Nach Italiens Präsidentenwahl: Salvini bremst Draghis Reformen
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Lega-Chef Matteo Salvini wollte sich bei der Staatspräsidentenwahl vorige Woche als „Königsmacher“ profilieren – und ist dabei zum großen Verlierer geworden.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Rom. Der alte und neue Staatspräsident Sergio Mattarella ist am Donnerstag in Rom unter dem Kanonendonner von 21 Salutschüssen in einer feierlichen Zeremonie zum zweiten Mal als Staatsoberhaupt Italiens vereidigt worden. Doch die Wiederwahl des 80-Jährigen, die von der großen Mehrheit der Italienerinnen und Italiener und von den Staatskanzleien ganz Europas freudig begrüßt wurde, droht die Regierungsarbeit nun paradoxerweise zu belasten statt zu erleichtern.
Der Grund: Lega-Chef Salvini, der bei der Staatspräsidentenwahl als „Königsmacher“ punkten wollte, ist dabei zum großen Verlierer geworden – und versucht nun, sein Imagedebakel mit forschem Auftreten in der Regierung vergessen zu machen.
Am Mittwoch haben die drei Lega-Minister in der Regierung gleich die erste Kabinettssitzung nach der Mattarella-Wahl boykottiert. Auf dem Programm standen weitere Öffnungsschritte bei der Pandemiebekämpfung: Unter anderem beschloss die Regierung, dass der „Green Pass“ (Impfzertifikat) für Geboosterte und Genesene ab sofort eine zeitlich unbeschränkte Gültigkeit besitzt. Außerdem wurde der Fernunterricht an den Primar- und Sekundarschulen stark eingeschränkt.
Salvinis Order: „Keine Kompromisse mehr“
Das waren alles Maßnahmen gewesen, die die Lega selber gefordert hatte – lediglich beim Fernunterricht verlangte Salvini eine noch etwas strengere Regelung. Es war aber offensichtlich, dass die kleine Differenz lediglich ein Vorwand war, um die Sitzung zu schwänzen. Salvinis Order an seine Minister lautete: „Keine Kompromisse mehr.“
Das verheißt für die kommenden Reformrunden nichts Gutes. Denn in den nächsten Monaten werden noch ganz andere, weit umstrittenere Themen auf dem Tisch der Regierung landen. Um die zweite und die dritte Tranche aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu kassieren, muss die Regierung bei den Reformen einen Gang hochschalten.
Unter anderem verlangt Brüssel die Verschärfung der Gangart bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung, eine Anpassung der amtlichen Werte der Immobilien an die effektiven Marktwerte, neue Sparmaßnahmen sowie diverse Liberalisierungen, namentlich bei den Konzessionen für die privaten Bezahlstrände.
100 „Milestones“ – aber keine willige Koalition
Das sind alles Reformen, die für den größten Teil der Lega-Wähler unverdaulich sind. In Italien müssen mitten in einem Wahljahr – im Frühling 2023 wird das Parlament neu gewählt – gleich herdenweise heilige Kühe geschlachtet werden. Die Regierung Draghi hat sich gegenüber der EU verpflichtet, im laufenden Jahr 100 „Milestones“ und „Targets“ zu verwirklichen, mit denen das Land modernisiert und die Wirtschaft nachhaltig in Schwung gebracht wird.
Darunter sind unzählige Maßnahmen, die auch für andere Parteien Tabuzonen darstellen. Zum Beispiel soll in der öffentlichen Verwaltung und bei den Lehrerinnen und Lehrern das Leistungsprinzip eingeführt werden. Sollten mit Blick auf die Wahlen auch die übrigen Koalitionsparteien plötzlich zum Motto „keine Kompromisse mehr“ übergehen, wird Draghis Reformzug entgleisen.
Das Erreichen der vereinbarten Ziele ist auch ohne politischen Widerstand schon schwierig genug, nicht zuletzt aus personellen Gründen. Für die Realisierung der zahlreichen Projekte sind unzählige Fachkräfte erforderlich, über die die öffentliche Verwaltung nach jahrelangem Stellenstopp nicht verfügt. Ein einfaches Beispiel: Italien müsste 228.000 neue Krippenplätze bereitstellen, um die tiefe Beschäftigungsquote der Frauen zu erhöhen – aber es fehlt an ausgebildeten Betreuerinnen und Betreuern.
Das Geld ist da – es fehlen die Fachkräfte
Ganz zu schweigen von den Heerscharen an Ingenieuren, Technikern und Informatikern, die für die großen Infrastrukturprojekte – Hochgeschwindigkeitstrassen, Energiewende, flächendeckendes 5G, Big Data usw. – benötigt würden.
Gianni Dominici, Direktor eines Beratungsunternehmens, das die Staatsverwaltung bei der Personalrekrutierung unterstützt, veranschaulicht das Problem: Italien habe in den letzten Jahren wegen bürokratischer Hürden und Mangel an Fachpersonal jeweils gerade mal 45 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel aus den EU-Strukturfonds ausgeschöpft, etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr.
Dank dem Wiederaufbaufonds stehe nun fast das Zehnfache zur Verfügung, nämlich 50 Milliarden pro Jahr. „Aber so wie die öffentliche Verwaltung derzeit aufgestellt ist – historisch tiefer Personalbestand, hohes Durchschnittsalter, bescheidene digitale Fachkenntnisse und mangelnde Führungskompetenzen –, besteht die Gefahr, dass sie die riesigen finanziellen Ressourcen nicht auf effiziente Art und innerhalb der geforderten Fristen ausgegeben werden können“, betont Dominici.