Israels Ukraine-Debakel: Kiew will den Iron Dome – bröckelt der israelische Widerstand?
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Das Iron-Dome-Raketenabwehrsystem feuert eine Abfangrakete ab, nachdem Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert werden.
© Quelle: Ilia Yefimovich/dpa
Die Ukraine hat Israel offiziell um Luftverteidigungssysteme und Möglichkeiten zur Flugabwehr gebeten hat und damit eine Debatte über die Haltung Israels zum Krieg weiter befeuert. Zuvor hatte sich bereits der israelische Minister für Diasporaangelegenheiten, Nachman Schai, für eine größere militärische Unterstützung ausgesprochen. „Es ist an der Zeit, dass die Ukraine von uns militärische Hilfe erhält, wie sie bereits die USA und die Nato-Staaten leisten“, schrieb der Politiker bei Twitter und forderte die Lieferung von Waffen zur Verteidigung. „Es gibt keinen Zweifel mehr, wo Israel in diesem blutigen Konflikt stehen sollte.“ Nur wenige Stunden später distanzierte sich das israelische Außenministerium von den Forderungen Schais. Sie würden nicht die Regierungspolitik widerspiegeln, hieß es.
Drohungen kamen auch aus Moskau. Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew warnte Israel vor Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie seien ein „sehr rücksichtsloser Schritt“ und würden „die Regierungsbeziehungen zwischen unseren Ländern zerstören“. Israel hat sich zwar von Anfang an gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ausgesprochen und ihn auch bei Abstimmungen vor den Vereinten Nationen verurteilt. Über Helme und Schutzweste hinaus hat das Land die Ukraine aber nicht militärisch unterstützt. Israels ehemaliger Ministerpräsident Naftali Bennett brachte sich stattessen sogar als Vermittler ins Spiel.
In einem Interview mit MSNBC warnte Oppositionsführer und Ex-Premierminister Benjamin Netanjahu, dass alle an die Ukraine gelieferten Waffen in die Hände des Iran gelangen und gegen Israel eingesetzt werden könnten. Die derzeitige israelische Politik halte er für „umsichtig“ und betonte, dass Israel Flüchtende aufnehme und humanitäre Hilfe leiste. Etwa 100 Tonnen Hilfsgüter sollen aus Israel in die Ukraine gebracht worden sein.
Anders als die meisten westlichen Staaten, hat Israel bisher keine strengen Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Russische Oligarchen mit einem Zweitwohnsitz in Israel können sich weiter ungehindert im Land aufhalten. Täglich gibt es Flüge zwischen Russland und Israel. Als die USA und die Europäische Union Sanktionen gegen Russland verhängten, war Bennett der einzige westliche Staatschef, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau traf.
Doch seitdem Russland mit iranischen Drohnen und mithilfe von Schulungen durch iranisches Militär die Ukraine bombardiert, gibt es zunehmend Forderungen nach einem Kurswechsel der israelischen Politik. Der ukrainische Botschafter in Israel, Yevgen Korniychuk, forderte von Israel mehr Hilfe und die Lieferung des Iron Dome, um russische Raketenangriffe abzuwehren. „Da der Iran als wichtiger Waffenlieferant eindeutig in diesen Krieg verwickelt ist, wird Israel seine Haltung in diesem Krieg überdenken“, glaubt Militärexperte Nigel Gould-Davies vom Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS). „Der Druck innerhalb Israels wird zunehmen, der Ukraine mehr militärische Unterstützung zukommen zu lassen“, sagt der Experte im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Israels Haltung ändert, sei so groß wie nie zuvor.
Die Regierung versucht, an ihrem Kurs festzuhalten und schließt Waffenlieferungen weiterhin aus. Der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz begründete dies am Mittwoch mit „verschiedenen operativen Erwägungen“, ohne genauer auf die Gründe eingehen zu wollen. „Wir sehen, dass der Iran Drohnen liefert und in naher Zukunft möglicherweise auch modernere Waffensysteme bereitstellen wird“, räumt auch Gantz ein.
Ukraine startet Rückeroberungsversuch von Cherson
Im von Moskau annektierten Gebiet Cherson haben ukrainische Streitkräfte Angaben der russischen Besatzer zufolge mit Gegenangriffen begonnen.
© Quelle: dpa
Der israelische Diplomat Alon Pinkas kritisierte in der Tageszeitung „Haaretz“ das „Festhalten an fehlerhaften Annahmen“ der israelischen Regierung. „Israel weigert sich, der Ukraine zu helfen, indem es eine scheinbare schweizerische Neutralität behauptet, nur um den Zorn der Russen, den tiefen Groll der Ukrainer und die Enttäuschung der Amerikaner auf sich zu ziehen.“ Russland hatte sich als angeblicher Partner Israels beim Abzug des Iran aus Syrien positioniert, so Pinkas, verbünde sich jetzt aber mit dem Iran. Israels Verhalten gegenüber der Ukraine ergebe daher „keinen Sinn“. Russland und Israel arbeiten über dem syrischen Luftraum eng zusammen. Die Führung in Moskau hat israelischen Kampfjets erlaubt, iranische Waffenlager und andere Militärziele des Irans in Syrien zu bombardieren. Um Russland in Syrien nicht zu provozieren oder Juden in Russland zu gefährden, hielt sich die Regierung in Jerusalem bisher zurück.
Auch die ukrainische Regierung warf Israel mehrfach vor, keine Waffen zu liefern, weil sie ihre Beziehungen zu Moskau nicht gefährden wolle. Israels Verteidigungsminister Gantz kündigte am Mittwoch zwar weitere Hilfen, aber keine Waffen an. „Wir können der Ukraine mit intelligenten Raketenwarnsystemen helfen, wie wir sie haben, aber nicht mit Waffen.“ Das System könne auch vor Drohnen warnen, so der Verteidigungsminister. Wenn die Ukraine Einzelheiten zu den genauen Anforderungen an ein solches System übermittelt, könne Israel bei der Entwicklung des System helfen.
Israels Warnsystem kann Raketen, Drohnen und andere Flugkörper erkennen und auf einer Karte darstellen, welche Gebiete besonders gefährdet sind. Im Gazastreifen und im Libanon soll es Hunderte Leben gerettet haben. Eine private israelische Firma soll der Ukraine zudem Satellitenbilder über russische Truppenbewegungen zur Verfügung stellen. Expertinnen und Experten sind überzeugt, dass Israel mit seinem Geheimdienstinformationen über iranische Waffen und ihre Schwachstellen sowie die Abwehr von Luftangriffen maßgeblich der Ukraine helfen könnte.
Zugleich befürchten Fachleute, dass iranische Drohnen in der Ukraine zum Testballon für Angriffe auf Israel werden könnten. Wenn sich die Drohnen in der Ukraine als wirksam erweisen, werde der Iran „ihre Entwicklung verdoppeln“, fürchtet Geoffrey Corn, Direktor des Zentrums für Militärrecht und Militärpolitik an der Texas Tech University. Sollten die iranischen Drohen abgeschossen werden, könne der Iran die Schwachstellen identifizieren und die Drohnen optimieren.
Der israelische Regierungschef Jair Lapid hatte zuletzt den Ton gegenüber Russland verschärft und die Angriffe auf ukrainische Wohnhäuser vor einer Woche scharf verurteilt. Doch am 1. November stehen in Israel Neuwahlen an und es gilt als unwahrscheinlich, dass Lapid im Amt bleibt. Stattdessen könnte Netanjahu die Regierungsgeschäfte übernehmen. Dieser hatte vor einigen Jahren noch mit seinen hervorragenden Beziehungen zu Putin geprahlt.