Israel: Erneute Proteste gegen geplante Justizreform – Parlament berät Gesetzentwurf
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Bereits Ende Februar protestierten Tausende Menschne in Israel gegen die geplante Justizreform. Auf diesem Bild ist eine Demonstration in Tel Aviv zu sehen. (Archivbild)
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Tel Aviv. In ganz Israel sind Demonstranten am Mittwoch gegen die umstrittenen Justizreformpläne der Regierung auf die Straße gegangen. Einige von ihnen sperrten am Morgen rund eine Stunde lang die Autobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Es kam zu teilweise heftigen Konfrontationen von Demonstranten mit der Polizei und mehreren Festnahmen. Die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten gegen Demonstranten ein. Nach Darstellung der Polizei wurden aus der Menge Steine und Flaschen auf die Beamten geschleudert. Nach Berichten israelischer Medien gab es mehrere Verletzte.
An Bahnhöfen in Tel Aviv verhinderten Demonstranten die Abfahrt von Zügen, indem sie Türen blockierten. In Tel Aviv setzte die Polizei nach Augenzeugenberichten Rauchbomben ein.
Die größten Kundgebungen waren für den weiteren Tagesverlauf außerhalb des israelischen Parlaments, der Knesset, und nahe dem Haus von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geplant. Seine Kritiker werfen dem Regierungschef vor, mit der Reform die demokratische Gewaltenteilung in Israel zu untergraben. Unter anderem soll der Oberste Gerichtshof geschwächt werden und die Regierung mehr Kontrolle über Richterernennungen erhalten. Nach Plänen der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu soll es dem Parlament künftig möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Außerdem sollen Politiker bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten.
Fronten sind verhärtet
Die Fronten in dem Streit sind verhärtet, der Mittwoch sollte nach dem Willen der Regierungsgegner den bisherigen Höhepunkt der Proteste gegen die Justizreform markieren. Der ultranationalistische Minister für Innere Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, bezeichnete die Demonstranten als Anarchisten und forderte die Polizei auf, alle Blockaden aufzulösen.
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Im Parlament wurde am Mittwoch in einer ersten Abstimmung ein Gesetzesentwurf gebilligt, der es deutlich schwerer machen soll, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Dafür wäre dann eine Dreiviertelmehrheit im Parlament notwendig. Außerdem wäre eine Amtsenthebung nur wegen psychischer oder anderer Gesundheitsgründe möglich.
Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara warnt, diese Änderung könne zu „absurden Situationen“ führen. Sie schüfe ein „schwarzes Loch“, weil sie jegliche juristische Aufsicht verhindere. Damit das Gesetz in Kraft tritt, sind noch drei weitere Lesungen notwendig.
Kritiker sehen durch die Reform die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen, dass sich Israel in eine Diktatur verwandeln könnte. Die Regierung argumentiert dagegen, das Höchste Gericht übe derzeit zu viel politischen Einfluss aus. Weil Israel keine schriftliche Verfassung hat und der Staat stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen fußt, kommt dem Höchsten Gericht besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.
Gesetz für Todesstrafe für Terroristen nimmt in Israel erste Hürde
Das israelische Parlament brachte am Mittwoch auch ein Gesetzesvorhaben auf den Weg, das eine Todesstrafe für Terroristen vorsieht. 55 von 120 Abgeordneten stimmten für den Entwurf, den die Abgeordnete Limor Son Bar-Melech von der rechtsextremen Koalitionspartei Ozma Jehudit eingebracht hatte. Neun Abgeordnete stimmten dagegen, der Rest war abwesend oder enthielt sich. Bar-Melechs Mann war 2003 bei einem palästinensischen Anschlag getötet worden, sie selbst - damals hochschwanger - erlitt schwere Verletzungen. Es sind noch drei weitere Lesungen notwendig, bevor das Gesetz in Kraft tritt. Ähnliche Vorstöße für eine Todesstrafe für Terroristen waren in der Vergangenheit gescheitert.
Laut des Entwurfs soll mit dem Tode bestraft werden, „wer absichtlich oder aus Gleichgültigkeit den Tod eines israelischen Bürgers verursacht, wenn die Tat aus einer rassistischen Motivation erfolgt oder aus Feindseligkeit gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe“ - mit dem Ziel, „dem Staat Israel zu schaden oder der Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Heimatland“. Im besetzten Westjordanland sollen Militärgerichte befähigt werden, mit einer einfachen Mehrheit Todesurteile auszusprechen.
Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara hatte sich gegen das neue Gesetz ausgesprochen. Es sei rechtswidrig, außerdem sei die Todesstrafe als Abschreckung nicht wirksam. „Es gibt Bedenken hinsichtlich der Strafe, die nicht rückgängig zu machen ist.“
Israel hatte die Todesstrafe für Mord im Jahr 1954 abgeschafft. Das israelische Gesetz ermöglichte zwar weiter die Verhängung der Todesstrafe in bestimmten Fällen, etwa gegen NS-Verbrecher oder bei Verrat in Kriegszeiten. Die Hinrichtung des deutschen NS-Verbrechers Adolf Eichmann im Jahre 1962 war aber das letzte Mal, dass eine von einem ordentlichen Gericht in Israel ausgesprochene Todesstrafe wirklich vollstreckt wurde. Bereits 1948 war der israelische Offizier Meir Tobianski nach der Schnellverurteilung durch ein Standgericht wegen Verrats erschossen worden. Später erwies er sich als unschuldig und wurde posthum freigesprochen.
RND/dpa/AP