Innenministerin Nancy Faeser: „Ich glaube nicht an Wutbürger“
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Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, ist bei „RND vor Ort“ zu Gast (Archivbild).
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) rechnet trotz Inflation und befürchteter Energiekrise nicht mit gewalttätigen Protesten in Deutschland. „Nein, ich glaube nicht, dass es zu Volksaufständen und ähnlichem kommen wird“, sagte Faeser im Rahmen der Talkreihe „RND vor Ort“ des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).
Sicher würden Menschen auf die Straße gehen und protestieren, wie es bei den Corona-Maßnahmen Anfang des Jahres bereits der Fall war, sagte sie, fügte aber hinzu: „Ich glaube nicht an Wutbürger und auch nicht an Gelbwesten-Proteste.“ Es sei lediglich „eine kleine Minderheit, die sehr radikal unterwegs ist“. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte vor Volksaufständen gewarnt.
Faeser: Genau hinschauen, mit wem man auf die Straße geht
Die SPD-Politikerin forderte Bürger jedoch auf, genau hinzuschauen, mit wem sie auf die Straße gingen, und darauf zu achten, dass sie nicht etwa Aktivisten aus der „sehr rechten Ecke auf den Leim“ gingen, so Faeser. „Es gibt Rechtsextremisten, die solche Demonstrationen organisieren, nur um gegen den Staat vorzugehen. Denen geht es im Zweifel gar nicht um die Corona-Maßnahmen oder um die Energiepreisentwicklung.“
Auch mahnte sie, keine Rechte anderer zu verletzen. „Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut“, sagte sie. „Das schützen wir. Aber bitte: Keine Beleidigungen, keine Bedrohungen.“ Bei den jüngst bekannt gewordenen Drohungen gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seien „weit Grenzen überschritten“ worden, betonte Faeser. „Da geht es nicht mehr um legitimen Protest.“
Für Innenministerin Faeser ist Putin ein Kriegsverbrecher
Wegen seines Angriffskriegs auf die Ukraine betrachtet Bundesinnenministerin Nancy Faeser zudem den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Kriegsverbrecher. Mit einem klaren „Ja“ antwortete Faeser bei der Veranstaltungsreihe „RND vor Ort“ auf die Frage „Ist Wladimir Putin für Sie ein Kriegsverbrecher?“.
„Das unterliegt natürlich erst mal der Beweissicherung und dem rechtsstaatlichen Verfahren“, führte die SPD-Politikerin aus. Aber angesichts des Leides, das Putin in der Ukraine angerichtet habe, werde man ihn wohl als Kriegsverbrecher bezeichnen können. Faeser hatte Ende Juli zusammen mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die ukrainische Hauptstadt Kiew und die vom Krieg zerstörte Stadt Irpin besucht. US-Präsident Joe Biden hat Putin wiederholt einen „Kriegsverbrecher“ genannt und damit eine scharfe Gegenreaktion im Kreml ausgelöst.
Faeser: Früherer Renteneintritt für langjährige Ehrenamtler
Zudem regte Faeser an, langjährige ehrenamtliche Tätigkeit besonders zu honorieren – etwa durch einen früheren Renteneintritt. So könne der Staat Anreize für freiwilliges Engagement für die Gesellschaft schaffen. Das Ehrenamt für die Allgemeinheit, das viele in Deutschland neben ihrer Arbeit und Familie leisteten sei ein sehr hohes Gut, betonte die Innenministerin.
„Man muss darüber nachdenken, wie man denjenigen etwas Gutes tun kann, die das ihr Leben lang getan haben“, erklärte Faeser weiter. „Gibt es nicht beispielsweise eine Idee davon, wie man das in der Rente anders darstellen kann? Man könnte es zum Beispiel privilegieren, indem man den Menschen, die ihr Leben lang einen solchen Dienst an der Bevölkerung geleistet haben, früher in Rente schickt – ein Jahr beispielsweise.“ Für besonders wertvolle Tätigkeiten wie „dieses herausragende Ehrenamt bei der Feuerwehr oder auch bei Rettungsdiensten“ müsse über solche Modelle nachdenken und diskutieren, um Anreize dafür zu setzen, so die SPD-Politikerin.
Durch die Zunahme von Naturkatastrophen mit schlimmen Folgen wie Hochwasser, Waldbrände und schwere Stürme wachse der Bedarf an Ehrenamtlern, begründete Faeser. Deshalb müsse zugleich auch weiter über verpflichtende Modelle wie ein Dienstpflichtjahr debattiert werden, forderte sie. „Wir sind sehr privilegiert mit unserem Freiwilligensystem.“ Das funktioniere sehr gut, etwa bei den Freiwilligen Feuerwehren. „Aber man kann ihnen nicht allein die Verantwortung für all diese Großschadensereignisse geben“, so Faeser. Es gebe auch Vorteile an einem verpflichtenden Dienstjahr und dem Angebot entsprechender Dienste.
