JU-Chef Kuban: “Die Union kann sich nur selbst schlagen”
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“Es muss um eine Zukunftsagenda für Deutschland gehen und nicht um persönliche Eitelkeiten”: JU-Chef Tilman Kuban über die Suche nach einem neuen CDU-Chef.
© Quelle: Xander Heinl/photothek.net Marienstr. 31 10117 Berlin www.photothek.net +49-(0)30-28097440
Berlin. Herr Kuban, die CDU wird 75 Jahre und hat eine Zeitenwende vor sich: Angela Merkel ist bald nicht einmal mehr heimliche CDU-Chefin. Ist das eine Befreiung oder ein Problem?
Die Union ist der Stabilitätsanker in unserem Land. Das honorieren die Menschen, indem sie uns aktuell viel Vertrauen schenken. Dabei ist die Bundeskanzlerin sicher ein Faktor. Aber es gibt auch viele weitere. Aktuell können wir uns eigentlich nur selbst schlagen. Das sollten wir alle in den nächsten Monaten bedenken.
Was bedeutet das für den Wettbewerb um den Parteivorsitz?
Wettbewerb ist zunächst einmal etwas Gutes. Es kommt aber darauf an, wie die Kandidaten miteinander umgehen. Es muss um eine Zukunftsagenda für Deutschland gehen und nicht um persönliche Eitelkeiten.
Hat Corona das Rennen verändert?
Natürlich sehen wir mit Demut, welch einen Vertrauensvorschuss die Union vom Wähler aktuell bekommt. Jeder der Kandidaten sollte sich klarmachen, dass es nicht nur um die eigene Person geht, sondern um die Union insgesamt. Das ist eine enorme Verantwortung. Die Union ist schon seit 75 Jahren verantwortungsvoll, pragmatisch und entschlossen. Genauso so können wir uns nur präsentieren, wenn wir gemeinsam agieren.
Welchen Kandidaten wünschen Sie sich?
Als JU werden wir im Herbst unsere Mitglieder befragen. An das Ergebnis werde ich mich halten.
Beim JU-Deutschlandtag im vergangenen Herbst wurden vor allem Friedrich Merz und Markus Söder gefeiert. War das eine Vorentscheidung?
Ich fand, dass alle Kandidaten sehr ordentlich empfangen wurden. Jemand, der nicht in einer verantwortlichen Position steht, kann dann vielleicht etwas freier reden und löst damit eine größere Begeisterung aus. Das ist ganz normal.
Wäre CSU-Chef Markus Söder ein guter Kanzlerkandidat?
Markus Söder hat als Ministerpräsident bisher einen sehr guten Job gemacht. Er hat aber bisher auch immer unterstrichen, dass sein Platz in Bayern sei. Wenn sich das ändern sollte, werden wir es erfahren.
Würde es helfen, erst die Kanzlerkandidatur zu klären?
Aktuell heißt der Zeitplan: Erst kommt die Parteivorsitzendenwahl, dann die Kür des Kanzlerkandidaten.
Wie muss sich die CDU inhaltlich neu aufstellen, um die nächste Wahl zu gewinnen?
Wir wollen auch nach der Krise die Grundlagen für die zukunftsfähigsten Arbeitsplätze, den digitalen Fortschritt und den Zusammenhalt in Deutschland und Europa schaffen. Es ist gut, dass mit dem Konjunkturpaket jetzt künstliche Intelligenz, Quantencomputing und Wasserstoff gefördert werden sollen. Aber das muss dann auch engagiert umgesetzt werden. Es wird in den nächsten fünf Jahren aber auch um ein Rentenkonzept der Zukunft gehen müssen. Wenn wir bei diesem Thema schweigen, haben wir als Volkspartei etwas falsch gemacht. Und ich wünsche mir einen noch stärkeren Fokus auf Europa, damit wir nicht zum Spielball im Konflikt zwischen den USA und China werden.
Wie soll das Rentenkonzept der CDU aussehen?
Die jüngere Generation darf nicht nur einzahlen und am Ende nichts mehr bekommen. Damit das sichergestellt wird, darf es keine Tabus geben. Wir leben immer länger, daher müssen wir auch darüber reden, ob wir länger arbeiten müssen oder wie wir an der Einnahme- oder Ausgabenschraube im Rentensystem drehen können. Die Rentenkommission hat leider einige Fragen ausgespart, was sicher auch daran lag, dass dort keine jungen Köpfe mit am Tisch saßen.
Kann die CDU sich ein Scheitern der Grundrente leisten?
Das Thema kommt jetzt in den Bundestag. Aus meiner Sicht liegt der Ball aber bei der SPD. Sie muss ihre Zusagen erfüllen. Wenn sie nicht liefert, muss sie dafür geradestehen. Wenn ein automatisierter Datenabgleich zwischen Rentenversicherung und Finanzämtern nicht funktioniert, muss die Bedürftigkeitsprüfung eben bei den Grundsicherungsämtern erfolgen. Und wenn die europäische Finanztransaktionssteuer nicht kommt, dann stimmt die Gegenfinanzierung nicht. Ich habe immer deutlich gemacht, dass aus meiner Sicht diese Leistung auf die wirklich Bedürftigen begrenzt sein muss.
Haben Sie noch Pläne in der Klimapolitik?
