Belastungsgrenze erreicht?

Wie die Bundesländer die Flüchtlingsunterbringung regeln – und was sie ändern wollen

Ukrainische Kinder schauen aus den Fenstern einer Siedlung für Geflüchtete in Lwiw.

Ukrainische Kinder schauen aus den Fenstern einer Siedlung für Geflüchtete in Lwiw.

Die Bundesländer zeigen sich allesamt überlastet mit der Anzahl der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen und die sie unterbringen müssen. Dabei geht es nicht nur um die gerechte Verteilung, sondern auch um Geld und Platz. Die Verteilung auf die Länder regelt der sogenannte Königsteiner Schlüssel: eine Quote, die jedes Jahr vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anhand der Steuer­einnahmen und Bevölkerungs­zahlen berechnet wird.

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Für ukrainische Geflüchtete gilt dieses Verfahren nicht. Sie dürfen sich niederlassen, wo sie wollen. Einige Kommunen wollen die Unterbringung für alle Geflüchtete, die nach Deutschland kommen, anders regeln.

Schleswig-Holstein

Bisher wurden Geflüchtete in Schleswig-Holstein im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Kreise verteilt. Künftig soll sich das aber ändern: Sozial­ministerin Aminata Touré (Grüne) will, dass Geflüchtete auch direkt in die Städte und Dörfer geschickt werden können, die noch freie Aufnahme­kapazitäten haben. Bei einer Befragung der Städte und Gemeinden sei herausgekommen, dass es landesweit noch 3000 freie Unterkünfte gebe, obwohl erste Kreise die Aufnahme bereits abgelehnt hatten, sagte Touré. 2022 kamen 31.000 ukrainische Geflüchtete und 10.000 Menschen aus weiteren Ländern nach Schleswig-Holstein.

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Brandenburg

In Brandenburg haben sich die Koalitionspartner SPD, Grüne und CDU auf einen Kompromiss geeinigt: Geflüchtete sollen mit einer Verzögerung an die Kommunen verteilt werden. So sollen Kreise und Städte Zeit gewinnen, um neue Unterkünfte für die Menschen einzurichten. Die Geflüchteten sollen zuerst in sogenannten Sammelheimen aufgefangen werden, die vom Land betrieben werden. Dafür schafft die Landesregierung 3000 Plätze mehr und will neuen Bewohnern ermöglichen, anstatt nur einige Monate bis zu zwei Jahre in den Sammelunterkünften zu bleiben.

Mitte April kündigte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) an, zur Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge die Hauptstandorte der Erstaufnahme mit Containerdörfern zu erweitern. An den Standorten in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree), Frankfurt (Oder) und Wünsdorf (Teltow-Fläming) sollen nach Stübgens Konzept so jeweils 500 und damit zunächst 1500 weitere Plätze geschaffen werden. Dafür hat das Innenministerium beim Finanzministerium für dieses Jahr überplanmäßige Mittel in Höhe von gut 19 Millionen Euro beantragt.

Nordrhein-Westfalen

Im bevölkerungsstärksten Bundesland fordern die Kommunen, dass Bund und Land mehr Immobilien zur Verfügung stellen. Rund 225.000 Geflüchtete sind bisher allein aus der Ukraine nach NRW gekommen. Die schwarz-grüne Regierung kündigte bereits im vergangenen Jahr an, die Einrichtung von bis zu 9000 weiteren Plätzen für Geflüchtete zu prüfen. Minister­präsident Hendrik Wüst (CDU) forderte in einem Brief an Bundes­innenministerin Nancy Faeser zusätzlich mehr Unterstützung bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten.

Niedersachsen

Niedersachsen möchte ebenfalls seine Kommunen entlasten. Das Land versucht, mehr Geflüchtete in Erst­aufnahme­einrichtungen des Landes unterzubringen. Die Plätze seien verdreifacht worden, auf 15.000. In diesem Jahr sollen es insgesamt 20.000 Erst­aufnahme­plätze werden. Das soll helfen, den Kommunen Zeit zu geben, eigene Unterkünfte zu finden.

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Hamburg

Die Hansestadt hat allein aus der Ukraine mehr als 30.000 Geflüchtete aufgenommen. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher sieht die Stadt damit „am Limit“. Doch weiterhin kommen Menschen nach Hamburg, was die Politik vor Ort auf ungewöhnliche Ideen bringt: Die Stadt testet aktuell Tiny Houses – kleine Wohneinheiten, die auf Anhängern stehen. Sie sollen schnell und flexibel weitere Unterbringungen schaffen. 500 neue Plätze sollen so entstehen. Eines der vorrangigen Ziele sei es, mit den neuen Kapazitäten die Schulsporthallen, die jetzt noch zur kurzfristigen Unterbringung genutzt werden, zu leeren.

