Kontaktbeschränkungen, Geisterspiele, Tanzverbot: Auf diese Corona-Verschärfungen haben sich Bund und Länder geeinigt
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Dienstagabend die Beschlüsse des Corona-Gipfels von Bund und Ländern bekannt gegeben.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dp
Angesichts der drohenden fünften Corona-Welle haben sich Bund und Länder am Dienstag auf schärfere Corona-Maßnahmen verständigt. Bundeskanzler Olaf Scholz stellte nach dem Corona-Gipfel die Änderungen vor und warb bei den Bürgerinnen und Bürgern um Verständnis: „Diese Pandemie strengt uns alle an. Wir alle sind mürbe und der Pandemie müde. Das hilft aber nichts. Wir müssen abermals zusammenstehen und auch in vielen Fällen eben Distanz halten.“
Weiter sagte er: „Corona macht keine Weihnachtspause.“ Omikron werde die Zahl der Infektionen massiv ansteigen lassen, so Scholz. „Darauf müssen wir uns jetzt einstellen.“ Es sei nicht die Zeit für große Partys an Silvester. Omikron sei aggressiver und drohe den Impfschutz zu unterlaufen. Erst eine Auffrischimpfung gebe einigermaßen Schutz. „So schnell wie erhofft ist es nicht vorbei.“
Anschließend stellte Scholz die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen vor, die spätestens ab dem 28. Dezember gelten sollen. Die wichtigsten Beschlüsse auf einen Blick:
- Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte und Genese. Private Treffen sind dann nur noch mit maximal zehn Personen erlaubt. Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres sind davon ausgenommen.
- Clubs und Diskotheken müssen bundesweit geschlossen werden, Tanzveranstaltungen sind verboten.
- Überregionale Großveranstaltungen, darunter auch Fußballspiele, dürfen nicht mehr vor Zuschauerinnen und Zuschauern stattfinden.
- Bund und Länder wollen bis Ende Januar 2022 weitere 30 Millionen Impfungen (Booster-, Erst- und Zweitimpfungen) erreichen.
- Bund und Länder wollen am 7. Januar 2022 erneut zusammenkommen, um über die Corona-Lage zu beraten.
Scholz rief zu Vorsicht und Rücksicht bei Familientreffen zu Weihnachten auf. Der Kanzler warb für Sicherheitsabstände, das Tragen von Masken und für zusätzliche Impfungen – auch bei zweifach Geimpften. Allerdings habe man sich bewusst entschieden, die beschlossenen Corona-Maßnahmen erst nach den Feiertagen in Kraft zu setzen. Weihnachten und Ostern hätten sich in der Vergangenheit nicht als Pandemietreiber erwiesen.
Neben den Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich, den Schließungen von Clubs und Diskotheken und dem Zuschauerverbot für Großveranstaltungen soll die Booster-Kampagne weiter vorangetrieben werden – auch während der Weihnachtstage und zwischen den Feiertagen. Bis Ende Januar werden 30 Millionen weitere Auffrischungsimpfungen angestrebt. Mindestens 32,6 Prozent der Gesamtbevölkerung haben bereits eine Auffrischungsimpfung bekommen. Mindestens 70,4 Prozent sind bisher zweifach geimpft oder haben die Einmal-Impfung von Johnson & Johnson erhalten. Im Schnitt wurden in den vergangenen sieben Tagen 1,1 Millionen Impfungen pro Tag verabreicht.
RKI schlägt Alarm, Lauterbach sauer
Vor der Konferenz hatte es Forderungen nach deutlich weitreichenderen Maßnahmen gegeben. Das RKI hatte Alarm geschlagen und die sofortige Schließung von Restaurants und eine Verlängerung der Weihnachtsferien für Schulen und Kitas gefordert. Es ging damit über die Stellungnahme des Expertenrats der Bundesregierung vom Sonntag hinaus, die Grundlage für die Ministerpräsidentenkonferenz war. Die größten Effekte auf die Dynamik der Omikron-Welle seien „von konsequenten und flächendeckenden Kontaktbeschränkungen“ und von Maßnahmen zur Infektionsvorbeugung zu erwarten, erklärte das RKI.
Bei der Bundesregierung kam das nicht gut an. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte in der Schaltkonferenz, es gebe keine wissenschaftliche Zensur, die Veröffentlichung sei aber „nicht abgestimmt“ gewesen, wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Das dürfe nicht passieren. Scholz wies in der Pressekonferenz darauf hin, dass auch das RKI mit seinem Chef Lothar Wieler im Expertengremium der Regierung vertreten ist. Dessen Empfehlung sei einstimmig gewesen.
Der Expertenrat der Bundesregierung hatte deutlich vager „gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen“ gefordert. Nach Einschätzung der Expertinnen und Experten kann Omikron auch zweifach Geimpfte sowie Genesene leicht anstecken. „Dies kann zu einer explosionsartigen Verbreitung führen.“ Die Expertinnen und Experten warnten vor einer „neuen Dimension“ der Pandemie. Kliniken stünden vor starker Überlastung. Ein Teil der Bevölkerung könnte wegen Krankheit oder Quarantäne auch als Beschäftigte ausfallen. Gefährdet sei das Funktionieren von Versorgungs- und Sicherheitssystemen.
Modellierer warnt vor Omikron
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verteidigte die Arbeit des RKI. Man müsse nicht jeden einzelnen Punkt von dessen Auffassungen teilen. „Aber es ist aus meiner Sicht wichtig, dass dem RKI der Respekt entgegengebracht wird, den es verdient“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz.
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte vor den Bund-Länder-Beratungen schnell bundesweit schärfere Maßnahmen gefordert. „Ich werde heut‘ von Bundeskanzler Scholz in dieser Richtung Führung bestellen“, sagte er. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte in der ARD, wenn sich die Situation mit Omikron weiter verschärfe, müsse man möglicherweise die Epidemische Lage wieder beschließen, die Rechtsgrundlage für weitestgehende Maßnahmen war, bis die Ampel-Koalition sie auslaufen ließ. Das Berliner Abgeordnetenhaus beschloss diese Epidemische Lage für das Land Berlin.
Der Saarbrücker Modellierer Thorsten Lehr sagte dem Fernsehsender NTV, abhängig von den Maßnahmen könnten die Inzidenzen Anfang des Jahres um die 1000 liegen. „Da sehen wir wirklich eine relativ starke Wand auf uns zukommen.“ Vorerst sank die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz im Vergleich zum Vortag am Dienstag wieder etwas – von 316,0 auf 306,4 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und Woche. Binnen eines Tages gab es offiziell 23.428 Neuinfektionen und 462 Todesfälle.
RND/jst/dpa