Klimawandel: der Preis der Untätigkeit

In der Klimakrise heißt es: Es wird Zeit zu handeln.

In der Klimakrise heißt es: Es wird Zeit zu handeln.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen in einem Flugzeug und hören folgende Durchsage: „Verehrte Fluggäste, leider haben wir bereits vor geraumer Zeit den Punkt verpasst, an dem wir in einen geregelten Sinkflug hätten übergehen müssen, um sanft auf unserem Zielflughafen zu landen. Wir könnten die Landebahn zwar noch immer erreichen, aber dazu müssten wir jetzt einen sehr steilen und damit für alle an Bord sehr unangenehmen Sturzflug einleiten. Das wollen wir Ihnen nicht zumuten, weshalb wir ganz einfach auf Kurs bleiben. Damit werden wir irgendwann zwar unweigerlich abstürzen, aber bis dahin werden Sie noch einen angenehmen Flug haben.“

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Ein absurdes Szenario? Trotzdem ist genau dies die Haltung der Weltgemeinschaft beim Klimaschutz.

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2010 sollte der Ausstoß um 10 Prozent gesunken sein

Vor ungefähr vier Jahrzehnten hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Welt ein Klimaproblem hat. Seit knapp 30 Jahren – seit der UN-Umweltkonferenz von Rio im Jahr 1992 – ist das auch eine international anerkannte Wahrheit. Bei diesem Gipfeltreffen in Brasilien vereinbarten die Staaten, den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis zum Jahr 2000 auf dem Niveau von 1990 zu stabilisieren und anschließend immer weiter zurückzufahren. 2010 sollte der Ausstoß um 10 Prozent gesunken sein und dann weiter zurückgehen.

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Hätte sich die Weltgemeinschaft an das Ziel von 1992 gehalten, würden wir uns heute beim Klimaschutz in einem sanften Landeanflug befinden, der niemandem wehgetan hätte. Bekanntlich hat sie das aber nicht. Der Ausstoß des wichtigsten Klimagases Kohlendioxid (CO₂) hat sich nicht nur nicht verringert, sondern hat sich im Vergleich zu 1990 um 67 Prozent erhöht. Wenn wir uns noch einmal an Bord jenes seltsamen Flugzeugs denken, dann ist das so, als habe der Pilot zum richtigen Zeitpunkt nicht nur nicht den Sinkflug eingeleitet, sondern begonnen, die Flughöhe von 10.000 auf 17.000 Meter zu erhöhen – bei gleichzeitig rapide abnehmender Entfernung zum Zielflughafen.

Dass dessen Erreichen nun nur noch mit einigen Unannehmlichkeiten machbar ist, liegt auf der Hand. „Das wird nicht ohne Zumutung zu haben sein“, sagte vor Kurzem Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) mit Blick auf den klimafreundlichen Umbau der Energieversorgung. Doch vor genau solchen Zumutungen – wie etwa einer völligen Abkehr von fossilen Brennstoffen oder einer anderen Verkehrspolitik – scheuen die meisten Regierungen der Welt noch immer zurück.

Viel Luft nach oben haben wir nicht mehr

Das Ziel wurde bei der Klimakonferenz von Paris 2015 noch einmal klar benannt: Die globale Erwärmung soll gegenüber dem vorindustriellen Wert auf 1,5 Grad begrenzt werden, maximal jedoch auf zwei Grad. Eine Erhöhung um 1,2 Grad verzeichnen wir derzeit im globalen Mittel, in Deutschland sind es bereits 1,6 Grad. Viel Luft nach oben haben wir also nicht mehr. Und es sieht nicht so aus, als wären wir in der Lage, das 2015 formulierte Ziel nur annähernd zu erreichen.

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Die nationalen Klimaschutzpläne, die die einzelnen Staaten nach dem Pariser Abkommen bei den Vereinten Nationen eingereicht haben, würden bei ihrer Umsetzung auf eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um 2,4 bis 2,7 Grad hinauslaufen – und das auch nur, wenn sich alle an ihre Pläne hielten. Die Erfahrung mit dem internationalen Klimaschutz seit Rio 1992 sieht allerdings so aus, dass dies kaum jemand tut. Manche Klimaforscher erwarten deshalb bis zum Ende dieses Jahrhunderts eher einen Anstieg um vier Grad oder noch mehr. Doch selbst, wenn sich die Staaten an ihre Pläne halten oder sie sogar noch verschärfen, wird das Zwei-Grad-Ziel nur noch sehr schwer erreichbar sein. Das 1,5-Grad-Ziel kann man ohnehin bereits abschreiben.

Aber ist es denn so schlimm, wenn wir die Ziele um ein paar Zehntelgrade verpassen? Ja, ist es. Der schwedische Klimaforscher Johan Rockström spricht davon, dass wir bei einer Erwärmung um 2,7 Grad „auf einem anderen Planeten“ leben werden. Beim Klimaschutz gilt leider die alte Weisheit „Knapp vorbei ist auch daneben“.

Das Klima ist ausgesprochen nachtragend

Beim Klimaschutz gelten andere Bedingungen als bei anderen Bereichen des Umweltschutzes. Wenn etwa die Industrie keine ungeklärten Abwässer mehr in die Flüsse leitet, dann erholen sich die Gewässer. Wenn Dieselautos sauberer werden, dann wird auch die Atemluft in den Städten rasch sauberer. Wird kein oder deutlich weniger Schwefel in die Luft geblasen, dann gibt es keinen sauren Regen mehr und der Wald erholt sich. Beim Klimaschutz funktioniert das leider nicht. Denn das Klima ist ausgesprochen nachtragend.

