt mit der guten Nachricht an. Die vierte Corona-Welle werde mit den von seiner Ampel-Regierung verschärften Maßnahmen wie 2G und 3G (Ungeimpfte müssen draußen bleiben oder sich testen lassen) gebrochen, die Zahl der Neuinfektionen sinke, sagt der Bundeskanzler am Dienstagabend nach einem Bund-Länder-Treffen zu neuen – abermals verschärften – Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen vor Silvester.
Und dann die schlechte Nachricht. Die Zahlen würden wieder massiv ansteigen, weil die mutierte Variante namens Omikron sich rasend schnell ausbreite und sogar drohe, die sogenannte kritische Infrastruktur aus Polizei und Feuerwehr, Telekommunikation sowie Strom- und Wasserversorgung empfindlich zu schwächen, weil zu viele Menschen erkranken werden oder in Quarantäne müssen.
Deswegen werden nun unter anderem ab 28. Dezember private Kontakte auf zehn Personen beschränkt. Für Weihnachten setzen der Kanzler und die Ministerpräsidenten noch auf einen Aufruf zur Eigenverantwortung – also dazu, das Fest klein zu halten und sich oft zu testen.
Irritierend wirkt da die Alarmmeldung des Robert Koch-Instituts (RKI) vor Beginn der Sitzung: Die Bundesbehörde empfiehlt dringend und ab sofort – nicht erst ab nächster Woche – „maximale Kontaktbeschränkungen“. Das klingt nach Lockdown-Appell. Auch für Weihnachten. Und nach Knatsch mit der Bundesregierung.
Das RKI und ein aufgebrachter Lauterbach
Da die Ampel-Koalition die Grundlage für Lockdowns – die epidemische Lage von nationaler Tragweite – als erste Amtshandlung im November für beendet erklärt hatte, kann RKI-Chef Lothar Wieler nicht von Lockdown sprechen. Obendrein hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuvor einen Lockdown vor Weihnachten abgelehnt.
Lauterbach soll in der virtuellen Bund-Länder-Konferenz den Konflikt mit dem RKI aufgebracht problematisiert haben. Das sei nicht abgestimmt worden, er sei gegen eine wissenschaftliche Zensur, aber diesen Rat habe es am Dienstag nun wirklich nicht gebraucht, schimpfte er nach RND-Informationen. Immerhin hatte sich die Bundesregierung mit einem eigens eingerichteten Expertenrat eine neue Grundlage geschaffen. In diesem Gremium sitzt auch das RKI.
Selten gab es in einer Pressekonferenz nach dem Treffen eine so deutliche Abgrenzung zwischen dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) – das ist derzeit NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) – und dem Kanzleramt. Wüst stellt sich so schützend vor das RKI, dass Lauterbachs Ärger erst so richtig wirkt. Und das Ende der pandemischen Lage nennt er einen „klaren Fehler“ der Ampel-Koalition. Wüst: „Wann, wenn nicht jetzt, besteht eine pandemische Lage von nationaler Tragweite?“
Die neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), in dieser Runde Wüsts Stellvertreterin, will das abmildern. Allerdings hatte das Berliner Abgeordnetenhaus just am Vormittag die epidemische Lage für die Hauptstadt beschlossen.
Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte und Genesene
Der Kern des Bund-Länder-Beschlusses sind die Kontaktbeschränkungen. Betroffen sind auch Geimpfte und Genesene. Ab dem 28. Dezember sollen private Zusammenkünfte für Geimpfte und Genesene nur noch mit maximal zehn Personen erlaubt sein, im Innen- wie im Außenbereich – mit unmittelbarer Auswirkung auch für Silvesterfeiern. Kinder bis 14 Jahre sind ausgenommen. Sobald eine ungeimpfte Person teilnimmt, gilt eine Beschränkung auf den eigenen Haushalt und höchstens zwei Personen eines weiteren Haushalts.
Die Fußball-Bundesliga muss sich auf Geisterspiele einstellen. Clubs und Diskotheken bleiben bis auf Weiteres geschlossen.
Druck machen die Länder bei der allgemeinen Impfpflicht: „Die Länder bitten den Bundestag und die Bundesregierung, die diesbezüglichen Vorbereitungen zügig voranzutreiben und einen kurzfristigen Zeitplan vorzulegen.“ Scholz sagt, es sei bekannt, dass die Impfquote bei 90 Prozent liegen müsse, damit die Pandemie bewältigt werde. Deutschland ist weit davon entfernt – und Wüst hat Bedenken, dass die Einführung der Impfpflicht zu lange dauert.
Schon am 7. Januar wollen Bund und Länder sich wieder treffen. Ob bis dahin eine weitere MPK ausgeschlossen sei, wird Scholz gefragt. „Das Geschehen der Pandemie verlangt, dass wir jederzeit handlungsfähig sind“, sagt er. Auszuschließen ist demnach nichts im zweiten Corona-Winter.
Bartsch sieht Vertrauen in Corona-Politik massiv beschädigt
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, sieht das Vertrauen der Bevölkerung in die deutsche Corona-Politik durch die Bund-Länder-Konferenz massiv beschädigt. Es sei irritierend, dass die Corona-Maßnahmen erst ab dem 28. Dezember und nicht schon vor Weihnachten verschärft werden, sagte Bartsch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er wolle es ironisch sagen: „Bis vor kurzem war mir nicht bekannt, dass das Virus unsere Weihnachtsfeiertagen verinnerlicht hat.“
Ferner sei der Appel an dreifach Geimpfte, sich weiter Testen zu lassen, ein „Zurück auf Null“. Dazu komme das „kommunikative Desaster“, dass das RKI öffentlich mit sofortigen und maximalen Kontaktbeschränkungen auf viel schärfere und schnellere Maßnahmen gedrängt habe, als die Bundesregierung es dann mit den Ländern beschlossen habe - und Lauterbach sich vernehmbar über seine Bundesbehörde beklage. Bartsch sagte: „Das alles ist der Bevölkerung nicht zu erklären und schwächt das Vertrauen in die Corona-Politik.“