Faeser will besseren Katastrophenschutz und mehr Löschhubschrauber
Im weiteren Verlauf des Gesprächs ging es auch um das Thema Katastrophenschutz: Faeser will angesichts zunehmender Waldbrände und anderer Naturkatastrophen in Deutschland den Katastrophenschutz stärken und dabei auch mehr Löschhubschrauber anschaffen. „Für mich ist wichtig, dass es einen Neustart beim Katastrophenschutz gibt“, sagte Faeser im Rahmen der Talkreihe „RND vor Ort“. Das „Zuständigkeitsgehabe in Fällen von großen Krisen“ müsse überwunden werden. Deshalb habe man ein gemeinsames Kompetenzzentrum beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) auf den Weg gebracht.
Die SPD-Politikerin fuhr fort: „Wir brauchen keine Löschflugzeuge. Wir brauchen in Deutschland mehr Löschhubschrauber.“ Sie seien effektiv und schnell einsetzbar. In diesem Zusammenhang müsse man auch über gemeinsame Anschaffungen mit Nachbarländern in der EU nachdenken. Dabei verwies sie auf den Brand in der Sächsischen Schweiz, der auch Tschechien betrifft. Faeser betonte überdies, es gelte auch die Freiwilligen Feuerwehren zu stärken. Das geschehe bereits, ebenfalls im BBK.
Faeser will vor WM nach Katar reisen
Auch das Thema Fußball-WM in Katar kam auf den Tisch. Faeser will vor der Fußball-Weltmeisterschaft im November gemeinsam mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf nach Katar reisen und sich dort unter anderem für die Einhaltung von Menschenrechten, etwa von Homosexuellen, und für bessere Arbeitsbedingungen für Migranten einsetzen.
„Für mich ist wichtig, dass wir bei Großsportereignissen künftig besser darauf achten, dass Kriterien eingehalten werden für Länder, die dann den Zuschlag dafür bekommen“, sagte Faeser am Dienstagabend im Rahmen der Talkreihe „RND vor Ort“. „Mir wäre recht, man gibt die Sportgroßereignisse nur an Länder, die die Menschenrechte einhalten, wo die Arbeitsbedingungen stimmen, Nachhaltigkeit auch ein Thema ist.“
Sie plane, mit dem DFB-Präsidenten vor Beginn der WM nach Katar zu reisen, „um all die Themen, die noch nicht umgesetzt sind, da auch anzusprechen“, so Faeser. Sie wolle dann etwa Arbeitsbedingungen und Gleichberechtigung hinterfragen – allerdings bewusst nicht im Rahmen der Weltmeisterschaft: „Ich halte es für wichtig, dass wir das von der Fußball-WM weghalten. Das Sportereignis kann nicht alles lösen“, so Faeser. „Aber Politik ist auch dafür verantwortlich, diese Themen anzusprechen, und deshalb fahre ich vorher hin, damit das Großsportereignis nicht davon belastet wird.“
Faeser betonte: „Ich erwarte, dass es Veränderungen gibt.“ So respektiere sie „das Verbot der Homosexualität in keiner Weise“ und wolle auch „keine Einreiseverbote“. Gleichwohl wolle sie nach jetzigem Stand auch zur WM selbst reisen, so die Ministerin.
Nachträglich anschauen: Nancy Faeser bei „RND vor Ort“
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Faeser bereut fröhliches Kiew-Foto
Schließlich bedauerte Faeser das bei ihrem Besuch in Kiew entstandene Foto in fröhlicher Runde und mit Sektgläsern. „Das Foto bereue ich, es war sicherlich nicht angemessen.“ Die gelöste Stimmung sei aufgekommen, „weil in Kiew im Moment das Leben auf der Straße, im Alltag wieder normal ist“, so Faeser.
Das sei schwer zu begreifen, wenn im selben Land sehr viel Zerstörung zu sehen sei, furchtbare Kriegsverbrechen geschehen seien und im Osten des Landes immer noch gekämpft werde, sagte Faeser weiter. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew habe sie jedoch erlebt, dass Menschen wieder einkaufen gehen, in Bars und Cafés sitzen und ihrer Arbeit nachgehen. „Das sieht man letztlich auch auf dem Bild.“
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25.07.2022, Ukraine, Kiew: Nancy Faeser Anka Feldhusen, Botschafterin von Deutschland in der Ukraine, Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew und ehemaliger Boxprofi, und Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, stehen auf einem Balkon der Residenz der deutschen Botschafterin in der Ukraine.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Die gemeinsame Aufnahme mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko und der deutschen Botschafterin in Kiew, Anka Feldhusen, sei bei bei einer abendlichen Einladung bei Feldhusen entstanden. Dabei hätten die deutschen Besucher das gleiche Getränk wie er gewählt. „Ich würde das nicht mehr machen, weil das etwas ausdrückt, was unangemessen ist, wenn man aus einem anderen Land kommt“, so die Ministerin. „Aber es spiegelt letztlich den Alltag in Kiew wider.“