Kretschmer: „Entscheidung, wer in die EU kommt, dürfen nicht kriminelle Schlepper haben“
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Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wünscht sich in Deutschland einen „Asyl-Frieden“.
© Quelle: Jan Woitas/dpa
Dresden. Angesichts des Migrationsdrucks auf Europa ist die politische Debatte in Deutschland wieder in Gang gekommen. So sieht Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) die Notwendigkeit für „eine Balance zwischen der Härte, die Grenzen der EU zu sichern, und der dringend notwendigen Hilfe für Menschen in Not“. Europa müsse helfen und „wird das sicher auch in Zukunft tun“, sagte er am Montag zum Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Lampedusa im Mittelmeer. „Aber die Entscheidung, wer in die EU kommt, dürfen nicht kriminelle Schlepper haben“, diese müssten die EU-Staaten treffen.
Wegen stark zunehmender illegaler Einreisen hat Sachsen den Fahndungsdruck auf Schleuser erhöht, die Menschen unter lebensgefährdenden Umständen in Fahrzeugen über die Grenzen von Tschechien und Polen bringen. Zugleich sind Landkreise, Städte und Gemeinden bei der Unterbringung Geflüchteter an der Belastungsgrenze. Auch angesichts dessen sei der Freistaat bereit, „an einem Kompromiss zur Reduzierung der Migrationszahlen im Zuge eines Deutschlandpakts mitzuwirken“, sagte Kretschmer. „Deutschland braucht einen Asyl-Frieden.“
Die CDU dringt auf schnell umsetzbare Maßnahmen zur Begrenzung der Migration. „Die Zahlen müssen herunter“, sagte Generalsekretär Carsten Linnemann am Montag nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin. Dafür sollten nach dem Vorbild der deutsch-österreichischen Grenze auch an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz Grenzkontrollen eingeführt werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sei in der Verantwortung, dies umzusetzen. Außerdem sollten die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten im Asylrecht eingestuft werden.
Linnemann betonte, es gehe um Maßnahmen, die schnell binnen Wochen umzusetzen seien. Dies würde auch das Signal an die Kommunen geben, dass man sich um sie kümmere. Auf einen Migrationsgipfel im Frühjahr im Kanzleramt seien bisher keine Maßnahmen gefolgt.
Beim Besuch der italienischen Insel Lampedusa am Sonntag hatte von der Leyen angekündigt, angesichts der vielen Überfahrten von Migranten die Überwachung der EU-Außengrenze im Mittelmeer zu Luft und zu See zu verstärken. Auf Lampedusa waren in den Tagen zuvor Tausende Bootsmigranten angekommen, das Erstaufnahmelager ist überfüllt.
Söder: Experten rechnen mit 400.000 Asylanträgen
CSU-Parteichef Markus Söder forderte einen „Deutschlandpakt“ im Kampf gegen ungeregelte Migration in Deutschland. Experten rechneten in diesem Jahr mit bis zu 400.000 Asylanträgen, sagte Söder am Montag nach einer Sitzung seines, Parteivorstandes in München. Er wiederholte seine Forderung nach einer Obergrenze in Höhe von rund 200.000 Asylbewerbern pro Jahr in der Bundesrepublik. „Es braucht eine Integrationsgrenze als Richtwert für unser Land“, sagte Söder.
Die Asylbewerberzahlen in Deutschland stiegen kontinuierlich an, während etwa im Nachbarland Österreich die Zahlen zurückgingen. Migration sei deshalb nicht nur eine europäische, sondern auch eine nationale Frage. Wenn die Flüchtlingszahlen zu hoch seien, sei Integration nicht mehr leistbar, sagte Söder mit Verweis etwa auf die Kapazitäten von Kindertagesstätten und Schulen. „Es braucht jetzt eine grundlegende Wende“, betonte er. Er wies Vorwürfe zurück, die Vorschläge seien dem bevorstehenden Termin der Landtagswahl in Bayern geschuldet. „Lampedusa kennt keine Landtagswahl in Bayern“, sagte Söder.
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Klingbeil über Söder: „Wieder zur großen Keule ausgeholt“
SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte Söders Vorstoß. Rund drei Wochen vor der Wahl in Bayern habe Söder „wieder zur großen Keule ausgeholt“ und mache Politik auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten, sagte der SPD-Politiker am Montag in Berlin. Es sei ein Politikmodell von Söder, dem Bund immer Ratschläge zu erteilen, „aber selbst anpacken wäre ja auch nicht falsch“.
„Deswegen können wir nur dringend davon abraten, jetzt Gesellschaft zu spalten und hier dann wirklich mit solchen Worten auch dafür zu sorgen, dass die Polarisierung weiter vorangetrieben wird“, betonte Klingbeil. Die SPD wolle mit einem Politikstil, der die tatsächlichen Probleme anpacke und für Lösungen sorge, die „große Frage der Migration“ anpacken. „Aber das erreichen wir nicht durch große Sprüche, sondern indem wir tatsächlich etwas verändern“, sagte Klingbeil.
