Streit über Importverbot: Warum die Ukraine drei EU-Staaten verklagt
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Die von Polen, Ungarn und der Slowakei eigenständig aufrechterhaltenen Einfuhrbeschränkungen für ukrainisches Getreide sind nach Ansicht von Bundesagrarminister Özdemir wohl nicht mit EU-Recht vereinbar.
© Quelle: -/Ukrinform/dpa
Kiew. Die Ukraine hat bei der Welthandelsorganisation (WTO) Klage gegen drei EU-Staaten wegen des Einfuhrstopps für ukrainische Agrarprodukte eingereicht. „Für uns ist es prinzipiell wichtig, zu beweisen, dass einzelne Mitgliedstaaten kein Importverbot gegen ukrainische Waren verhängen können“, sagte die für Wirtschaft zuständige Vizeregierungschefin Julia Swyrydenko laut einer Mitteilung vom Montag.
Die EU hatte im Mai ein vorläufiges Embargo verhängt, wonach Bulgarien, Polen, Rumänien, die Slowakei und Ungarn den Verkauf ukrainischer Agrarerzeugnisse im jeweils eigenen Land verbieten durften. Zu den betroffenen Waren gehörten etwa Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne. Zuvor hatten die Staaten beklagt, dass durch die Importe aus der Ukraine die heimischen Landwirtschaftsbetriebe auf ihren eigenen teureren Produkten sitzen blieben. Durch das Importverbot sollten die Staaten somit vor Konkurrenz geschützt und ein Preisverfall der heimischen Erzeugnisse verhindert werden.
EU-Kommission hebt Importverbot auf
Diese umstrittenen Handelsbeschränkungen wurden am vergangenen Freitag jedoch von der EU-Kommission wieder aufgehoben. Damit stellte sich die Brüsseler Behörde gegen Forderungen aus Polen und Ungarn. Zuvor hatte die Ukraine erklärt, strengere Kontrollen der Exporte in die Nachbarländer ergreifen zu wollen. Parallel dazu soll der Druck der Europäischen Kommission und anderer EU-Mitgliedstaaten auf die Ukraine-Anrainer erhöht werden, Agrarimporte wieder zuzulassen.
Zwischenzeitlich hatte sich die Situation etwas entspannt, weil ein Deal mit Russland den Export ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer ermöglichte. Im Juli stieg Russland aus dem Abkommen jedoch wieder aus – seitdem werden ukrainische Häfen erneut von russischen Truppen bombardiert, was die Ausfuhr ukrainischer Produkte erschwert.
Polen, Ungarn und Slowakei verhängen eigene Importstopps
Die Aufhebung der Importverbote durch die EU-Kommission wurde nun von der Slowakei, Polen und Ungarn durch einseitige eigene Verbote faktisch ignoriert. Polens Agrarminister Robert Telus sagte am Rande eines Treffens in Brüssel, er sei von der Entscheidung der EU-Kommission enttäuscht. Nur die Deutschen hätten sich – so glaube er – im Rat klar gegen die Verbotsentscheidung ausgesprochen. „Wir bleiben bei unserer Position“, sagte Regierungssprecher Piotr Müller dem Fernsehsender Polsat News zu dem eigenen nationalen Importverbot. Dieses sei „gerecht“ und im Einklang mit EU-Recht und Völkerrecht, sagte er laut „Tagesschau“.
Polen hat als Reaktion auf das aufgehobene EU-Embargo einen sofortigen „unbefristeten“ Stopp erwirkt und diesen auch auf Mehl und Futter ausgeweitet, wie die „Tagesschau“ weiter berichtete. Auch Ungarn will demnach das eigene Importverbot um Rind- und Schweinefleisch erweitern. In Rumänien erwäge man ähnliche Schritte, und auch in Bulgarien haben Landwirte mit Protesten auf das von der EU aufgehobene Importverbot reagiert. Die weiterführenden Verbote in Polen und der Slowakei könnten auch eine innenpolitische Wirkung haben: In beiden Ländern stehen Wahlen an, bei denen die Stimmen der Bauern eine wichtige Rolle spielen könnten.
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Die Ukraine hoffe jedoch, dass Polen, die Slowakei und Ungarn als Reaktion auf die Klagen vor der Welthandelsorganisation ihre Importverbote aufheben und die Gerichtsverfahren sich nicht lang hinziehen werden, hieß es in Berichten. Klage- und Streitschlichtungsverfahren bei der WTO sind in der Regel langwierig.
Özdemir: Getreideblockade nicht mit EU-Recht vereinbar
Deutschlands Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die Blockade ukrainischen Getreides durch die Regierungen in Warschau, Budapest und Bratislava bereits als „Teilzeitsolidarität“ kritisiert. Seiner Ansicht nach sind die Einfuhrbeschränkungen nicht mit EU-Recht vereinbar. Er sehe keinen Anlass für solche Maßnahmen, sagte der Grünen-Politiker am Montag zu dem Treffen mit seinen EU-Kolleginnen und -kollegen in Brüssel. „Ich sehe auch nicht, wie das mit EU-Recht in Übereinstimmung zu bringen ist“, ergänzte er. Nach seinen Informationen nimmt der Markt das ukrainische Getreide gut auf. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte, die Behörde analysiere die Maßnahmen der drei EU-Staaten derzeit.
Rückendeckung bekommt Özdemir von seinem spanischen Ministerkollegen. Einseitige Maßnahmen, die den Zugang zum Binnenmarkt einschränkten, erschienen ihm nichts zu sein, was unter das Gesetz falle, sagte Luis Planas. Spanien hat aktuell den halbjährlich wechselnden Vorsitz unter den EU-Staaten inne.
Sowohl Özdemir als auch Planas betonten jedoch, es sei Sache der EU-Kommission, die Frage zu beurteilen, ob sie im Vorgehen der drei östlichen EU-Staaten einen Rechtsbruch sieht. Theoretisch kann die Kommission dann ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren einleiten, was mit einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und einer Geldstrafe enden kann. Die Kommission betonte auch in diesem Fall: Handelspolitik sei eine ausschließliche EU-Zuständigkeit. „Daher müssen alle Maßnahmen auf EU-Ebene getroffen werden“, so eine Sprecherin.
Die Ukraine wehrt seit fast 19 Monaten eine russische Invasion ab. Wegen des laufenden Krieges ist der gewohnte Export von Agrarprodukten auf dem Seeweg aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen beinahe zum Erliegen gekommen.
RND/dpa/al