Merkel in der Ukraine: Worte wie Waffen
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Angela Merkel
© Quelle: Sergey Dolzhenko/POOL EPA/AP/dpa
Kiew. Einen Flugzeugträger hätte der ukrainische Staatschef gern. Auch Scharfschützengewehre der Nato wären gut. Jedenfalls eine militärische Ertüchtigung der Marine zur Verteidigung im Schwarzen Meer – gegen Russland. Wolodymyr Selenskyj zählt auf, was seine Armee brauche – er wirkt geladen während der Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin am Sonntag in Kiew.
Er beginnt noch höflich: Dank an Deutschland als „Schlüsselverbündeter“ der Ukraine in Europa, Dank an Angela Merkel für ihre Bemühungen um Frieden in der Ostukraine, Einladung nach Kiew an sie auch als Privatperson. Aber dies nimmt er der langjährigen Regierungschefin offensichtlich richtig übel: ihr eisernes Festhalten an der umstrittenen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland. „Für uns ist es eine geopolitische Waffe des Kremls“, sagt Selenskyj erzürnt.
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Merkel steht neben dem 43-jährigen einstigen Schauspieler im barocken und prunkvollen Marienpalast, der der zeremoniellen Residenz des Präsidenten dient. Sechs Flaggen sind hinter den beiden aufgebaut, die deutsche und die ukrainische im Wechsel. Doch so verwoben sind die beiden Länder nicht. Das Verhältnis zu Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko war schon schwierig. Aber jetzt ist es schlechter. Obwohl Deutschland der größte Entwicklungshilfegeber in der Ukraine ist.
Merkel warnt Russland
Auch Merkel stellt zuerst das Positive heraus. „Hochachtung“ habe sie für den Reformkurs des Präsidenten. Deutschland sei bereit zu Hilfe, „wo immer das möglich ist“. Es sei klar, dass „Gas nicht als geopolitische Waffe benutzt werden soll“. Und wenn sich dieser Verdacht doch erhärte, werde es Sanktionen gegen Russland geben. Das beruhigt Selenskyj allerdings ganz und gar nicht.
Aber Apropos Waffen: Es sei ja bekannt, dass Deutschland in der Frage von Waffenlieferungen restriktiv sei, betont Merkel einigermaßen kühl. Die Frage eines Journalisten, ob er auf eine künftige Beteiligung der Grünen an der Bundesregierung hoffe – Parteichef Robert Habeck hatte eine Lieferung von Defensivwaffen ins Gespräch gebracht – beantwortet Selenskyj nicht. In diesem Moment sieht es so aus, als müsste Merkel ein Schmunzeln unterdrücken.
Merkel rückt nicht von Pipeline ab
Was selbst US-Präsident und Nord-Stream-2-Kritiker Joe Biden nicht geschafft hat, gelingt auch Selenskyj nicht: Merkel rückt keinen Millimeter von der Pipeline ab. Nach russischen Angaben fehlen auch nur noch 15 Kilometer bis zur Fertigstellung des Milliardenprojekts.
Kiew befürchtet, dass die bisherige Durchleitung von russischem Gas durch die Ukraine nach Europa in naher Zukunft deshalb versiegen wird. 2 Milliarden Dollar an Transitgebühren fehlten dann dem ukrainischen Haushalt – westliche Wirtschaftsexperten halten das für übertrieben. Sie kommen in etwa auf 400 Millionen Dollar.
Wichtig ist nun, dass Russland den Transitvertrag mit der Ukraine über 2024 hinaus verlängert. Das gäbe Sicherheit. Dafür will Kremlchef Wladimir Putin aber von europäischen Partnern wissen, welches Volumen sie denn abzunehmen gedenken. Ohne Bestellung, keine Vertragsunterzeichnung. Und wer weiß, vielleicht bedienen sich die europäischen Partner später auch lieber bei Nord Stream 2.
Deutschland wirbt für Zukunftsfonds
Deutschland wirbt für einen Zukunftsfonds zum Aufbau Erneuerbarer Energien in der Ukraine ein und hat 175 Millionen Dollar eingezahlt, jetzt bräuchte es auf internationaler Ebene noch ein paar Unterstützer, um das Ziel von einer Milliarde Dollar zu erreichen. Allein es fehlt an Unterstützern.
Was den anderen großen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland – der Krim-Krise – betrifft, ist Merkel an diesem Tag noch einmal als Vermittlerin unterwegs. Am Freitag war sie bei Putin, nun in Kiew. Aber sie hat zum Ende ihrer Amtszeit nicht mehr die Wucht wie im Frühjahr 2015, als sie kurzfristig um die halbe Welt reiste, um dann in Minsk einen Friedensprozess zur Aussöhnung pro-russischer Separatisten und ukrainischer Soldaten in der Ostukraine anzuschieben.
Bemerkung am Rande: Minsk in Belarus wäre heute wegen des brutal regierenden Machthabers Lukaschenko als Treffpunkt des Normandie-Formats von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine ausgeschlossen.
Merkel bekam damals – nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 – Putin und Poroschenko an den Verhandlungstisch. Ihre Diplomatie für die Ukraine schärfte erheblich ihren Ruf als Krisenmanagerin.
Krim bleibt für Kiew verloren
Aber auch sechseinhalb lange Jahre nach Minsk liegt der Frieden zwischen Moskau und Kiew in den umkämpften Teilen der Regionen Luhansk und Donezk in Trümmern. Und die Krim bleibt für Kiew verloren, der Westen weiß das. Wenn die sieben großen Industriestaaten ihre Ankündigung durchhalten, bleibt Putin die Rückkehr in ihren Kreis deshalb auch verwehrt – G8 war einmal.
Die Enttäuschung in der Ukraine über den ausbleibenden Durchbruch ist immens. Bei Merkel auch. Sie lässt in Kiew aufhorchen mit dieser Bemerkung: Sie plädiere für ein Normandie-Treffen auf Präsidentenebene – „mit mir”. Frieden in der Ukraine unter ihrer Vermittlung – das ist eines ihrer letzten großen Ziele als Kanzlerin. Ihre Tage im Amt sind dafür aber gezählt.