Das CO₂, das wir heute in die Atmosphäre pusten, wird dort auch noch in 120 Jahren schweben und den Treibhauseffekt verstärken. Selbst, wenn es gelingen sollte, Treibhausgase mit irgendwelchen (noch zu erfindenden) genialen Techniken wieder aus der Atmosphäre zu holen, ist es eine Illusion zu glauben, das Klima würde sich anschließend wieder so einpendeln, wie wir es gern hätten. Das Klima unseres Planeten ist eine extrem komplexe und ziemlich chaotische Angelegenheit. Wir können es beeinflussen, aber keinesfalls nach unseren Wünschen formen.

Wenn der Golfstrom zusammenbricht, wird er sich nicht wieder aufbauen

Das macht die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels so extrem wichtig. Dieses Ziel ist kein politisch ausgehandelter Wert, sondern eine physikalische Notwendigkeit. Verfehlen wir das Ziel, werden verschiedene Kipppunkte im Erdsystem ausgelöst, die sich anschließend nicht mehr ins Lot bringen lassen. Zu diesen Kipppunkten gehören etwa das Abtauen des arktischen und antarktischen Meereises, die Stabilität des grönländischen und westantarktischen Eisschildes, das Auftauen der Permafrostböden in Kanada und Sibirien und vermutlich auch die Stabilität des Golfstroms, der uns in Europa angenehm milde Temperaturen beschert. Reißt der Golfstrom ab, wird es in Europa trotz globaler Erwärmung bitterkalt – ganz gleich, wie viel CO₂ wir in 30, 50 oder 100 Jahren möglicherweise wieder aus der Atmosphäre saugen. Wenn der Golfstrom zusammenbricht, wird er sich nicht wieder aufbauen – jedenfalls nicht in den nächsten Jahrtausenden.

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Diese Kipppunkte, die bei Erreichen den Klimawandel ihrerseits erheblich beschleunigen würden, sind das eigentliche Problem jenseits der zwei Grad. So würde beispielsweise das Auftauen der Permafrostböden gigantische Mengen Methan freisetzen. Genau das macht die vielen Kompromisse, die es bei den Klimakonferenzen seit 1995 immer wieder gegeben hat, so unerträglich. Sicher, Kompromisse gehören zum Tagesgeschäft der Politik. Aber Kompromisse mit den Naturgesetzen zu schließen dürfte schwierig werden. „Niemand kann mit den Gesetzen der Physik verhandeln, nicht einmal sogenannte Supermächte“, sagt der ehemalige Vizechef des Weltklimarates, Jean-Pascal van Ypersele, zu den Formelkompromissen auf Weltklimakonferenzen.

Ein Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss – und von dem wird sich das Klima nicht beeindrucken lassen

Das haben wir vor Kurzem in Glasgow erlebt, das erleben wir auch im Koalitionsvertrag der deutschen Ampelregierung. Das in diesem Vertrag formulierte Ziel, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, klingt auf den ersten Blick gut, ist vielleicht sogar erreichbar – kommt aber mindestens zehn Jahre zu spät, wenn man sich an den Verpflichtungen des Pariser Abkommens orientiert. Wollte man die Ziele von Paris erreichen, müsste die Ampelregierung einen weit stärkeren CO₂-Sinkflug einleiten, wie es eine Modellrechnung der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft vor Kurzem belegte. Aber ein Koalitionsvertrag ist eben ein Kompromiss – und von dem wird sich das Klima nicht beeindrucken lassen.

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Wie rücksichtslos die Physik ist, kann man ausrechnen: 420 ppm (Teile auf eine Million) CO₂ in der Atmosphäre bedeuten 1,5 Grad Temperaturanstieg, 450 ppm werden zwei Grad nach sich ziehen. Vor Beginn der Industrialisierung lag der Wert bei 280, im vergangenen Jahr bei 414. Das CO₂-Lager Atmosphäre hat also nicht mehr viel Platz. Wenn wir nicht bis spätestens Mitte der 2030er-Jahre eine weltweite Klimaneu­tralität erreichen, kann man das Thema Klimaschutz zu den Akten legen.

„Es kostet nicht die Welt, die Welt zu retten“

Aber wie kann man erwarten, dass alle Länder sich auf diesen deutlichen Sinkflug begeben, wenn nicht einmal das reiche und technologisch fortgeschrittene Deutschland dies tut? Vielleicht liegt die verheerende Untätigkeit unserer Generation beim Klimaschutz einfach daran, dass die falschen Fragen gestellt werden. Egal, ob es um den Ausbau von Ökostrom geht, die Landwirtschaft oder die Verkehrswende – immer steht sofort die Frage im Raum: Was kostet der Klimaschutz? Und dann kommen politisch denkende Menschen oftmals zu dem Schluss, dass wir uns das alles nicht leisten können.

Seltsamerweise stellt aber nur selten jemand die Frage, was der Klimawandel kostet – außer vielleicht, man wohnt im Sommer 2021 im Ahrtal. Der frühere Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern hat die Schäden durch den Klimawandel berechnet: Zwischen 5 und 20 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes werden dadurch vernichtet, rechnete er in seinem berühmten Bericht von 2006 vor. Ein wirksamer Klimaschutz sei hingegen für etwa ein Prozent zu haben. Zudem würden diese Investitionen Innovationsprozesse auslösen, die einen wirtschaftlichen Ertrag in siebenfacher Höhe erbringen würden. „Es kostet nicht die Welt, die Welt zu retten“, sagte damals Janos Pasztor, Berater des UN-Generalsekretärs für den Klimawandel, zu Sterns Berechnungen. Damals hatte er mit dieser Aussage recht. Heute wird es deutlich teurer – allerdings noch immer sehr viel preiswerter als der Klimawandel.

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