Berlin

Momentan gibt es laut Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) gut 32.000 Plätze für geflüchtete Menschen in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahme. Sie sind weitgehend belegt, die Reserven gering.

Für das Jahr 2023 gibt es laut Katja Kipping, Senatorin für Soziales und Integration (Linke), einen Mehrbedarf von rund 10.000 Plätzen. Um die Situation zu entschärfen, hat der Berliner Senat die Nutzung des Ankunfts­zentrums Tegel bis Ende Juni verlängert. Vor Ort gibt es 3200 Plätze für Geflüchtete. Und noch an anderer Stelle will die Stadt Platz schaffen: Mit sogenannten „Modularen Unterkünften für Flüchtlinge“ (MUF) sollen an 28 Standorten in Berlin Gebäude für Geflüchtete entstehen. Neun Standorte sind fertig oder kurz vor Inbetriebnahme. Weitere 25 Standorte werden mit den Bezirken abgestimmt. Die Gebäude haben zwischen 200 und 450 Plätzen.

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Sachsen

Im Freistaat wurden im vergangenen Jahr zusammen mit ukrainischen Geflüchteten rund 80.000 Menschen aufgenommen. Die Erst­aufnahme­einrichtungen im Land verteilen sie auf die Städte und Kommunen. Innenminister Armin Schuster (CDU) will die Plätze in den Erst­aufnahme­einrichtungen dauerhaft vorhalten, um Geflüchteten schnell eine Unterkunft bieten zu können. Anstatt die Kapazitäten also je nach Lage hoch- oder herunterzufahren, sollen konstant Plätze zur Verfügung stehen. Nach aktuellen Zahlen des Freistaates sind etwa 4300 Menschen in Erst­aufnahme­einrichtungen. 4100 Plätze sind damit noch frei.

Sachsen-Anhalt

Die Zahl der Menschen, die zuletzt nach Sachsen-Anhalt kamen, ist gestiegen. Laut Innenministerium hat sie sich 2022 gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt – auf 5602. Das Land hat deshalb neben einer bereits existierenden zentralen Anlaufstelle eine weitere Großunterkunft in Stendal vorgesehen. Das alte Kasernen­gelände soll 2025 fertig sein. Weil die Kapazitäten in einigen Orten des Landes nicht mehr reichen, dringen Politiker auf eine vorzeitige Teilöffnung. Das Land prüft derzeit eine Teilöffnung.

Zusätzlich hat Sachsen-Anhalt seit einiger Zeit die Mindest­vorgaben für die Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschafts­unterkünften außer Kraft gesetzt. Fortan können Zimmer mit mehr als maximal vier Leuten belegt werden. Für jede Person stehen normalerweise mindestens sieben, im Ausnahmefall sechs Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Das könnte sich dadurch ändern. Die Lockerung ist bis Ende Juni befristet.

Bayern

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert seit Wochen mehr Engagement des Bundes bei der Lösung der Flüchtlings­unterbringungs­frage. Er wünscht sich mehr Geld, keine zusätzlichen Aufnahme­programme für Geflüchtete, eine Umsetzung der Rückführungs­offensive und Zugriff auf zusätzliche bundeseigene Immobilien. Eine Liste lieferte das Innenministerium um Joachim Herrmann (CSU) dem Bund direkt mit. 90 Prozent der Plätze in den sogenannten Ankerzentren in Bayern sind laut „Süddeutscher Zeitung“ belegt. Unterdessen stellen viele Landkreise zusätzliche Container auf, wie Herrmann auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.

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Baden-Württemberg

Im vergangenen Jahr hat Baden-Württemberg mehr Geflüchtete aufgenommen als in den Jahren 2015 und 2016. Die Kommunen sehen sich aktuell an einer Belastungs­grenze. Landkreistags­präsident Joachim Walter sagte dem SWR, dass vor allem der Bund jetzt am Zug sei. Die flüchtlings­bedingten Mehrkosten müssten komplett übernommen werden. Aktuell prüft die Landesregierung, ob in Tamm, einem Nachbarort von Ludwigsburg, eine zusätzliche Erst­aufnahme­einrichtung errichtet werden kann.

Hessen

Landräte und Bürgermeister aus dem Kreis Main-Taunus brachten vor Kurzem in einem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz und den hessischen Minister­präsidenten Boris Rhein (CDU) ihren Unmut vor. Sie fordern, die Zahl der Geflüchteten zu steuern und zu begrenzen. Hessen bezuschusst nach eigenen Angaben mit zusätzlichen Landesmitteln die Flüchtlings­versorgung.