Linke nennt Söders Obergrenze „populistischen Wahlkampfquatsch“
Auch der Linken schmecken die Forderungen des CSU-Chefs nach einer Obergrenze für Migration nicht. Sie stößt auf scharfe Kritik: „Das ganze Gerede von einer Obergrenze wie Söder das macht, ist doch populistischer Wahlkampfquatsch“, sagte Parteichefin Janine Wissler am Montag in Berlin. Jeder wisse, dass es überhaupt nicht möglich sei, Menschen davon abzuhalten vor Bomben und vor Hunger zu fliehen. „Was passiert dann mit den Menschen, die nach Europa kommen, wenn die Obergrenze erfüllt ist? (...) Wollen wir wirklich, dass an den EU-Außengrenzen auf Menschen geschossen wird?“
Es gebe in dieser Welt keine Obergrenze für Leid und deshalb könne es keine Obergrenze für davor fliehende Menschen geben, sagte Wissler. Sie forderte eine Bekämpfung der Fluchtursachen und sichere Fluchtwege. Zudem müsse der Bund die Kommunen stärker unterstützen.
FDP will Anreize schmälern
Die FDP schlug unterdessen vor, eine bundesweite Bezahlkarte zu etablieren, mit der Asylbewerber ihren täglichen Bedarf im Einzelhandel decken können. Anders als bei der Auszahlung von Geld wären dann keine Rücküberweisungen in Herkunftsländer möglich, heißt es in einem Beschluss des Parteipräsidiums vom Montag. „Damit würde ein wesentlicher Anreiz zur Einreise in die Sozialsysteme entfallen“, argumentiert die FDP in ihrem Papier mit dem Titel „Irreguläre Migration rechtsstaatlich und geordnet wirksamer bekämpfen und spürbar reduzieren“.
Die Partei fordert Länder und Kommunen zudem auf, bei Asylbewerbern mit geringer Bleibeperspektive die Möglichkeit zu nutzen, vermehrt auf Sach- anstatt auf Geldleistungen zu setzen. Anstatt etwa Geld für Bus- und Bahntickets oder Handy-Guthaben zu überweisen, könne man Fahrscheine oder Prepaid-Karten direkt zur Verfügung stellen. Die FDP wiederholte außerdem ihren Vorschlag, Marokko, Tunesien und Algerien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, um die Asylverfahren von Staatsbürgern dieser nordafrikanischen Staaten zu beschleunigen. Diesen Vorschlag hatten die Grünen allerdings schon mehrfach zurückgewiesen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte: „Ja, da haben wir einen Konflikt innerhalb der Koalition, vor allem mit dem grünen Koalitionspartner, aber das ist etwas, was aus unserer Sicht zentral ist und eine Notwendigkeit, und deswegen werden wir auch diese intensive Auseinandersetzung innerhalb der Koalition so austragen und führen.“
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex sollte „perspektivisch auch die Seenotrettung im Mittelmeer und die Ausschiffung der Geretteten in sichere Drittstaaten mit Migrationsabkommen übernehmen“, heißt es in dem Papier weiter. Aus Sicht der FDP sollten außerdem Fördermaßnahmen ausgeweitet werden, um Menschen, die Deutschland verlassen müssen, zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. Die FDP warnte, der gesellschaftliche Zusammenhalt drohe zu zerbrechen, wenn es nicht gelinge, Schutzbedürftige fairer in Europa zu verteilen und die Zahl unberechtigter Anträge erheblich zu senken. Gleichzeitig forderte sie mehr Tempo bei der Umsetzung der bereits beschlossenen Pläne für erleichterte Erwerbsmigration. Um die Visa-Vergabe an Fachkräften zu beschleunigen, müssten an deutschen Auslandsvertretungen rasch zusätzliche Kapazitäten geschaffen und Verfahren digitalisiert werden.
Bundespolizei greift 67 eingeschleuste Migranten auf
Die Bundespolizei hat in Vorpommern 67 Menschen an der deutsch-polnischen Grenze aufgegriffen, die illegal eingereist sind. Die Frauen, Männer und Kinder kamen zum größten Teil aus Syrien und Afghanistan, wie ein Sprecher der Bundespolizei in Pasewalk (Vorpommern-Greifswald) sagte. Die meisten der Zuwanderer stellten Asylanträge und wurden in eine Erstaufnahmeeinrichtung in die Region Schwerin gebracht.
47 Menschen, darunter acht Kinder, wurden nach Angaben der Bundespolizei vom Montag in zwei Gruppen an der Autobahn 11 Stettin-Berlin bei Penkun sowie in Löcknitz an der Bundesstraße 104 aufgegriffen.
Ein Autofahrer aus Lettland, der am Samstag gefasst wurde, gab an, fünf Migranten aus dem Baltikum nach Deutschland gefahren zu haben. Der Mann kam wieder auf freien Fuß.
RND/dpa