Wir werden den Kampf gegen den Klimawandel nur gewinnen, wenn wir Geschäftsmodelle entwickeln, mit denen man Geld verdienen kann. Der CO₂-Ausstoß ist in China und den USA deutlich höher als bei uns. Wenn die sehen, dass bei uns die Energiewende gelingt oder das erste emissionsfreie Flugzeug abhebt, werden sie das nachahmen. Auf diesen Innovationsfaktor müssen wir setzen. Deswegen ist es gut, zum Beispiel die Wasserstoffstrategie voranzutreiben.
Sind Sie mal bei Fridays for Future mitmarschiert?
Ich habe mir die Demonstrationen angeguckt, bin aber nicht selbst mitgelaufen. Fridays for Future hat ein wichtiges Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Was mich in der Debatte stört, ist die Kompromisslosigkeit. Da einigt man sich auf einen Kohleausstieg, was nicht unbedingt zu erwarten war. Und als erstes wird kritisiert, es gehe nicht schnell genug. Es wird ausgeblendet, dass die Menschen in den Kohlerevieren auch eine Zukunft verdient haben und von einem Hopplahopp-Umbau überfordert wären. Ich wünsche mir da mehr Ausgewogenheit.
Derzeit gibt es große Demonstrationen gegen Rassismus. Verstehen Sie das Anliegen?
Ich halte das Anliegen für absolut richtig und gerechtfertigt. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Debatte, wie wir mit Rassismus umgehen. Es muss in den Köpfen verankert werden, dass alle die gleichen Möglichkeiten und Chancen verdient haben. Falsch ist allerdings, dass man dabei gesamte Berufsstände pauschal diffamiert, wie es die SPD-Vorsitzende getan hat mit der Polizei.
Sollte der Begriff der Rasse aus dem Grundgesetz gestrichen werden?
Das ist eine Ablenkung vom Kern der Debatte. Wer von Rassismus betroffen ist, hat nichts davon, dass ein Wort aus dem Grundgesetz gestrichen wird. Es geht um praktische Probleme: Die Abweisung an der Diskotür, die Chance bei einer Bewerbung um einen Job oder um eine Wohnung. Dafür müssen wir ein Umdenken bewirken und nicht eine Scheindebatte über veraltete Begriffe im Grundgesetz führen.
Ist die CDU divers genug?
Die CDU stellt sich Rassismus mit Vehemenz entgegen. Wir haben viele kluge Köpfe mit Migrationshintergrund in unseren Reihen. Die sollten wir mehr nach vorne stellen. Auch die Besetzung von Vorstandsposten wäre dafür eine gute Gelegenheit.
Wie muss sich die CDU sonst verändern?
Wir müssen vor allem digital attraktiver werden, damit möglichst viele Leute in der Partei mitmachen können. Wer ein Kind bekommen hat, häufiger dienstlich unterwegs ist oder im Ausland studiert, muss nicht aufhören, sich politisch zu engagieren. Politik muss künftig am Wickeltisch, an der Werkbank oder aus der Welt heraus möglich sein und zwar durch digitale Zuschaltungen. Wenn Menschen Ideen haben und sich einbringen wollen, sollten wir diesen Mehrwert nicht verschenken.
Die CSU spricht davon, die Partei müsse jünger, moderner und cooler werden.
Ob Politik je das coolste auf der Welt war, wage ich zu bezweifeln. Wir müssen attraktiv sein und zeigen, dass man etwas bewegen kann. Denn in unserer Demokratie kann man gemeinsam etwas verändern.
Würde es helfen, wenn die CDU einen Rezo hätte?
Es ist wichtig, Themen im Netz anzusprechen und dort Debatten zu führen. Wir sind hier heute besser aufgestellt als noch vor einem Jahr.
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Der CDU-Politiker Philipp Amthor gibt nach der Sitzung des CDU-Landesvorstandes eine Erklärung ab und gibt seinen Rücktritt von der Kandidatur zur Wahl als CDU-Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern bekannt.
© Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dp
Philipp Amthor hat wegen Korruptionsvorwürfen seine Kandidatur für den Parteivorsitz in Mecklenburg-Vorpommern zurückgezogen. Kann er JU-Schatzmeister bleiben?
Philipp Amthor sagt selbst, dass er Fehler gemacht hat und bei der Aufklärung unterstützen will. Ich habe ihn immer als aufrichtigen Menschen und fachkundigen Politiker erlebt. Er steht zu seinen Fehlern. Wir warten jetzt erst einmal die Untersuchung ab, und ich halte nichts von Vorverurteilungen. Stand heute sehe ich keinen Anlass, warum er nicht weiterhin politisch aktiv sein darf und kann. Bei aller Kritik sollte man im Übrigen ein gewisses Maß kennen. Ich finde ich es menschlich schwierig, wie zum Teil mit Philipp Amthor umgegangen wird. Die Angriffe gehen teilweise sehr ins Persönliche. Dies kann auch Leute abschrecken, sich mit Politik zu beschäftigen.
Wie viel Nähe zur Wirtschaft können sich Politiker erlauben?
Die Grenze ist überschritten, wenn man etwas nicht mehr aus Überzeugung tut, sondern daraus einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen möchte.
Hilft ein Lobbyregister?
Das diskutieren wir ja schon länger. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass dann die Interessenfindung von allen Seiten beleuchtet wird. Nicht nur Kontakte zu Unternehmen, sondern auch die zu Gewerkschaften und NGO.