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"Offenbar keine Kritik mehr an Russlands Krieg“

Israels überraschende Kehrtwende: Freundschaft mit Putin statt Gamechanger für die Ukraine?

Die vom israelischen Verteidigungsministerium herausgegebene Aufnahme zeigt den Start einer Rakete des Raketenabwehrsystems Arrow 3.

Die vom israelischen Verteidigungsministerium herausgegebene Aufnahme zeigt den Start einer Rakete des Raketenabwehrsystems Arrow 3.

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Es ist eine Gratwanderung zwischen dem Westen und Russland gewesen, die Israels Ukraine-Politik bisher bestimmt hat. Hatte die Regierung zu Beginn des Krieges noch den Versuch einer strengen Neutralität unternommen und sich als Vermittler angeboten, stellte sie sich später sehr deutlich an die Seite der Ukraine und drückte ihre Solidarität aus.

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Die neue Regierung Israels unter Benjamin Netanjahu schlägt nun eine Kehrtwende ein. Außenminister Eli Cohen telefonierte am Dienstag mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Es ist das erste Gespräch seit Beginn des Krieges am 24. Februar. Die beiden Minister hätten „über eine Reihe bilateraler und regionaler Themen gesprochen“, teilte das israelische Außenministerium mit. Cohen habe in dem Telefonat die Wichtigkeit der Beziehungen beider Länder betont. Aus Moskau hieß es, man habe auch über „die Lage in der Ukraine im Zusammenhang mit der von Russland durchgeführten militärischen Spezialoperation“ gesprochen.

„Die neue Regierung unter Netanjahu vollzieht einen Kurswechsel“, so die Einschätzung von Peter Lintl, Israel-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dazu zählt er nicht nur das Telefonat mit Lawrow, sondern auch die Ankündigung von Cohen, dass sich die Regierung in Zukunft weniger zum Krieg in der Ukraine äußern werde. Öffentliche Positionierungen will man vermeiden, so Experte Lintl. „Israel will offenbar keine Kritik mehr an Russlands Krieg äußern“, sagte er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Damit rücke die Regierung Netanjahus näher an Russland heran. Diese Entwicklung hat viele Beobachter und Beobachterinnen überrascht.

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Der republikanische US-Senator Lindsey Graham kritisierte Cohen öffentlich: „Ich hoffe, Mr. Cohen versteht, dass Lawrow Vertreter eines kriegsverbrecherischen Regimes ist, das jeden Tag Kriegsverbrechen in industriellem Ausmaß begeht.“ Über Russlands kriminelles Verhalten zu schweigen, werde nicht gut enden.

Der ukrainische Botschafter in Israel Yevgen Korniychuk sagte der „Times of Israel“, Kiew sei empört über das Gespräch mit Lawrow und sieht dies als Beweis für den Kurswechsel Jerusalems. Es gebe keine Verurteilung des Massenbeschusses ukrainischer Zivilisten aus Israel, kritisierte Korniychuk. „Israel bleibt stumm.“

Israel hatte sich westlichen Sanktionen gegen Russland bisher nicht angeschlossen und die Ukraine auch nicht mit Waffen unterstützt. Nur zivile Hilfslieferungen schickte die Vorgängerregierung in die Ukraine. Cohen will an diesen Lieferungen festhalten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte im Oktober, wenige Tage vor den Wahlen in Israel, die Regierung offiziell um den Raketenschutzschirm Iron Dome gebeten. Das israelische System gilt als eines der besten weltweit. Israel ging darauf nicht ein.

Mit der Annäherung an Russland sehen Fachleute wie Lintl die Lieferung des Raketenschutzschirms an die Ukraine in weiter Ferne. „Wenn es nicht ein geschickter Schachzug von Netanjahu war und er den Preis für westliche Zugeständnisse an Israel für die Lieferung des Iron Dome hochtreiben wollte, scheint diese vom Tisch.“

Netanjahu will hier die strategische Kooperation mit Russland nicht gefährden.

Peter Lintl,

Israel-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

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Netanjahu gilt als früherer Freund von Putin und hatte noch im Oktober angekündigt, sich bei einem Wahlsieg als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine anzubieten. Der russische Präsident rief Netanjahu kurz vor Weihnachten an und gratulierte ihm am Telefon zum Wahlsieg und zur Regierungsbildung. Mehrfach hatte Netanjahu den Kremlchef zuvor als „Freund“ bezeichnet. Die Führung in Moskau steht schon lange im Austausch mit der israelischen Regierung und erlaubt ihr, Militärziele des Irans in Syrien zu bombardieren. Erst am Montag meldete Syrien einen israelischen Luftangriff auf den Flughafen von Damaskus. Solche Aktionen sind laut SWP-Experte Lintl mit Russland abgesprochen. Die Israelis seien auf den Handlungsspielraum in Syrien angewiesen. „Netanjahu will hier die strategische Kooperation mit Russland nicht gefährden“, sagt er mit Blick auf die Annäherung der beiden Staaten.

Drohnenangriffe in der Neujahrsnacht: Selenskyj befürchtet Abnutzungskrieg
HANDOUT - 29.05.2022, Ukraine, Charkiw: ARCHIV - Auf diesem vom Pressebüro des ukrainischen Präsidenten via AP zur Verfügung gestellten Foto besucht Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, die vom Krieg betroffene Region Charkiw. Selenskyj gilt durch seinen Widerstand gegen Russlands Invasion im Westen als Held im Kampf für Demokratie und Freiheit. Der 44 Jahre alte Ex-Schauspieler begeistert viele Menschen mit seinem Mut in dem Krieg. (zu dpa "Ein Held für die Welt - Selenskyj kämpft mutig gegen Putin") Foto: --/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte vor Russlands Zermürbungsstrategie.

Die meisten Menschen in Israel wünschen sich jüngsten Umfragen zufolge aber, dass die Regierung sich mehr auf die Seite der Ukraine stellt. „Etwa drei Viertel der Bevölkerung befürworten laut Umfragen einen noch proukrainischeren Kurs“, sagt Lintl dem RND. Es gebe zwar einen Teil der israelischen Rechten, die einen so großen Hass auf Europäer und Europäerinnen hätten, dass sie Russlands Krieg befürworten würden. Dies seien aber nur wenige Menschen. Dass ein ukrainekritischer Kurs von der breiten Bevölkerung goutiert wird, glaubt er nicht. „Netanjahu könnte einen russlandfreundlicheren Kurs aber mit Verweis auf die Sicherheitslage in Syrien rechtfertigen.“ Das würde von der Bevölkerung in Israel akzeptiert werden.

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