Wendig und witzig: Gregor Gysi wird 75 Jahre alt
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Gregor Gysi, Bundestagsabgeordneter der Linken, wird 75.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Klaus Lederer, linker Kultursenator in der Hauptstadt Berlin, ist des Lobes voll. „Gregor Gysi ist ein wirklicher Ausnahmepolitiker, dem die Linke in der Bundesrepublik viel zu verdanken hat“, sagt er. „Er versteht es wie nur wenige Menschen, komplexe Themen für die Alltagswahrnehmung zu übersetzen und hat sich diese Bodenständigkeit immer bewahrt.“
Der Anwalt und spätere Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag wird am Montag 75 Jahre alt. Egal, wie man zu Gysi stehen mag: Lebendig ist er trotz vieler gesundheitlicher Probleme geblieben.
Große Klappe
Zu DDR-Zeiten wurde der Sohn des Kulturministers Klaus Gysi bekannt, weil er die juristischen Interessen von Oppositionellen vertrat, darunter Robert Havemann, Rudolf Bahro und Bärbel Bohley. Aus dieser Zeit rührt auch der Verdacht her, Gysi habe als Inoffizieller Mitarbeiter dem Ministerium für Staatssicherheit gedient – ein Verdacht, der ihn nach dem Fall der Mauer jahrzehntelang begleiten sollte und viele Rechtsstreitigkeiten nach sich zog.
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August 1990: 29. Sitzung der DDR-Volkskammer: Diskussion über den Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur BRD nach Art. 23 GG; von links: Gregor Gysi (PDS), der Vorsitzende der CDU-Fraktion Günther Krause, Ministerpräsident Lothar de Maizière und Abrüstungsminister Rainer Eppelmann.
© Quelle: ullstein - ADN - Bildarchiv
Später half Gysi, aus den Trümmern der SED die PDS und anschließend die Linke zu machen. Er fiel mit einer Körperlänge von lediglich 1,64 Metern rasch auch gesamtdeutsch auf. Denn Gysi war zwar klein. Doch er hatte eine umso größere Klappe und wusste seine Anliegen ebenso anschaulich wie undogmatisch rüberzubringen. Das verschaffte dem Linken selbst in bürgerlichen Milieus Gehör.
Gregor Gysi: Selenskyj glaubt selbst nicht an Krim-Rückeroberung
Linke-Politiker Gregor Gysi im RND-Interview zur Situation der Ukraine, dem Scholz-Besuch in Kiew und der „Existenzkrise seiner eigenen Partei“.
© Quelle: RND
Innerparteilich hatte es Gysi unterdessen nicht so leicht. Er überwarf sich mit dem anderen prominenten Linken-Mitbegründer Oskar Lafontaine, sprach beim Göttinger Parteitag 2012 von „Hass“ in den eigenen Reihen und musste 2015 die Fraktionsspitze für Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht räumen. Auf eines ist in der Linken schließlich stets Verlass: den Streit – was den Niedergang beschleunigte.
Noch Mitte November sagte Gysi beim Betreten eines Abgeordnetengebäudes am Reichstag: „Am Donnerstag treffe ich mich wieder mit Sahra.“ Er wollte mit seiner langjährigen Widersacherin darüber sprechen, „ob wir beide unserer historischen Verantwortung gerecht werden wollen“. Gysi will verhindern, dass Wagenknecht eine eigene Partei aufmacht. Ob das gelingt, ist fraglich.
Viele Rollen
In jenen Wochen machte Gysi überdies von sich reden, weil er einen Aktivisten der Letzten Generation als Anwalt vertrat. Gysi sitzt nämlich unverändert im Bundestag. Oft sieht man den außenpolitischen Sprecher seiner Fraktion im Parlament freilich nicht. Stattdessen bleibt er in vielen Rollen als Jurist, Politiker, Autor und Moderator: wendig und witzig.
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Nötigt auch dem politischen Gegner stets Respekt ab: Gregor Gysi.
© Quelle: Friso Gentsch
Nein, auch in der Linken hat Gregor Gysi nicht nur Freunde. Klaus Lederer ist aber sicher einer von ihnen. Berlins Kultursenator rühmt unter anderem, dass Gysi der Versuchung widerstanden habe, sich reaktionären oder gar nationalistischen Denkmustern anzubiedern. Dies ist nicht zuletzt auf Wagenknecht gemünzt. „Die Lehren aus 1989/1990 sind ihm nicht nur pflichtschuldige Folklore“, sagt er über den Jubilar. „Das kann man heute ja kaum hoch genug schätzen. Ich gratuliere ihm auf das Herzlichste!“