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Kommentar

Kampf um Lützerath: Es ging nie um ein Dorf, sondern um die Mehrheitsmeinung

Konfrontation nach der Räumung von Lützerath: Aktivisten gegen Hundertschaften.

Konfrontation nach der Räumung von Lützerath: Aktivisten gegen Hundertschaften.

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Am Ende kamen doch noch hässliche Bilder aus Lützerath: Während der Protest vor dem Abriss des einstigen Dorfes im Rheinischen Braunkohlerevier eine Woche lang friedlich geblieben war und sich Prominente und sogar einige Politiker damit solidarisiert hatten, setzte die Polizei am Wochenende doch noch Wasserwerfer und Schlagstöcke ein.

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Demonstrierende durchbrachen Polizeiketten, drangen in den Tagebau ein, einzelne Aktivisten und Aktivistinnen brachten sich selbst in Lebensgefahr und riskierten so, dass ihr symbolischer Kampf in der Katastrophe endet.

„Peinlich für Deutschland“: Greta Thunberg kritisiert Räumung von Lützerath
dpatopbilder - 13.01.2023, Nordrhein-Westfalen, Erkelenz: Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (2.v.l) und Greta Thunberg (3.v.r) stehen am dritten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath. Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern - dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz am Braunkohletagebau Garzweiler II abgerissen werden. Foto: Federico Gambarini/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Am Donnerstag hat die Polizei den Hof Paula mit gewaltbereiten Aktivistinnen und Aktivisten geräumt. Außerdem wurde Klimaaktivistin Neubauer von Einsatzkräften weggetragen.

Denn das muss klar sein: Das Ringen um die Räumung von Lützerath war ein Symbol. Es war recht und billig, so zu tun, als hänge die Einhaltung der deutschen oder gar der internationalen Klimaziele an der Braunkohle unter dem Dörfchen. Denn Protest braucht Symbole, um aufzurütteln.

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Aber es wäre falsch, wenn sich die Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort tatsächlich in einer physischen Schlacht zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad gefühlt hätten. Denn der CO₂-Ausstoß in der EU ist durch den Emissionszertifikate-Handel gedeckelt: Um Kohle verbrennen oder auf andere Weise Treibhausgase ausstoßen zu dürfen, muss man Rechte dafür kaufen. Wäre die Kohle unter Lützerath im Boden geblieben, hätte bis 2030 anderswo jemand auf andere Art dieselbe Menge CO₂ produziert.

Ohne Druck von der Straße passiert nichts

Es stimmt zwar, dass der Deckel nicht niedrig genug ist und die EU mehr politischen Druck zur Vermeidung von CO₂ aufbauen sollte. Dafür hätte man sich dann aber eher in Brüssel oder in den Hauptstädten europäi­scher Klimaschutzbremser wie Polen und Ungarn festbetonieren müssen.

Das heißt aber nicht, dass der Protest in Lützerath falsch war. Die Umweltbewegung hat in den 1970er und 1980er-Jahren gelernt, dass ohne Druck von der Straße nichts passiert. Jedenfalls nicht genug. Symbole wie Wackersdorf, wo eine Wiederaufarbeitungsanlage verhindert, oder wie Gorleben, wo das Atomendlager gekippt wurde, waren Meilensteine einer bundesweiten Bewegung, die die Mehrheitsmeinung kippte und gegen die sich die Politik am Ende nicht durchsetzen konnte.

Darauf müssen auch die Demonstrantinnen und Demonstranten von Lützerath setzen: Dass es nie um ein paar Bauernhöfe ging, sondern darum, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, dass wir aufhören müssen mit dieser Landschafts-, Natur- und Klimazerstörung.

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Das ist der Punkt, in dem Politiker wie Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst irren, wenn sie sagen, in einem Rechtsstaat müsse irgendwann mal Schluss sein mit Diskussionen über Dinge, die Parlamente und Gerichte längst entschieden haben. Richtig ist: Im Rechtsstaat ist allein der Rechtsweg verbindlich. Falsch wäre aber, dagegen nicht mehr protestieren zu dürfen. Wie sonst wäre die Demokratie lernfähig?

Schon deshalb sind Proteste auch von Minderheiten immer legitim, seien es Impfgegner, Putin-Freunde oder Klimaschützer. Wohlgemerkt: friedliche Proteste. Aber daran hat sich die übergroße Mehrheit in Lützerath gehalten, die vielen Sympathisanten im Rest der Republik sowieso.

Dass die Klimabewegung sich inzwischen aufspaltet und nicht mehr allein aus netten Jungs und Mädels besteht, denen bei ihren Freitagsumzügen die Herzen zufliegen, liegt am Ausmaß des Problems, gegen das sie angehen. Ob Tagebau, Bundestag oder Sitz der EU‑Kommission: Der Sekundenkleber würde nicht reichen, sich an allen Orten festzuleimen, an denen der Klimawandel noch nicht ernst genug genommen wird.

Damit aber dort jemand umdenkt, muss man eben doch zuerst Mehrheiten gewinnen, die dann Druck aufbauen und die Politik zum Handeln zwingen. Denn es ist künftig beim Klimaschutz wie zuvor beim Atomausstieg: Erst wenn er in Recht und Gesetz gegossen ist, kommt er wirklich.

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