Italien: Draghi zerlegt die „Reformen“ der Populisten

Mario Draghi, Ministerpräsident von Italien.

Mario Draghi, Ministerpräsident von Italien.

Rom. Über 30 Milliarden Euro haben die beiden Wahlgeschenke den hoch verschuldeten italienischen Staat seit ihrer Einführung bisher gekostet, Tendenz weiterhin steigend. Etwa 11 Milliarden Euro gehen dabei auf das Konto der massiven Senkung des Renteneintrittsalters, das der damalige Innenminister, Lega-Chef Matteo Salvini, während der kurzen Ära der Populistenregierung durchgeboxt hatte. Weitere 20 Milliarden Euro gab der italienische Staat für das Bürgereinkommen aus, das ein zentrales Anliegen der Fünf-Sterne-Bewegung gewesen war.

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Trotz der enormen Kosten haben beide Maßnahmen nicht gehalten, was deren Befürworter versprochen hatten: Die Senkung des Rentenalters hat die Beschäftigung in Italien nicht erhöht, sondern gesenkt. Und mit dem Bürgergeld ist keineswegs „die Armut abgeschafft“ worden, wie die „Grillini“ dies am Tag, als die Maß­nahme von der Populistenregierung beschlossen wurde, hinausposaunt hatten. Das Bürgergeld war, wie die Senkung des Rentenalters, auch nicht geeignet, Arbeitslosen wieder zu einer Stelle zu verhelfen. Vielmehr ist damit die Schwarzarbeit gefördert worden.

Die Rentenreform Salvinis trug den Namen „Quote 100″. Dies bedeutet: Wenn die Summe aus Lebensalter und Beitragsjahren mindestens 100 beträgt, kann man mit geringen Einbußen beim Rentenbetrag in den vorzeitigen Ruhestand treten. In der Praxis lief dies meist auf eine Pensionierung mit 62 hinaus (in diesem Fall waren 38 Beitragsjahre erforderlich).

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Im Grunde handelte es sich bei Salvinis „Quote 100″ nicht um eine Reform, sondern um eine Konterreform: Die Regierung aus Lega und Fünf Sternen machte damit die Rentenreform der Regierung von Mario Monti aus dem Jahr 2012 rückgängig, bei der das Rentenalter in Italien auf 67 Jahre erhöht worden war. Der frühere EU-Wirtschaftskommissar Monti musste Italien damals nach der Finanz- und Schuldenkrise vor dem drohenden Staatsbankrott retten.

Salvini hatte für „Quote 100″ mit dem Argument geworben, dass für jede durch eine Frühpensionierung frei werdende Stelle drei junge Arbeitnehmer eingestellt würden. Wie er auf diese optimistische Annahme kam, ist bis heute sein Geheimnis geblieben. In Wahrheit passierte genau das Gegenteil: Nur jeder dritte frei gewordene Arbeitsplatz wurde durch eine Neuanstellung ersetzt. Für die meisten Unternehmen erwies sich „Quote 100″ als willkommene Gelegenheit für Stellenabbau und Rationalisierung.

Ministerpräsident Mario Draghi will dem Spuk nun ein Ende bereiten: Die zunächst nur für drei Jahre beschlossene „Quote 100″, die Ende dieses Jahres ausläuft, werde nicht verlängert, kündigte der Premier an. Stattdessen soll das Rentenalter wieder schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden.

Etwas weniger katastrophal präsentiert sich die Bilanz des Bürgergeldes: Es konnte während der Pandemie zwar nicht verhindern, dass sich die Zahl der in Armut lebenden Italiener weiter erhöhte, aber es konnte den Anstieg bremsen und die Not vieler Familien lindern. Draghi will das Instrument denn auch nicht abschaffen, sondern in einigen zentralen Punkten reformieren.

Insbesondere soll der grassierende Missbrauch eingedämmt werden: Seit der Einführung sind über 130.000 Betrüger aufgeflogen, die das Bürgergeld kassierten, obwohl sie dazu gar kein Recht hatten – darunter auch Hunderte Mafiosi. Außerdem soll die Unterstützung schneller gekürzt oder gestrichen werden, wenn ein Empfänger sich weigert, eine von einem Jobcenter angebotene Arbeitsstelle anzunehmen. In Italien beziehen derzeit etwas mehr als drei Millionen Menschen das Bürgergeld.

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Mit dem Angriff auf „Quote 100″ und mit der Reform des Bürgergeldes begibt sich Mario Draghi in politisch vermintes Gebiet, weil sowohl die Lega als auch die Fünf Sterne einen erheblichen Gesichtsverlust riskieren. Der Premier hat aber bereits durchblicken lassen, dass er keine Rücksichten auf solche Befindlichkeiten innerhalb seiner weiten und heterogenen Regierungskoalition nehmen werde.

Die Abschaffung beziehungsweise die radikale Reform der beiden wichtigsten Projekte der einstigen Populistenregierung wird Draghi im Staatshaushalt anpacken, den seine Regierung in der laufenden Woche beschließen wird.

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