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Kohleausstiegs-Debatte im Osten

Studie: Im Osten muss kein Dorf mehr für die Braunkohle abgebaggert werden

Braunkohletagebau Nochten

30 Jahre will sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für den Strukturwandel in den Braunkohleregionen Zeit lassen. Den Braunkohleausstieg will er dabei in die Hände des Marktes legen, die Politik dürfe das nicht beeinflussen.

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Berlin. Die Kohle unter dem zur Abbaggerung vorgesehenen Dorf Mühlrose in der sächsischen Oberlausitz wird nicht mehr benötigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Europa-Universität Flensburg.

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In der Lausitz soll laut Kohleausstiegsgesetz noch bis 2038 Braunkohle abgebaggert und verstromt werden. Geplant ist eine Menge von 700 Millionen Tonnen. Die Autorinnen und Autoren der Studie gehen davon aus, dass „Braunkohleverstromung selbst ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen ab 2030 nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann“. In solch einem Referenzszenario würden in der Lausitz noch maximal 350 Millionen Tonnen Kohle benötigt.

„Gedrosselte Fortführung des Tagebaubetriebs bis 2030″

Um das auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Ziel für Deutschland noch zu erreichen, dürften nur noch 205 Millionen Tonnen abgebaggert und verstromt werden. Die Autorinnen und Autoren der Studie rechnen dafür mit einer „gedrosselten Fortführung des Tagebaubetriebs bis 2030″.

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„Bei einer gedrosselten Fortführung bleiben Arbeitsplätze länger erhalten, das 1,5-Grad-Ziel kann dennoch eingehalten werden“, erläutert Studienautor Pao-Yu Oei.

In beiden Szenarien gebe es „keine energiewirtschaftliche und keine energiepolitische Notwendigkeit für den Tagebauabschnitt um das Dorf Mühlrose und dessen Zerstörung“, heißt es in der Studie. „Die Kohle unter dem Dorf darf nicht verbrannt werden.“

Studie bestätigt frühere Ergebnisse

Zu diesem Ergebnis kam Studienautor Pao-Yu Oei bereits in einer Studie aus dem Jahr 2021, die er für die Grünen-Landtagsfraktion erstellt hatte. Die unter den Bedingungen der Energiekrise in Folge aktualisierte Studie wurde für die Klimaschutzgruppen Fridays for Future und Beyond Fossil Fuels erstellt.

Fridays for Future und das Bündnis Alle Dörfer bleiben haben für den 7. Mai zu einer Demonstration am Tagebau Nochten aufgerufen. Laut Studienautor Oei könne der Tagebau bereits 2026 den Betrieb einstellen, das am Rand des Tagebaus liegende Mühlrose könne erhalten werden. „Ob die Bewohnerinnen und Bewohner dort wohnen bleiben oder umsiedeln wollen, sei ihnen freigestellt.“

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Am Rand von Schleife wird ein neues Dorf für die Bürgerinnen und Bürger von Mühlrose errichtet. Viele haben ihre Höfe bereits an den Braunkohlebetreiber Leag verkauft, der mit dem Abriss begonnen hat.

„Wir bleiben, bis wir sterben“

Das Ehepaar Günter und Else Zech aber, beide 84 Jahre alt, will sich wehren. „Wir sind gewillt, hier so lange zu bleiben, bis wir sterben“, sagen sie. Den Hof haben sie ihrem Enkel überschrieben, mit einer Bedingung: Er darf ihn zu ihren Lebzeiten nicht verkaufen, und schon gar nicht an den Bergbaukonzern Leag. Als im Januar die Proteste im rheinischen Lützerath ihren Höhepunkt erreichten, äußerten sie gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) einen Wunsch: „Es könnte auch mal jemand hier vorbeikommen und uns helfen.“

600 Strafverfahren gegen Demonstrierende in Lützerath eingeleitet
Tausende sind am Samstag aus der Großdemo in Keyenberg ausgebrochen und über die Felder in Richtung #Lützerath gezogen. Nach zahlreichen Konfrontationen mit der Polizei und etlichen Durchbruchsversuchen schafften es die Aktivist*innen bis zum Dorf, in dem weiter geräumt wurde.

Lützerath war in einem tagelangen Großeinsatz der Polizei gegen den Widerstand Hunderter Klimaaktivisten geräumt worden.

Andere Mühlroser sehen das anders: Am vergangenen Wochenende hatten knapp 250 Menschen aus den Gemeinden Trebendorf und Schleife (Landkreis Görlitz) gegen ein geplantes Klimacamp protestiert. Es gab Befürchtungen, dass es zu Protesten wie im nordrhein-westfälischen Lützerath kommen würde. „Die Umsiedlung von Mühlrose und die Wahl des neuen Ansiedlungsstandortes in der Nachbargemeinde Schleife waren deutliche Mehrheitsentscheidungen der Mühlroser“, sagte der Bürgermeister der Gemeinde Schleife, Jörg Funda.

Das geplante Protestcamp im Braunkohledorf Mühlrose in Ostsachsen ist inzwischen abgesagt worden. Man habe sich dafür entschieden, der Vergrößerung des Tagebaus mit anderen Aktionen entgegenzuwirken, teilten die Organisatoren mit. „Wir haben wahrgenommen, dass die Ankündigung des Camps in der Region teilweise auf Unverständnis gestoßen ist. Deswegen möchten wir an dieser Stelle unser Anliegen klarstellen: Wir respektieren die Entscheidung aller Mühlroser Bürgerinnen und Bürger. Wer umsiedeln will, soll umsiedeln können.“

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Trotz des bis 2038 vereinbarten Kohleausstiegs soll Mühlrose als einer der letzten Orte dem Tagebau weichen, weil ab Ende der 2020er Jahre die unter dem Dorf liegende Braunkohle durch den Tagebau Nochten gefördert werden soll.

Die DIW-Studie kommt zu dem Schluss, dass die Kohlekraftwerke in der Lausitz in ihren letzten Lebensjahren auch mit der qualitativ schlechteren Kohle aus dem Tagebau Reichwalde betrieben werden können, so dass die Kohle unter Mühlrose nicht benötigt wird.

Die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Kohleländer, Sachsens Michael Kretschmer (CDU), Brandenburgs Dietmar Woidke (SPD) und Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) lehnen einen vorgezogenen Kohleausstieg ab. Kretschmer und Woidke müssen sich 2024 Landtagswahlen stellen.

Fridays for Future-Sprecherin Luisa Neubauer sagte bei der Vorstellung der Studie: „Landes- und Bundesregierung müssen gerade in konfliktbeladenen Regionen vorangehen, um Frieden herzustellen und Perspektiven aufzuzeigen.“

Das von einer starken AfD geprägte politische Umfeld und die „schlechten Erfahrungen der Ostdeutschen mit Strukturwandel“ dürften „keine Ausrede dafür sein, Debatten zu vermeiden“, sagte Neubauer. Sie forderte: „Die Regierungen müssen kreativere Lösungen finden, müssen Alternativen aufzeigen, müssen begeistern.“ Die politisch Verantwortlichen hätten sich „höllisch verrannt“, sagte Neubauer. „Man hat es Leuten höllisch Angst gemacht vor einem Strukturwandel, der kommen muss.“

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