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Ist Deutschland zu zahm? Pressestimmen zum Fall Nawalny

Das Videostandbild des Youtube-Kanals „Navalny Life“ zeigt Kremlkritiker Alexej Nawalny, wie er in einer Polizeistation in Chimki im Moskauer Gebiet auf eine Gerichtsverhandlung wartet.

Das Videostandbild des Youtube-Kanals „Navalny Life“ zeigt Kremlkritiker Alexej Nawalny, wie er in einer Polizeistation in Chimki im Moskauer Gebiet auf eine Gerichtsverhandlung wartet.

Berlin. Kaum in Moskau gelandet, wurde Alexej Nawalny abgeführt und am Tag darauf zu 30 Tagen Haft verurteilt. Der Grund: Ein angeblicher Verstoß gegen Meldeauflagen aus einem früheren Strafprozess. Hätte der Oppositionelle besser in Deutschland im Exil bleiben sollen? Und übt Deutschland genug Druck auf den Kreml aus?

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Die Pressestimmen im Überblick

„Die Glocke“ aus Oelde hält Nawalnys Rückkehr nach Russland für so notwendig wie aussichtslos: „Sicherlich hat Nawalny recht mit seiner Aussage, dass er vor Ort sein muss, wenn er als Leitfigur der Opposition glaubwürdig für einen politischen Wandel im Riesenreich stehen will. Doch für seinen Mut und Idealismus zahlt er mit einer Gefängnisstrafe und womöglich weiteren Drangsalierungen einen hohen Preis. Die Chancen, Putin aus dem Amt zu drängen, sind nach heutigem Stand zudem gering: Nach einer Verfassungsänderung könnte der 68-Jährige noch bis 2036 Präsident bleiben. Nawalnys Mission gleicht daher einem Marathonlauf mit ungewissem Ausgang – und ist dennoch ein unverzichtbares Signal an die demokratischen Kräfte im Land.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert, Nawalnys aktuelle Lage könne für niemanden zufriedenstellend sein – weder für ihn und seine Anhänger, noch für die russische Regierung. „Nawalny hat die Nervenprobe gegen den Kreml gewonnen, so kann man seine Heimreise zusammenfassen. Jeder konnte sehen, für wie bedrohlich der Kreml ihn tatsächlich hält. Doch wie es weitergeht, ist offen. Sicher nicht gut, weder für Nawalny, der gleich nach seiner Rückkehr im Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden ist, noch für seine Unterstützer, die hilflos zuschauen müssen.

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Aber eben auch nicht für den Kreml, der den Kritiker lieber im Exil gesehen hätte. Der Kreml wollte erstens keine Heldenrückkehr, überhaupt wollte er niemals einen Helden erschaffen. Auch deswegen vermied er es bisher, Nawalny längere Zeit einzusperren. Nawalny im Gefängnis könnte in Russland deutlich mehr Leute auf die Straße bringen als Nawalny im Koma, weil sie nun für etwas Konkretes protestieren können: seine Freilassung. Zweitens macht es natürlich keinen guten Eindruck, den bekanntesten Kremlkritiker festzunehmen – erst recht, wenn der zuvor knapp dem Tode entkommen ist.“

Die „Neue Presse“ aus Coburg wirft Deutschland und der westlichen Welt vor, vor Putins Russland zu kuschen: „Die russische Reaktion war vorhersehbar, die der übrigen Welt ist es leider auch. Deutschland, die EU, die USA – alle verurteilen sie das Vorgehen. Doch wenn es zum Schwur kommt, dann bleiben die Empörten zahm. Zur Erinnerung: der Weiterbau von Nord Stream 2 ist gerade mal vor drei Tagen von einem Bundesamt genehmigt worden.“

Auch die „Stuttgarter Nachrichten“ beklagen, der Westen verhalte sich Russland gegenüber zu zahm. Sie merken jedoch auch an, dass Nawalnys Vision für das Land nicht zwingend die bessere ist: „Deutschland, die EU, die USA – alle verurteilen sie das Vorgehen im Fall Nawalny, wahlweise aufs Schärfste und mit Nachdruck. Tief beeindrucken muss das die Herrschenden im Kreml nicht. Das russische Vorgehen ist nur ein weiterer Schritt auf dem langen Pfad der Rechtlosigkeit. Doch wenn es ums Handeln geht, dann bleiben die Empörten doch ziemlich zahm. Wie geht es mit Russland und Nawalny nun weiter? Es ist in der Geschichte der Revolution vorgekommen, dass es Menschen aus dem Gefängnis heraus an die Spitze eines Staates katapultiert hat. Deutlich häufiger sind die Fälle, in denen es vom Gefängnis aus auf den Friedhof ging. Diese Gefahr besteht nach wie vor. Und eine große Unklarheit bleibt ohnehin: Ob der Nationalist Alexander Nawalny tatsächlich gut für Russland wäre, das ist keinesfalls ausgemacht.“

Die „Südwest Presse“ aus Ulm warnt vor Forderungen, den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 einzustellen: „Tatsächlich wurden postwendend wieder Stimmen laut, den Bau der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 einzustellen. Die Forderung wird jedoch nicht klüger, je öfter man sie wiederholt. Denn am Import russischen Gases würde sich nichts ändern. Die bestehenden Transportkapazitäten reichen aus, um auch in absehbarer Zukunft ausreichend Gas nach Europa zu pumpen, nur eben teurer. Zudem liegt der Forderung eine Doppelmoral zugrunde, die dem russischen Regime, das sich gerne in der Opferrolle suhlt, in die Hände spielt. Denn andere Länder, aus denen wir Energie beziehen, sind auch keine lupenreinen Demokratien.“

Die „Rhein-Zeitung“ aus Koblenz fordert, vor dem Hintergrund der Nawalny-Verhaftung müsse jede Überlegung über Lockerungen der Russland-Sanktionen verworfen werden. „Welche Rolle der russische Oppositionspolitiker für den Kreml spielt, demonstrierte Moskaus Machtapparat gleich bei der Rückkehr von Nawalny . Kaum hatte der Oppositionelle seinen Fuß auf russischen Boden gesetzt, war er schon in Gewahrsam. Nawalny hat für seine politischen Ziele eine sehr mutige Entscheidung getroffen. Er konnte davon ausgehen, dass der Kreml ihn nicht in Ruhe lassen würde – und wird. Vor dem Hintergrund dieses erneuten Beweises der Brutalität und Rücksichtslosigkeit der russischen Führung gegen politische Gegner muss derzeit jede Überlegung für eine eventuelle Lockerung der EU-Sanktionen gegen Russland verworfen werden.“

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RND




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