Nach Schusswaffeneinsatz in Dortmund: Wie neutral sind Ermittlungen gegen Polizisten?
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Im Dortmunder Fall ermittelt die Polizei Recklinghausen gegen die Polizei Dortmund.
© Quelle: imago images/Noah Wedel
Berlin. Fünf Schüsse aus der Maschinenpistole eines Polizisten treffen am Montagnachmittag einen 16-Jährigen in Dortmund. Der Jugendliche hatte die Polizisten, elf Beamte waren insgesamt vor Ort, mit einem Messer angegriffen. So teilt es die Polizei Dortmund mit. Ob die tödlichen Schüsse gerechtfertigte Notwehr waren oder doch überzogene Gewalt, müssen nun Ermittlungen klären. Die hat kurz nach dem Einsatz das Polizeipräsidium Recklinghausen übernommen – aus Neutralitätsgründen, wie es bei der Polizei heißt. Erst am Sonntag war nach einem Einsatz der Polizei Recklinghausen in der Ruhrgebietsstadt Oer-Erkenschwick ein 39-Jähriger gestorben. Die Ermittlungen übernahm in diesem Fall die Polizei Dortmund.
Noch schlechter wäre es nur, wenn Kollegen der eigenen Dienststelle ermitteln würden.
Tobias Singelnstein,
Kriminologie- und Strafrechtsprofessor
Für eine gute Lösung hält der Kriminologie- und Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein das nicht. „Das ist die zweitschlechteste Variante“, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Noch schlechter wäre es nur, wenn Kollegen der eigenen Dienststelle ermitteln würden.“
Die Polizei sei gerade in Nordrhein-Westfalen eine große und vielfältige Organisation. „Trotzdem kennt am Ende jeder jeden und man trifft sich immer zweimal. Selbst wenn man die Kollegen, um die es geht, nicht persönlich kennt, bleiben es doch Kollegen“, sagt Singelnstein, der zu unrechtmäßiger Polizeigewalt forscht und an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main lehrt. Wenn Polizistinnen und Polizisten mögliches Fehlverhalten von Kollegen beurteilen sollten, hätten sie in der Regel eine gewisse Voreingenommenheit.
Die Kriminalpolizei ermittelt seit Jahrzehnten in zahlreichen Fällen erfolgreich auch gegen andere Polizisten. Ich würde sogar sagen, besonders akribisch.
Sebastian Fiedler,
SPD-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Kriminalbeamter
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler widerspricht. Fiedler hat selbst lange als Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen gearbeitet und war vor seinem Einzug in den Bundestag Bundesvorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BdK). Dass Polizisten weniger gründlich gegen ihre Kollegen ermitteln, sei eine völlige Fehlvorstellung, sagt er. „Die Kriminalpolizei ermittelt seit Jahrzehnten in zahlreichen Fällen erfolgreich auch gegen andere Polizisten. Ich würde sogar sagen, besonders akribisch“, erklärt Fiedler. Das System sei zusätzlich dadurch ausbalanciert, „dass eine Staatsanwaltschaft die Ermittlungen leitet und unabhängige Gerichte diese anschließend noch mal bewerten müssen, zum Beispiel wenn es zu einer Anklage kommt.“
Der Kriminologe Singelnstein sieht bei der Polizei auch eine ‚Cop Culture‘ am Werk, eine Kultur, die sich durch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl unter Polizisten auszeichne und zu voreingenommenen Ermittlungen beitrage. „Das ist in diesem Sachzusammenhang von Todesermittlungen Unsinn“, sagt Sebastian Fiedler hingegen. „Insbesondere, weil der Staatsanwalt weit entfernt von einer ‚Cop Culture‘ und darin überhaupt nicht eingebunden ist.“ Je schwerwiegender ein Delikt sei, desto qualifizierter seien die entsprechenden Stellen bei der Staatsanwaltschaft. Dort gebe es eine „vielfache Qualitätskontrolle“.
Singelnstein sieht jedoch auch bei den Staatsanwaltschaften, die die Ermittlungen rechtlich leiten, ein Problem. Auch dort gälten Polizisten als „ungewöhnliche Beschuldigte“, sagt er. „Man geht mit der Vorannahme heran, dass das ‚unsere Leute‘ sind, die in der Regel richtig handeln“, so Singelnstein.
In mehreren Bundesländern wie Hamburg oder Bayern gebe es bereits unabhängige Polizeidienststellen für interne Ermittlungen. Das sei jedoch „noch nicht der Weisheit letzter Schluss“, weil dabei immer noch Polizeibeamte gegen ihre Kollegen ermittelten. Auch unabhängige Polizeibeauftragte gibt es in einigen Bundesländern, im Bund will die Ampelkoalition ebenfalls so eine Stelle einführen. Die Zuständigkeit der bisherigen Beauftragten sei aber stark eingeschränkt, sagt Singelnstein. „In Fällen, bei denen ein Straftatverdacht im Raum steht, kommen sie gar nicht zum Zuge, sondern werden letztendlich auf die Bagatellen verwiesen.“
Alternative wären eigenständige Behörden
Positive Beispiele sieht der Kriminologe im Ausland: „Wirklich unabhängige Lösungen gibt es etwa in Großbritannien und Dänemark. Da gibt es eigenständige Behörden, die Fehlverhalten von Polizistinnen und Polizisten untersuchen und aufklären“, erklärt er. Auch für Deutschland seien eigenständige Behörden denkbar, die komplett unabhängig sind und nicht nur mit ehemaligen Polizisten, sondern diverser besetzt seien. „Dort sollten Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Hintergründen und Polizeierfahrungen vertreten sein“, sagt Singelnstein.
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Eine solche Behörde müsse die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht notwendigerweise ersetzen, könne sie aber zumindest um eine weitere Perspektive ergänzen und strukturelle Probleme der Polizei in den Blick nehmen.
Fiedler hält die Forderung nach unabhängigen Ermittlungsbehörden außerhalb der Polizei dagegen für nicht zu Ende gedacht. „Diejenigen, die solche Ermittlungen durchführen, müssen immer auch ausgebildete Kriminalbeamte sein“, sagt er. „Wenn ich das dänische System auf Deutschland übertragen würde, bräuchte ich nur für Nordrhein-Westfalen eine zusätzliche Behörde mit mehreren Hundert Mitarbeitern. Und das müssten alles ehemalige Kriminalbeamte sein. Die müssten Sie aus der Kriminalpolizei rausnehmen und in diese Behörde packen.“ Zudem müssten diese Beamten dann immer noch gegen ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ermitteln.