Lehrerpräsident: „Einen baldigen Freedom-Day kann es für die Schulen nicht geben“

Ein leerer Klassenraum in Niedersachsen.

Ein leerer Klassenraum in Niedersachsen.

Herr Meidinger, der Corona-Expertenrat der Bundesregierung sieht die Notwendigkeit, jetzt mit Priorität die Interessen der Kinder zu berücksichtigen. Eine späte Erkenntnis, oder?

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Naja, eigentlich sagt ja heute jeder, dass es jetzt um die Interessen der Kinder gehen muss. Die eigentliche Kernfrage ist allerdings, was das eigentlich in der Praxis bedeutet. Das können Sie auch daran erkennen, wie unterschiedlich oft die Forderungen von Eltern sind. Die einen haben nicht zu Unrecht größte Angst, dass sich ihre Kinder in der Schule infizieren. Viele andere haben eher den Wunsch, dass der Schulbesuch jetzt normal stattfindet. Es ist leider nicht so, dass es die eine einfache Lösung gibt, die alle zufriedenstellen würde.

Heinz-Peter Meidinger spricht im Interview über die Todsünden der Bildungspolitik.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hält einen Stufenplan für Lockerungen in den Schulen für den richtigen Weg.

Bei der Ministerpräsidentenkonferenz sind weitgehende Lockerungen der Corona-Politik für die Gesellschaft beschlossen worden. Muss es die jetzt auch an den Schulen geben, vielleicht sogar einen Freedom Day?

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Ich sehe das wie Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Begriff Freedom Day wird den schwierigen Herausforderungen nicht gerecht. Das gilt erst recht für die Situation an den Schulen. Einen baldigen Freedom-Day kann es für die Schulen nicht geben. Es geht um ein umsichtiges Rantasten an die Normalität.

Der Deutsche Lehrerverband ist überzeugt, dass es jetzt eine Öffnungsperspektive auch für die Schulen braucht. Aber es dürfen nicht alle Vorsichtsmaßnahmen auf einmal fallen.

Heinz-Peter Meidinger

Lehrerpräsident

Wie viel Lockerungen an den Schulen sind jetzt angemessen? Und wie viel Vorsicht brauchen wir noch?

Einerseits hat die Omikron-Welle nach Auffassung der Experten ihren Scheitelpunkt überschritten. Andererseits gibt es gerade an den Schulen noch hohe Infektionszahlen, zumal viele Schülerinnen und Schüler noch nicht komplett geimpft sind. Der Deutsche Lehrerverband ist überzeugt, dass es jetzt eine Öffnungsperspektive auch für die Schulen braucht. Aber es dürfen nicht alle Vorsichtsmaßnahmen auf einmal fallen. Wir müssen Schritt für Schritt vorangehen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Stufenplan, wie ihn Niedersachsen jetzt vorgelegt hat. Daran könnten sich andere Länder ein Vorbild nehmen.

Was bedeutet das konkret? Wie lange sollen regelmäßige Corona-Tests aus ihrer Sicht noch zum Schulalltag gehören?

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Bei den derzeitigen Inzidenzen in den jungen Altersgruppen brauchen wir demnach im Augenblick noch häufige, am besten tägliche Tests die Woche in der Schule. Wenn die Lage sich bessert, sollte man erst runtergehen auf drei, dann – noch vor den Osterferien – auf einen. Nach den Osterferien brauchen wir dann aber eine Sicherheitsphase, in der danach vorübergehend wieder mehr getestet wird. Sonst laufen wir eventuell in die Falle, dass es nach den Ferien zu vielen Ansteckungen an den Schulen kommen könnte. Das Ziel muss sein, dahinzukommen, dass in den Schulen nur noch anlassbezogene Corona-Tests gebraucht werden.

Auch die Maskenpflicht in den Schulen ist ein großes Thema. Welche Lösung ist aus Ihrer Sicht die beste?

Da schlagen zwei Herzen in mir. Ich wünsche sehnlichst den Tag herbei, an dem alle Kinder und Jugendlichen wieder ohne Maske lernen können. Aber die Masken sind nun einmal nachgewiesenermaßen ein besonders gutes Schutzmittel gegen eine Ansteckung. Daher ist der Lehrerverband überzeugt, dass auch die Maskenpflicht nur Schritt für Schritt abgebaut werden kann. Hauptziel muss sein, den Präsenzunterricht nicht durch zu frühe und zu massive Lockerungen zu gefährden.

