Kevin Kühnert: Vom Scholz-Kritiker zum Kanzlererklärer
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Kevin Kühnert ist seit circa einem halben Jahr Generalsekretär der SPD.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Berlin. Dieser gierige Bandit hilft Kevin Kühnert jetzt aus der Patsche. Genauer gesagt der „einarmige Bandit“. Und noch genauer gesagt „der einarmige Bandit der deutschen Hauptwörter“. Auf die Formulierung muss man erst einmal kommen, wenn einem als SPD-Generalsekretär in einer Livesendung gerade die Verluste bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und die Gründe dafür um die Ohren gehauen werden.
Platte Sprüche wie „Für euch gewinnen wir das Morgen“ könne die SPD vielleicht fürs Poesiealbum, aber doch nicht für Wahlkampf gebrauchen, muss sich Kühnert bei „Hart aber fair“ am Montagabend anhören. Der 32-Jährige windet sich mit Selbstironie aus der misslichen Lage: Wahlplakatslogans seien nicht das Ergebnis „besonders geistreicher Überlegungen“, sondern „das ist der einarmige Bandit der deutschen Hauptwörter, der dann angeworfen wird, und am Ende kommt irgendwas mit Zukunft und Vertrauen raus.“ Glückspiel eben, suggeriert Kühnert. Lacher in der Runde, nächstes Thema.
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Ganz so lustig ist es für die SPD nicht. Mit dem knappen, aber völlig überraschenden Sieg bei der Bundestagswahl – für die Olaf Scholz mit damals ebenfalls belächelten Slogans wie „Respekt für Dich“ gezogen hatte – wollte die SPD ein sozialdemokratisches Jahrzehnt einleiten. Aber nur im kleinen Saarland war sie bisher erfolgreich. In Schleswig-Holstein stürzte sie bei der Landtagswahl ab, in NRW fuhr sie ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein. In ihrem einstigen Stammland.
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© Quelle: dpa
Das geht ganz allgemein immer auch ein Stück weit auf die Kappe des Generalsekretärs einer Bundespartei. Und speziell auf die von Kühnert. Denn gerade er, der Kämpfer für die sogenannten kleinen Leute, der junge Mann, der als Juso-Vorsitzender vor allen anderen SPD-Politikern 12 Euro Mindestlohn forderte, gerade er hat zuletzt zu wenig Gespür für die wirklichen Sorgen vieler SPD-Anhänger aufgebracht. Sie wanderten ins Lager der Nichtwähler.
Zwar fielen ihm deren Zweifel auf, er registrierte, dass die Menschen ihn nicht danach fragten, ob die Bundesregierung Kiew mehr Panzer liefern könnte. Sie wollten wissen, was die Regierung macht, wenn sie die Strom- und Heizkostenrechnung nicht mehr bezahlen können. Aber auch Kühnert war gefangen von der Berliner Sicht auf die nationale und internationale Krisenlage durch Putins Krieg.
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Viele Menschen fühlten sich mit ihren persönlichen Alltagssorgen alleingelassen, das sei wesentlicher Grund, warum die SPD ihre Anhänger nicht habe mobilisieren können, erklärt Kühnert das Wahldebakel. Es ist eine neue Erfahrung für ihn. Die Niederlage.
Kühnert brachte frischen Wind und Wirbel
Als Juso-Chef wurde er gefeiert. Das Freche, das Frische, das Unerhörte wie „Nikolaus ist Groko-Aus“ im Jahr 2019 katapultierte ihn nach oben. Scholz war da Finanzminister in der Regierung von Angela Merkel. Mit dem Einfluss der Nachwuchsorganisation auf Teile der Partei verhinderte Kühnert sogar, dass Scholz 2019 Bundesparteichef wurde. Stattdessen kamen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an die Spitze, Kühnert wurde Stellvertreter.
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Scholz revanchierte sich bei seinen innerparteilichen Gegnern mit der Kanzlerkandidatur. Und Kühnert übte so etwas wie Parteidisziplin. Interviews wie in der „Zeit“ vor drei Jahren, als er laut über die mögliche „Kollektivierung“ großer Unternehmen nachdachte, gehören der Vergangenheit an. Als Generalsekretär bläst er zur Attacke auf den politischen Gegner. Und entwickelt sich sogar zum Scholz-Erklärer, wenn der Kanzler wieder einmal zu lange gezögert, gezaudert oder geschwiegen hat.
Das hätte ihm 2019 mal jemand sagen sollen, dass er sich bald schützend vor Scholz stellen wird. Die Bürgerinnen und Bürger wollten nicht von einem „HB-Männchen“ regiert werden, das beim geringsten Anlass in die Luft gehe, sagt Kühnert heute zur Verteidigung der – um es neutral zu formulieren – verbesserungswürdigen Kommunikation des Regierungschefs.
Kühnert hat Witz, der Berliner pflegt eine anschauliche Sprache, die es ihm ermöglicht, in wenigen Sätzen viel zu erklären. Er ist eines der größten Talente, die die SPD hat. Und anpassungsfähig im Dienste der SPD ist er auch. Der geliebte Kapuzenpulli ist dem Jackett gewichen. Heute macht er den Wadenbeißer. Seine Lesart, die SPD könne auch als Zweitplatzierte in NRW eine Koalition bilden, gehört dazu. Er steckt Prügel von der CDU und Medien dafür ein. Aber der Bundeskanzler sagt es wenig später ganz genauso.
Kühnert werde aus den jüngsten Wahlniederlagen lernen, sind Sozialdemokraten sicher. Was er in fünf Jahren sei? Schwer zu sagen, Politik sei unberechenbar, Karrieren könnten auch jäh enden, heißt es. Die von Kühnert allerdings eher nicht.