Bremen

Der Königsteiner Schlüssel belastet vor allem Stadtstaaten wie Hamburg, Bremen und Berlin stärker als die Flächenländer. Denn in den Ballungs­räumen ist der Wohnraum nicht nur knapp, sondern vor allem teuer. Mehr als 13.000 Geflüchtete kamen 2022 nach Bremen. Die Stadt versucht, mit kreativen Lösungen Platz zu schaffen: In einem alten Bürogebäude fand sie 300 neue Unterkünfte für Menschen, die ihre Heimat verloren haben. 15 Jahre lang will das Sozialressort das alte Stute-Gebäude mieten. Dafür sollen laut „Kreis­zeitung“ monatlich 114.000 Euro investiert werden – jährlich also 1,36 Millionen Euro. Eine teure, aber notwendige Lösung: Bremen hat bisher Platz für etwa 8900 Menschen.

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Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz ist die Lage ähnlich angespannt wie in den anderen Bundesländern. Im Februar kamen Vertreter der Städte, Kreise und Gemeinden zusammen, um gemeinsam mit Minister­präsidentin Malu Dreyer (SPD) über die Probleme bei der Flüchtlings­unterbringung zu beraten. Die Vertreter erwarten vor allem eins: Der Bund und das Land Rheinland-Pfalz sollen eine bessere Verteilung von Geflüchteten innerhalb Europas erwirken. Auch Rückführungen sollen mehr genutzt werden, hieß es nach dem Gespräch. Unterdessen versucht das Land, weitere Kapazitäten zu schaffen, indem es die Menschen beispielsweise in Turnhallen unterbringt.

Mecklenburg-Vorpommern

Mecklenburg-Vorpommern muss weiter ausharren. Innenminister Christian Pegel (SPD) sieht frühestens Ende des Jahres die Möglichkeit, die Erst­aufnahme­kapazitäten aufzustocken. Eine Zahl nannte er nicht. Bislang gibt es Erst­aufnahme­standorte in Schwerin und Horst bei Boizenburg (Landkreis Ludwigslust-Parchim). Zusätzlich will das Land Geflüchtete weiterhin zwölf Wochen in Erst­aufnahme­einrichtungen halten, um sie dann im Anschluss Kommunen zuzuweisen. Die Stimmung wird angespannter: Gegen Pläne zum Bau von Container­unterkünften gab es zuletzt immer wieder Widerstand der Einwohner und Einwohnerinnen.

Thüringen

Im vergangenen Jahr suchten in Thüringen mehr Menschen Schutz als noch 2015, im Jahr der sogenannten Flüchtlingskrise. Um die in diesem Jahr ankommenden Geflüchteten unterzubringen, fordern die Landkreise mehr Geld und eine bessere Abstimmung mit dem Land. Für mehr Platz soll eine Einigung mit dem Bund sorgen, die auch für die übrigen 15 Bundesländer gilt: Bundes­innenministerin Nancy Faeser möchte bundeseigene Immobilien für Geflüchtete zur Verfügung stellen. In Thüringen hatte das aber bisher keinen Erfolg: Die eine Immobilie hatte laut dem Sprecher des Migrations­ministeriums zu wenig Platz, die andere war sanierungs­bedürftig.

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Und was plant der Bund?

Die Länder wollen also mehr Geld und Unterstützung vom Bund. Nach dem Flüchtlingsgipfel im Februar steht vor allem eins fest: Bund, Länder und Kommunen wollen bei der Unterbringung von Geflüchteten enger zusammen­arbeiten. Bundes­innenministerin Nancy Faeser brachte dafür auch ein „Dashboard“ ins Spiel, das künftig mit Daten zur Situation der Geflüchteten für Transparenz sorgen soll. Die Zahl der aktuell Geflüchteten in Deutschland soll damit übersichtlicher werden.

Weiterer Wohnraum soll vor allem dadurch geschaffen werden, dass die Regierung Flächen und Immobilien zur Verfügung stellt, auf denen Wohnungen gebaut werden können. Wie die finanziellen Lasten weiter verteilt werden sollen, ist aktuell noch offen. Um Ostern herum will Bundeskanzler Olaf Scholz dafür mit den Minister­präsidentinnen und ‑präsidenten zusammen­kommen. Arbeitskreise sollen bis dahin zu den wichtigsten Themen Ergebnisse ausarbeiten.

Auch versprach Bundes­innenministerin Faeser, sich in der EU für eine bessere Verteilung der Ukraine-Geflüchteten einzusetzen. Wie genau das aussehen soll, bleibt offen.

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Mit dpa

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