In welchen Schritten soll es also vorangehen?

Viele drängen darauf, die Maskenpflicht zuerst in den Klassenräumen aufzuheben. Das ist ein verständlicher Wunsch, weil die Kinder dort besonders viel Zeit verbringen. Wissenschaftlich betrachtet ist die Ansteckungsgefahr aber dort viel größer als in den Pausen- und Außenbereichen, wo man an der frischen Luft ist und besser Abstände einhalten kann. So umstritten das ist: Ich denke nicht, dass die Maskenpflicht zuerst in den Klassenräumen fallen sollte. Da brauchen wir sie noch.

Zur Normalität an Schulen gehört auch, dass wir bald wieder Klassenfahrten ermöglichen sollten.

Heinz-Peter Meidinger

Lehrerpräsident

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Was ist Ihnen noch wichtig, wenn es jetzt um Lockerungen der Corona-Maßnahmen an den Schulen geht?

Sport- und Musikunterricht sind wichtig für die Kinder und sollten, sobald die Infektionssituation besser ist, schnell wieder aufgenommen werden. Zur Normalität an Schulen gehört auch, dass wir bald wieder Klassenfahrten ermöglichen sollten. Die Klassenfahrten, Chor und Schultheater, die Ski-Freizeit – das alles macht doch das soziale Leben an den Schulen so viel reicher. Und es gibt noch etwas anderes, das an den weiterführenden Schulen gerade ganz fürchterlich fehlt.

Nämlich?

Wir haben durch die Pandemie seit zwei Jahren praktisch keinen internationalen Schüleraustausch mehr. Wir reden von Erfahrungen, die Schülerinnen und Schüler oft für viele Jahre prägen. Von der Politik wünsche ich mir ein umfassendes Programm, das mit zusätzlichem Geld soziale Aktivitäten an den Schulen, aber auch den Schüleraustausch wieder anschiebt.

In der Pandemie hat gerade beim Thema Schule oft in jedem Bundesland etwas anderes gegolten. Sehen Sie eine Chance, dass die Länder diesen Zustand beim Thema Lockerungen zumindest einmal halbwegs überwinden?

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Man soll die Hoffnung nie aufgeben, aber es sieht nicht danach aus. Natürlich können Zeitpunkte für bestimmte Lockerungsschritte bei den Schulen in Ländern mit guten Gründen ein wenig voneinander abweichen. Es gibt ja auch unterschiedliche Ferientermine. Aber eines ist doch klar: Das Chaos, dass überall etwas anderes gilt, hat Eltern, Lehrkräfte und Kinder viel Nerven und der Politik jede Menge an Vertrauen gekostet. Die Länder sollten sich auf einen gemeinsamen Fahrplan für Lockerungsschritte bei den Schulen einigen, an dem sich alle so weit wie möglich orientieren können.

Droht nicht die Gefahr, dass im Herbst und Winter neue Corona-Wellen die Schulen erneut in Probleme bringen – solange die Impfquote in Deutschland nicht hoch genug ist?

Die Gefahr, dass neue Corona-Wellen uns im Herbst und Winter in den Schulen wieder Probleme bereiten, ist real. Das gilt vor allem, solange sich zu wenige Menschen in Deutschland haben impfen lassen. Mein Appell als Präsident des Lehrerverbandes an die Menschen, die es noch nicht getan haben, ist: Lassen Sie sich impfen – schon den Kindern zuliebe, damit der Schulunterunterricht nicht wieder auf der Kippe steht.

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Das klingt, als würden Sie eine Impfpflicht befürworten.

Es gibt da keine Beschlusslage des Lehrerverbandes. Ich persönlich bin überzeugt, dass wir zumindest vorübergehend eine Impfpflicht brauchen. Wir dürfen es den Kindern nicht noch einmal zumuten, dass sie den Preis für fehlende Solidarität in der Gesellschaft zahlen müssen. Wir müssen von den Älteren jetzt erwarten, dass sie sich selbst schützen – durch die Impfung.

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