Interessenkonflikt am US Supreme Court: halb Verschwörung, halb Verfassung
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Ein rechtes Powerpaar: Clarence Thomas ist der dienstälteste Richter am Supreme Court. Seine Frau Virginia betätigt sich als Trump-Aktivistin.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Washington. Die Frau klang aufgewühlt. „Helfe diesem großen Führer standzuhalten, Mark!!!“, schrieb sie am 10. November 2020 in einer SMS an Mark Meadows, den damaligen Stabschef des Weißen Hauses. Kurz zuvor hatten die US-Sender Joe Biden zum Sieger der Wahl erklärt. Ex-Präsident Donald Trump weigerte sich, das Ergebnis anzuerkennen. Dabei wurden seine Mitarbeiter von der Frau regelrecht angefeuert. „Wenn Ihr einknickt, wird sich das Böse rasch unter Euch ausbreiten“, warnte sie Meadows in einer anderen Kurznachricht.
Absender der bizarren Handybotschaften war Virginia Thomas, eine ultrarechte Aktivistin. Davon gibt es im Trump-Kosmos viele. Doch Virginia Thomas ist nicht irgendwer. Seit 1987 ist die fanatische Linkenhasserin mit dem US-Verfassungsrichter Clarence Thomas verheiratet.
Zwei dutzend Kurznachrichten der 65-Jährigen, die dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Kapitolsturm vorliegen und am Freitag in der „Washington Post“ und der „New York Times“ veröffentlicht wurden, belegen, dass die Ehefrau des dienstältesten Richters am Supreme Court aktiv darauf gedrungen hat, das rechtmäßige Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahl zu kippen.
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Lügen über Wahlfälschung und Verschwörungslegenden
Immer wieder zweifelt die 65-Jährige die Stimmauszählung an und verbreitet widerlegte Verschwörungserzählungen. Ziel dieser Kampagne war, das Wahlergebnis vor dem Supreme Court anzufechten. Tatsächlich sollte sich das Oberste Gericht im Februar 2021 mit dem Ansinnen einiger Republikaner aus Pennsylvania zur Annullierung bestimmter Stimmen beschäftigen. Doch die Mehrheit des Supreme Courts lehnte ab. Clarence Thomas gab eine pointierte Gegenmeinung ab und nannte die Entscheidung seiner Kollegen „rätselhaft“ und „unerklärlich“.
Zwar betont Virginia Thomas ihre Unabhängigkeit: „Clarence diskutiert seine Arbeit nicht mit mir, und ich beziehe ihn nicht in meine Arbeit ein.“ Wie weit jedoch die problematische Verquickung ihrer subversiven Aktivitäten mit denen ihres Mannes reicht, zeigt das Schicksal der nun bekannt gewordenen Kurznachrichten: Sie gehören zu 2300 SMS-Botschaften des Ex-Stabschefs Meadows, deren Herausgabe der Untersuchungsausschuss forderte.
Trump hatte gegen die Bereitstellung von Regierungsunterlagen geklagt, war im Januar 2021 jedoch vor dem Supreme Court unterlegen. Nur ein einziger der neun Richter wollte die Akten unter Verschluss halten. Sein Name: Clarence Thomas.
„Setze die Kraken frei!“
Während der 1991 von George Bush ernannte, bislang einzige afroamerikanische Richter am Supreme Court im November 2020 auf mögliche Eingaben gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl wartete, wiegelte seine Ehefrau nach den Medienberichten Vertreter von Regierung und Parlament für eine Anfechtung auf.
Auch mit Trumps Schwiegersohn Jared Kushner soll sie in Verbindung gestanden haben. Kurz nach der Wahl drängte sie Meadows: „Setze die Kraken frei und rette uns davor, dass die Linke Amerika zerstört!“ Das Meeresmonster steht in der Sprache der rechten Qanon-Verschwörungsfanatiker für Lügengeschichten über angeblichen Wahlbetrug.
„Ich kann es nicht ertragen, wie die Amerikaner den offensichtlichen Wahlbetrug schlucken“, schrieb Thomas Wochen später: „Wollen wir einfach einknicken vor den Leuten, die Biden salben wollen?“
Ebenso eindringlich wie unfreiwillig grotesk mahnte die Frau des Verfassungsrichters den Stabschef des Weißen Hauses, „nicht vor den Eliten“ klein beizugeben. Mehrfach verwies sie ihn auf rechte Verschwörungsfanatiker und apokryphe „Nachrichtenseiten“ im Netz, die über eine bevorstehende Verhaftung von Biden berichteten: „Ich hoffe, das ist wahr.“
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Präsident Donald Trump trifft am 6. Januar 2021 in Washington ein, um bei einer Kundgebung zu sprechen.
© Quelle: Jacquelyn Martin/AP/dpa
Auch an Trumps Kundgebung am 6. Januar 2021 nahm die weiße Aktivistin teil, ging nach eigenen Angaben aber vorzeitig nach Hause, weil ihr kalt wurde. Bei Facebook kommentierte sie: „Ich liebe MAGA-Leute“ und „Gott segne jeden, der aufbegehrt“. Später unterzeichnete sie einen Aufruf, der den Ausschluss der Abgeordneten Liz Cheney und Adam Kinzinger aus der republikanischen Fraktion forderte, weil diese im Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses mitarbeiten.
Linksliberale Beobachter halten den Interessenkonflikt im Hause Thomas für evident: Der lebenslang gewählte Verfassungsrichter könne „nicht mehr über irgendeinen Fall beraten, der im Entferntesten mit der Durchführung der Wahl, der Abstimmung des Kongresses am 6. Januar oder den Versuchen des Untersuchungsausschusses zu tun hat, Informationen zu beschaffen“, sagte der New Yorker Juraprofessor Stephen Gillers der „New York Times“. Bislang schweigt Clarence Thomas. Dass er sich selbst für befangen erklärt, gilt als höchst unwahrscheinlich.