„Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich“: einseitige Debatte über Corona und Klimaschutz
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU, links) spricht in Pirna mit einem Gegner der Corona-Maßnahmen. Dieses Zugehen auf „Querdenker“ verteidigt er bis heute, sieht aber jetzt keine Möglichkeit mehr dazu.
© Quelle: Matthias Rietschel/dpa-Zentralbi
Berlin. Der Freistaat Sachsen unterhält für seine Vertretung in Berlin ein repräsentatives Stadtpalais direkt hinter dem früheren DDR-Staatsratsgebäude mit Gästezimmern, Büros und Platz für Veranstaltungen. Dort ließ am Montag die konservative Denkfabrik R 21 rund 20 Podiumsteilnehmerinnen und ‑teilnehmer über „Deutschland zwischen Covid und Klima – Grundrechte unter Vorbehalt?“ debattieren.
Die Fragestellung zielt natürlich in eine bestimmte Richtung: Feindbild der Denkfabrik, die von dem Historiker Andreas Rödder, Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission, und der früheren CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder geleitet wurde, ist als übergriffig empfundenes Regierungshandeln aus „moralischer Überhöhung“. Diesen „Fürsorgestaat“ oder „Oberlehrerstaat“ malen die Diskutanten eher grün, wenn auch die Handelnden in der Corona-Krise in ihrer Mehrzahl Union und SPD angehörten.
Ist R 21 ein Versammlungsort für „Querdenker“?
Eingeladen sind vor allem diejenigen, die sich in der Corona-Krise kritisch gegenüber der Maßnahmenpolitik hervorgetan hatten, ohne ins Lager der „Querdenker“ abzudriften. Der Virologe Klaus Stöhr etwa, der Jurist und Journalist Heribert Prantl, der Philosoph Julian Nida-Rümelin und die Schriftstellerin Juli Zeh.
Auch der Hausherr und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) diskutiert mit. Zu Hause in Sachsen warf ihm Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt vor, durch einige der Gäste werde die Tagung in der sächsischen Landesvertretung zu einer „politischen Außenstelle für Kreuz- und Querdenker“. Er habe eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt, in der er wissen will, wie die Entscheidung für diese Veranstaltung gefallen sei. Kretschmer versichert den R-21-Zuhörerinnen und Zuhörern, sie seien „hier herzlich willkommen, auch für kommende Veranstaltungen“.
Kretschmer war der einzige geladene Politiker, der in den Corona-Jahren Verantwortung trug, abgesehen von dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Palmer traf sich, dies nur am Rande, in der Mittagspause quasiöffentlich im Café Einstein mit Sahra Wagenknecht. Auf Fragen, ob er nach seinem Austritt bei den Grünen nun eine neue politische Heimat suche, lächelt er nur fein.
In Kretschmers Sachsen waren sowohl die Inzidenzen und Todesfälle als auch die Corona-Maßnahmen-Proteste am extremsten. „Die Politik hat Verantwortung übernommen, aber auch Fehler gemacht“, sagt er als Bilanz. „Die Bundesnotbremse war garantiert ein Fehler.“ Die bundeseinheitlichen Einschränkungen ab Ostern 2021 trafen besonders in Sachsen mit anschwellenden Protesten zusammen. Von einem „Querdenker“-nahen Verein befeuert, wurden als Protest Kinderschuhe vor Rathäusern abgestellt.
Bei Kretschmer machte das anscheinend Eindruck: „Die Leute wollten nicht mehr“, sagt er auf dem Podium. Er verteidigt seine Gesprächsversuche mit Maßnahmengegnern auf Demonstrationen, auch sein Gespräch mit dem Mediziner und Verschwörungserzähler Sucharit Bhakdi verteidigt er. Dass sich bestimmte Kreise komplett radikalisiert haben, räumt Kretschmer heute aber ein: „Zu den Leuten kommt man nicht mehr durch, das ist eine sehr harte Haut, wie ein Schutzmantel.“
„Null Covid wird es ebenso wenig geben wie null Emissionen“
Wie bereits die FDP fordert auch Kretschmer die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Pandemie“ im Bundestag – was diese genau erforschen soll, lässt er aber offen.
Im Gegensatz zur Initiatorin Kristina Schröder möchte Kretschmer keine direkten Linien zwischen Corona-Bekämpfung und Klimapolitik ziehen: „Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich“, sagt er knapp, warnt dann aber dennoch: „Wir müssen denen entgegentreten, die meinen: Klimaschutz steht über allem und der Zweck heiligt die Mittel.“
Schröder versucht die Parallele zwischen Corona- und Klimapolitik mit aller Macht zurechtzudengeln: In beiden Krisen würde „alles auf das Erreichen eines Zieles gesetzt“ und der „Zweck heilige die Mittel“. In beiden Fällen sei diese Politik falsch: „Null Covid wird es ebenso wenig geben wie null Emissionen.“
Eine „Außenstelle für Kreuz- und Querdenker“ wurde die sächsische Landesvertretung an diesem Montag zwar nicht, aber wegen der einseitig besetzten Podien war dieser Tag wenig mehr als eine Selbstbestätigung der eigenen Meinung. Bis zu einer echten konservativen Denkfabrik ist es noch ein weiter Weg.